Skispringen:Nur noch zehn Monate

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Hat die Kritik nicht mehr ertragen: Österreichs zurückgetretener Sprungtrainer Heinz Kuttin. (Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Österreichs Mannschaft steht vor dem Neuaufbau und vor der Frage, wer die Medaillen holen soll. Dazu ist kaum Zeit - denn 2019 findet die WM in eigenen Land statt.

Von Volker Kreisl, München

Diese Wortwahl ist nicht üblich bei einem Skisprungtrainer des österreichischen Verbandes. Dort ist der Erfolg zu Hause und auch die Gelassenheit, die in einer langen Tradition wurzelt, zuletzt in der Epoche der so genannten Superadler bis vor vier Jahren. Dennoch, Heinz Kuttin hatte die Nase voll. Nach den olympischen Wettkämpfen nahm er sich Teile seines Teams vor und erklärte deren Leistungen, namentlich auch die von Ex-Superadler Gregor Schlierenzauer, als "beschämend": Im Training würden diese ja ordentlich springen, aber wenn's drauf ankomme, "hupfen's nur noch Mittelmaß!"

Das waren Tiraden gegen das eigene Team; was aber genauso wenig üblich ist, waren die Tiraden und Beschimpfungen, die Kuttin selbst zuletzt ertragen musste, gegen sich, seine Methoden, gegen seine Frau und seine Kinder. In sozialen Netzwerken tobten sich frustrierte Fans über diesen historisch erfolglosen Winter aus. Am Ende war Kuttin die Familie wichtiger, er ist zurückgetreten, und Österreichs nordische Sparte steht vor einer, vorsichtig ausgedrückt, interessanten Aufgabe.

Gegangen ist ja zugleich auch noch der Sportliche Leiter der Nordischen im Skiverband ÖSV, Ernst Vettori, der einen Winter lang ebenfalls beleidigende Anrufe und Mails absorbieren musste. Dieser Umbruch böte nun die Chance für einen ruhigen Neuaufbau, aber dafür fehlt die Zeit. Denn in neun Monaten wird Tirol zum Zentrum des nordischen Winters: Anfang Januar wird in Innsbruck während der Vierschanzentournee gesprungen, ab Anfang Februar 2019 finden dann in Seefeld die Weltmeisterschaften statt.

Momentan ist sehr fraglich, wer die Heim-Medaillen holen soll, wenige Kombinierer und Langläufer haben Außenseiterchancen, zu einem Fest für die Fans können nur die Springer und Springerinnen diese lange ersehnte Heim-WM machen. Damit aber nicht alle Hoffnungen nur am zuletzt wiedererstarkten Weltmeister Stefan Kraft hängen, bedarf es einer rasanten Entwicklung, eines plötzlichen Teambuildings. Das ist im Skispringen mit seinen vielen materialtechnischen und psychologischen Anforderungen besonders schwer. Und dafür wiederum braucht der ÖSV einen besonders ausgewiesenen Fachmann als Chefcoach. Nur, die Toptrainer des Landes sind gerade nicht abkömmlich. Alexander Stöckl ist an Norwegens Verband gebunden, Werner Schuster an den deutschen, Stefan Horngacher an den polnischen. Es sieht gerade so aus, als hätten alle großen Skisprungnationen einen österreichischen Trainer - nur nicht Österreich.

Nachfolger für das schwere Traineramt könnte Jugendcoach Florian Liegl werden

Doch auch wenn diese Situation überraschend kam für den ÖSV, so hat er trotzdem einen Plan. Die Krise managen soll ab sofort Mario Stecher, 40, der ehemalige Kombinierer ist neuer Sportlicher Leiter. Wegen Kuttins Erfolglosigkeit hat man sich ja nicht erst seit dieser Woche Gedanken über dessen Nachfolge gemacht - und rasch festgestellt, dass auf den ausgleichenden Kuttin wieder ein Macher und Visionär folgen sollte. Weil weder Stöckl noch Schuster noch Horngacher zu kriegen waren, weil man in eine Heim-WM auch nicht mit einer Interimslösung gehen kann, vertrauen die Österreicher darauf, dass sie doch einen eigenen Stöckl oder Schuster haben, dass der eben noch keinen großen Namen hat, aber alles mitbringt. Dem Vernehmen nach könnte dies Nachwuchschef Florian Liegl, 35, sein.

Von den äußeren Voraussetzungen bringt Liegl alles mit. Wie Stöckl, Schuster und Horngacher war auch er nur ein mittelmäßiger Skispringer, hat dafür offenbar aber große didaktische und methodische Fähigkeiten. Liegl hat sich als Trainer am Stützpunkt Innsbruck bereits bewährt, er gilt als vielseitig, unter anderem auch, weil er Mitglied einer Rockband ist und zudem auch ein "Schmähbruder" - also über Humor mit ironischer Ebene verfügt.

Das alles dürfte ihm helfen beim Schnellaufbau eines Teams, das in Pyeongchang mit lauter persönlichen Trainern unterwegs war und keine Einheit mehr darstellte; das dringend die Rückstände beim Material, vor allem im Schuh- und Bindungsbereich aufholen muss; und dessen Einzelkönner wie zum Beispiel Schlierenzauer wieder alle an denselben Maßstäben gemessen werden, statt auf Sonderwegen unterwegs zu sein. Das wird nicht ganz einfach werden für den neuen Sprung-Trainer, denn der Erfolg der vielen Jahre hat ja auch viele einflussreiche Berater ins System gebracht.

Sollte Liegl es werden, dann hilft ihm dem Vernehmen nach neben dem Ski-Sachverstand, dem Humor und der Musikalität auch eine vierte Eigenschaft: Er soll knallhart sein.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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