Skispringen:Nah am Wind

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Über den Dächern von Lahti: Die Salpausselkae-Schanzen stehen ziemlich frei im Wind. (Foto: imago)

Die Schanzen von Lahti fordern die Springer wegen ihres exponierten Standorts heraus. Damit ist die Anlage für die Launen des Wetters empfänglich wie nirgendwo sonst.

Von Volker Kreisl, Lahti

Gedanken über den Wind, sagt Martin Schmitt, "sind bei einer Weltmeisterschaft nicht gerade förderlich"; ob er bläst oder nicht, könne man ja eh nicht ändern. Der Wind ist zwar einer der ärgsten Feinde des Skispringers, aber wenn man Schmitt richtig versteht, dann sollte man als Wettkämpfer mit ihm genau das veranstalten, was er selber ständig macht: Ihn innerlich wegblasen.

Der Wind über Lahti hatte am Mittwoch fürchterlich aus allen Richtungen gefegt, und irgendwann sagte die Jury das Training der Spezialisten ab. Am Donnerstag war es dagegen eher ruhig, aber weil die Meteorologen ja zuvor starke Böen vorausgesagt hatten, ist nun den optimistischeren Prognosen für Freitag und Samstag nicht zu trauen. Der finnische Wind hat offenbar wenig Lust, sich an die Berechnungen der Menschen zu halten. Er wird wohl auch bei diesen Titelkämpfen eine Rolle spielen, so wie 2001, als Martin Schmitt hier WM-Gold von der Großschanze und Silber von der Normalschanze holte.

Schmitt weiß also ganz gut, wie man mit der Situation umgeht. Am Freitagvormittag (ab 9.30 Uhr/Eurosport und 10.55 Uhr/ZDF) schwingen sich die Kombinierer im ersten WM-Wettkampf von der Normalschanze in die Luft, der 10-Kilometer-Lauf folgt um 12.30 Uhr. Um 13.30 Uhr springen dann die Spezialisten in der Qualifikation für das Finale am Samstag. Und am Nachmittag um 16.30 Uhr findet der erste Durchgang im Finale der Frauen statt. Das ist zumindest der Plan.

Dass dieser nur vorläufig ist, dass in den kommenden zehn Tagen mit Verzögerungen und Trainingsausfällen zu rechnen ist, das liegt neben den Luftbewegungen über Skandinavien auch an der Schanze selbst. Die beiden Bakken von Lahti sind für den Anreisenden nämlich schon aus zehn Kilometern Entfernung von der Autobahn aus zu sehen, sie sind wie viele Schanzen Skandinaviens auf einer Anhöhe frei hinauf in die Luft errichtet worden, quasi nahe am Wind.

Schmitt sagt: Locker bleiben. Weil dieser Wind oben am Balken noch von vorne attackiert, im Anlauf unter Umständen von hinten, und in der Luft dann von der Seite, helfe nur innere Ruhe. "Man muss bei sich bleiben, und, wenn es losgeht, bereit sein", sagt Schmitt.

Am Mittwoch wurde das Training in die Halle verlegt, wurden Muskeln und Bänder gelockert und der Absprung im Trockenen simuliert. Die Stimmung in den Springerteams des Deutschen Skiverbandes (DSV) blieb offenbar gelöst. Die stark favorisierten Kombinierer waren zwar ein bisschen besorgt, weil ihre vier Besten im Weltcup auf den Plätzen eins, zwei, drei und fünf liegen, somit dicht nacheinander drankommen, und von einem minutenlangen Stürmchen gleich alle auf einmal betroffen wären. "Da gibt es ein leichtes Unbehagen", sagt Bundestrainer Hermann Weinbuch. Abgesehen von dieser speziellen Spannung hat er bisher aber keine überraschenden Formanstiege der Konkurrenz ausgemacht, dafür eine "positive Anspannung" im eigenen Team: "Die haben gemerkt: Die WM steht vor der Tür."

Kollege Werner Schuster sagte über seine Springer: "Wir können in allen Wettbewerben um die Medaillen mitkämpfen." Vor allem Andreas Wellinger, der selbst aber vorsichtig bleibt und keine Prognosen abgibt, sondern nur Tatsachen anspricht, zum Beispiel seine momentane Freude am Springen: "Man kann an den Ergebnissen ablesen, wie viel Spaß mir mein Sport derzeit macht", sagt der 21-Jährige. Er hatte zuletzt in Pyeongchang von der Normalschanze starke 112 Meter erreicht und Platz drei belegt, was ihm weiteren Auftrieb für die WM geben dürfte, denn es war der erste und einzige Weltcup von einer kleinen Schanze in diesem Winter.

Wellinger ist als Sechster des Gesamtweltcups angereist, er hat von den zurückliegenden zehn Weltcups acht auf einem Podestplatz beendet, ihm gelingt das Timing, der Krafteinsatz, er macht sich den Wind zunutze - er ist also mitten drin im Fluss des Springens. Das hilft auch in diesen windigen Tagen von Lahti, und es entspricht natürlich dem Zustand von möglichst wenig Ablenkung und maximaler Selbstsicherheit, den Schmitt, der Weltmeister von 2001, empfiehlt.

Dieses Bei-Sich-Bleiben ist aber nicht nur eine luftig-wolkige Theorie, sondern auch konkret sichtbar, wenn ein guter Springer im Wind abheben muss. Severin Freund, der Titelverteidiger von der Großschanze, der wegen eines Kreuzbandrisses diese WM verpasst, beherrscht diese Kunst zum Beispiel sehr gut, sagt Schmitt: "Freund hat fast immer ein stabiles System." Ist er mal in der Luft, dann wackelt er nicht, dann tragen ihn seine symmetrisch ausgestellten Ski wie Schienen. Anders als die Fußgelenke und Beinmuskeln sollte der Oberkörper dagegen möglichst locker bleiben, um die Kräfte des Himmels auszugleichen, erklärt Schmitt. Im Idealfall kann einem dann der finnische Wind nichts anhaben, egal aus welcher Richtung er bläst.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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