Skispringen:Gut gelandet

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Beachtliche Verfassung: Andreas Wellinger gewinnt beim Weltcup in Russland – wie Richard Freitag, der auch noch einen zweiten Platz holt. (Foto: Jan Eibner/Imago)

Aus Russland nehmen die deutschen Springer zwei Siege und die Gesamtweltcup-Führung mit. Das liegt an jahrelanger harter Arbeit.

Von Volker Kreisl, München

Skispringer tun alles dafür, um möglichst schnell hoch hinaus zu kommen. Sie krümmen sich in der Anlaufspur zusammen, um Tempo aufzunehmen. Dann springen sie schräg nach vorne weg ein paar Etagen hoch in den Himmel und legen sich auf die Luft, von der sie im Idealfall erst ganz unten, jenseits der zweiten roten Linie, wieder herabspringen.

Dafür üben sie den ganzen Sommer über, trainieren Sprungkraft, suchen nach Fehlern, verbessern ihr Material. Im Kopf eines Skispringers dreht sich alles ums Abheben. Auch bei Andreas Wellinger (Weißbach), Richard Freitag (Aue) und Markus Eisenbichler (Siegsdorf), die nun ungewöhnlich früh schon sehr gut sind. So lässig fliegen sie dem Rest der Welt in der Luft momentan voraus, dass man sich fragt, woran es liegt. Womöglich daran, dass sie insgesamt im Leben ein bisschen gelandet sind.

Schon bei den ersten Weltcups in Wisla/ Polen und Kuusamo/Finnland zeigten die Deutschen frühe Stabilität - in einer Phase, in der alle noch ein bisschen probieren. Sie tummelten sich unter den besten 15, mit dabei waren sogar die bisherigen Zweite-Reihe-Flieger Karl Geiger (Oberstdorf) und Pius Paschke (Kiefersfelden). In Wisla gelang Freitag ein vierter Platz, in Kuusamo wurde Wellinger Dritter. Dann reisten Bundestrainer Werner Schuster und seine Springer weiter in den Osten, nach Nischni Tagil/Russland im mittleren Ural. Ein aufwendiger Abstecher in die Kälte ist das, der den meisten Springern nicht wirklich passt. Die Deutschen werden Nischni Tagil jedoch ab sofort lieben.

Ihre Bilanz: Zwei Siege und einmal Rang zwei. Dazu noch zwei vierte und zwei weitere Top-Ten-Plätze. Am besten sprang Richard Freitag, der am Samstag gewann und am Sonntag Zweiter wurde, deshalb führt er jetzt auch im Gesamtweltcup - für Anfang Dezember durchaus nicht undeutlich mit 31 Punkten. Auf Platz zwei liegt Wellinger, der Sieger vom Sonntag, seinerseits 19 Punkte vor dem Norweger Daniel Andre Tande. Markus Eisenbichler, der Platz drei am Sonntag knapp hinter Weltmeister Stefan Kraft/Österreich verpasst hatte (Kraft kam auf 263,5 Punkte, Eisenbichler auf 263,2), ist Neunter im Gesamt-Ranking, Geiger steht auf Position elf.

Kraft sagt, es sei derzeit "unglaublich schwer, die Deutschen zu schlagen". Schuster nannte den Gesamtauftritt "fast historisch" - tatsächlich ist er ein bisschen geschichtsträchtig. Zuletzt gelang so ein Saisonstart den Deutschen vor 17 Jahren, nämlich Martin Schmitt und Sven Hannawald, und an deren Erfolgen wird seitdem ja jeder DSV-Springer gemessen. Die vier Besten vom Wochenende dürften am kommenden Samstag beim Weltcup in Titisee-Neustadt im Schwarzwald beim Teamspringen die Norweger herausfordern.

Alle, auch der Oberstdorfer Geiger, haben in den vergangenen Jahren einen schmerzhaften Reifeprozess durchgemacht, der offenbar jedem Skisprungtalent blüht; aus Slowenien steckt beispielsweise gerade das Großtalent Domen Prevc mitten drin. Wellinger hatte bis Anfang dieses Jahres noch mit den Auswirkungen seines brachialen Sturzes von Kuusamo 2014 zu tun, ehe er sich endgültig daraus befreite. Eisenbichlers große Selbstzweifelphase begann bei der Tournee 2014/2015, direkt nach seinen ersten Top-Ten-Plätzen. Und Richard Freitag hatte zwei Formkrisen, einmal in der Olympiasaison 2014, und vergangenen Winter, nach einem misslungenen Materialwechsel.

Das Skisprungsystem des Deutschen Skiverbands ist fein genug ausbalanciert, dass für derartige Durststrecken Zeit und Raum ist. Jeder der drei konnte in Ruhe seine Schwächen bearbeiten, der allzu ehrgeizige Eisenbichler verabschiedete sich zwischenzeitig sogar in den zweitklassigen Continental-Cup. Immer brachte dafür ein anderer Spitzenleistungen, vorletzten Winter noch Severin Freund, als der sich dann das Kreuzband riss, sprang Wellinger aufs Podest. Und in diesem Winter, da Freund seinen zweiten Kreuzbandriss auskuriert, ersetzen ihn womöglich drei.

Schuster sagt über Eisenbichler: "Er hat gemerkt, dass er nicht zu wenig wollte, sondern eher zu viel." Über Wellinger: "Er hat nach Kuusamo erkannt, dass es mit der Art des Bruder Leichtfuß nicht weiter geht." Über Freitag: "Er ist noch jung und trotzdem schon sehr reif."

Über die Gesamtlage sagt Schuster, man dürfe jetzt auch nicht zu euphorisch werden, denn die Gegner seien nun herausgefordert. Der Konkurrenzkampf geht immer weiter, was im Skispringen dagegen eher nicht droht, ist ein Einbruch aufgrund falschen Formaufbaus. Die Skispringer planen nicht - wie etwa die Langläufer - ihre Bestform für einen Saisonhöhepunkt, sagt Schuster. Sie versuchen vielmehr, ihr System aus Technik und intuitivem Timing zu vervollständigen, und dann so lange wie möglich zu genießen. Das ist offenbar gelungen.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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