Skispringen: Gregor Schlierenzauer:Profi im Träumeerfüllen

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Ein großes Talent, ein boulevardtauglicher Spitzname und eine gnadenlose Zielstrebigkeit: Beeindruckend nähert sich Gregor Schlierenzauer seinem Ziel - eine "Ikone" zu sein.

Thomas Hahn

Die Feierlichkeiten zum Triumph sind nicht viel mehr gewesen als das friedliche Nachglimmen eines erfolgreichen Tages mit etwas Bier und freundschaftlichem Beisammensein. Gregor Schlierenzauer kennt es nicht anders während der Saison, vor allem weiß er, dass es gar nicht anders geht in seinem Beruf als österreichischer Siegskispringer. Er gewinnt einfach zu viel, als dass er sich zu sehr der Freude hingeben könnte, er würde sonst die Konzentration aufs Wesentliche verlieren, was sein Sport schwer verzeiht und außerdem schlecht zu Schlierenzauers Nebenjob als jugendliches Vorbild passen würde.

Gregor Schlierenzauer hat den Weltcup gewonnen. (Foto: Foto: AFP)

Also: Ruhig klang sein Sonntag im Kreise der Mannschaft aus, nachdem er sich mit seinem Sieg im Skifliegen von Vikersund im Gesamtweltcup vor dem Schweizer Simon Ammann uneinholbar ihn Führung gebracht hatte. Chillen im Luxusbus auf der Fahrt ins Drammener Teamhotel. Treffen in der Hotelbar. Abendessen in einer Pizzeria. Heimflug am nächsten Tag. Ehe am Donnerstag in Planica die Qualifikation zum Saisonfinale stattfindet.

"Ein Traum ist wahr geworden", hat Gregor Schlierenzauer zu seinem Weltcupgewinn gesagt und damit von der Tatsache abgelenkt, dass er gar kein Träumer ist. Er hat ein ziemlich nüchternes Verhältnis zu seinem Talent, das nicht nur Österreichs Skisprungdirektor Toni Innauer "ein noch nie dagewesenes" nennt. Längst hat Schlierenzauer begriffen, dass er so etwas wie eine positive Entgleisung der Natur ist mit allen körperlichen und motorischen Vorzügen, die ein fliegender Mensch haben kann. Um die üblichen Ziele eines Skispringerlebens, Olympiasieg, WM-Titel, solche Sachen, geht es ihm deshalb fast schon gar nicht mehr, die scheint er automatisch von sich zu verlangen. Ihn interessiert das große Ganze. Schlierenzauer sagt: "Das Ziel ist es, irgendwann mal eine Ikone zu sein."

Deswegen ist so schnell auch nicht abzusehen, dass er den Kopf verliert vor lauter Erfolg, obwohl er erst 19 ist und schon drei WM-Titel im Team, Gold bei der Skiflug-WM sowie 23 Weltcupsiege bei 69 Einsätzen geholt hat. Behutsam hat ihn der Österreichische Skiverband mit Hilfe der Eltern und Onkel/Manager Markus Prock eingeführt ins Prominentenleben, nachdem der ÖSV in den neunziger Jahren aus Erfahrungen mit dem früh zu Weltcupehren gekommenen Andreas Goldberger gelernt hatte; der Nationalgoldi musste seinerzeit Kokainkonsum einräumen.

Hinter dem boulevardtauglichen Spitznamen Schlieri hingegen verbirgt sich ein gnadenlos zielstrebiger Sportprofi. Wenn man Gregor Schlierenzauer fragt, wie er seine Form auf lange Sicht halten wolle, antwortet er: "Ich täte nicht sagen konservieren. Sich weiterzuentwickeln ist die große Herausforderung." Er hält sich nicht für perfekt, deshalb bleibt er rege. "Ich glaube, es gibt immer irgendetwas zu verbessern."

So wie es aussieht, können nur Verletzungen und der Wind ihn stoppen, und das ist dann wohl auch der Grund dafür, dass Schlierenzauer sich offen gegen die Richter seines Sports stellt, mit Vogelzeigen im Zielraum wie am Samstag in Vikersund und forschen Reden wie kürzlich bei der WM in Liberec, als der Sturm den zweiten Durchgang von der Großschanze verblies und nur der erste mit Schlierenzauer auf Platz vier in die Medaillenwertung einging ("Ich war eher schon zerstört").

Anlaufgeschwindigkeiten, die andere angenehm ins Fliegen bringen, können für Schlierenzauer riskant sein, wenn er bei Aufwind den Absprung richtig trifft. Wenn die Jury wiederum abwartet, bis Aufwindphasen abflauen, damit Schlierenzauer nicht zu weit springt, ist die Chancengleichheit aufgehoben. Man könnte das Problem das Schlierenzauer-Dilemma nennen.

Schlierenzauer ist nicht nur einmal Opfer solcher Kapriolen geworden und er schimpft, dass der Weltskiverband Fis in schwierigen Situationen zu wenig an die Athleten denke. Er ist für Mitbestimmung bei Entscheidungen über Abbruch oder Anlaufverkürzung, wobei er diesen Vorstoß gleich selbst mit seiner Jugend entschuldigt: "Als 19-Jähriger stelle ich mir das so vor." In der Praxis weiß Gregor Schlierenzauer wohl selbst, dass sein Sport heillos überfordert ist mit den Gewalten des Wetters. Und mit seiner ungewöhnlichen Kraft.

© SZ vom 17.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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