Skispringen:Fortschritte auf der Baustelle

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Winterliche Bilder, herbstliche Temperaturen: Zwar wird es zum Weltcup-Auftakt in Klingenthal kälter, doch Severin Freund landet noch auf Kunstschnee. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Die deutschen Skispringer haben im Sommer erfolgreich an Teilen ihres Setups gefeilt.

Von Volker Kreisl, Klingenthal

Die erste große Baustelle des Skisprungwinters war im letzten Moment abgeschlossen worden. Um vier Uhr morgens waren einige verwegene Schanzenarbeiter in der Vogtland-Arena von Klingenthal angerückt, um auf einem 35 Grad steilen Hang unter gehörigem Zeitdruck und bei Minusgraden aus Kunstschneeresten eine verwendbare Skisprungschanze zu fertigen. Doch alle Nachtschichtler waren froh - über den Schnee, den der Regen und die Wärme noch übrig gelassen hatten, und vor allem über die bittere Kälte um vier morgens, die sich im letzten Moment über Sachsen gelegt hatte. Der Schnee konnte somit sicher verarbeitet werden und die Skisprungsaison beginnen - mit ihren weiteren 71 Baustellen.

So viele Springer waren zum Auftakt der Weltcupsaison in Klingenthal gemeldet, jeder mit seinen eigenen Umbauarbeiten beschäftigt. Die Springer haben im Sommer an diversen Teilen ihres neuen Setups gefeilt, jenes nie ganz fertigen, äußerst fragilen Zusammenspiels von Form, Sprungtechnik und neuem Material. Niemand lässt sich dabei in die Karten schauen, jeder ist gespannt auf den Auftritt der Konkurrenten und die ersten aussagekräftigen Ergebnisse des Winters. 12 Stunden nach den Schneeschiebern kamen am Samstag also die Springer zum Teamwettbewerb, und aus Sicht der Deutschen sind alle Umbauten des Sommers offenbar schon recht weit fortgeschritten. Die Mannschaft von Bundestrainer Werner Schuster, bestehend aus Andreas Wellinger, Andreas Wank, Richard Freitag und Severin Freund, gewann wie im vergangenen November den ersten Wettbewerb der Saison. Zweiter wurde das Team aus Slowenien, auf Rang drei kamen, bereits mit deutlichem Abstand, die Österreicher.

Wellinger plumpst eher, als dass er landet - und greift beinahe in den Schnee

Der Wettkampf hatte aus deutscher Sicht mit einem Lapsus begonnen, der Zweikampf zwischen der Auswahl des Deutschen Skiverbands (DSV) und der von Slowenien entwickelte sich somit erst gegen Ende des ersten Durchgangs. Andreas Wellinger, der nach seinem schweren Sturz in Kuusamo im Dezember 2014 ein knappes Jahr des Wiederaufbaus hinter sich hat, war als erster Deutscher in die Spur gegangen, er erreichte mit 128,5 Metern eine ordentliche Weite, geriet dann aber in Vorlage, plumpste eher, als dass er landete - und vermied gerade noch einen Griff in den Schnee.

Wellinger steigerte sich im zweiten Durchgang, maßgeblich für den Sieg war aber die Leistung von Richard Freitag und Severin Freund; wobei Freitag den Rückstand aufholte und Freund vollendete. Beide haben Veränderungen an ihrem Schanzenauftritt vorgenommen. Freunds Neuerung ist eher marginal, er springt mit einem anderen Bindungsmodell, das ihm in der Luft mehr Stabilität verleiht. Freitag hat dagegen seinen Stil komplett umgebaut. Er peilt seit Wochen eine flachere Flugkurve an, und in Klingenthal gelang ihm nun mit 138 Metern die zweitgrößte Weite hinter dem Slowenen Peter Prevc (139). Sollte Freitag die Form vom Samstag noch ausbauen, erstmals beständiger werden und auf diesem Niveau weiter springen, zählt er zu den Mitfavoriten in dieser Saison. "Ich bin mit der Vorbereitung zufrieden, mit dem Auftakt bin ich es auch, jetzt muss ich mein System noch mehr festigen", sagte er.

Die Österreicher? "Ich mach' mir da jetzt kaan Kopf"

Vom hohen Jubel - und Kassenstandpegel, vom Werbeeffekt her, bot Klingenthal mit knapp 8000 Zuschauern wieder jenen Effekt, den sich der Weltverband Fis erhofft. Die Verlegung des Saisonauftakts aus Finnland in den schneeunsicheren mitteleuropäischen Spätherbst muss sich ja lohnen.

Sportlich gesehen sollte man die Darbietungen und Resultate aber nicht zu hoch bewerten. Mit dem slowenischen Team, das in Domen Prevc, dem jüngeren Bruder von Peter, ein weiteres hochkarätiges Talent präsentierte, ist in diesem Winter stark zu rechnen. Genauso mit den Österreichern, obwohl sie wie schon im vergangenen Jahr im Kampf um den Sieg in Klingenthal keine Chance hatten. Sie landeten sämtlich zu früh, mit Kopfschütteln und enttäuschten Grimassen, sie wissen aber auch, an welchen Stellen sie sich noch entwickeln müssen. Gregor Schlierenzauer, der Rekordsieger im Weltcup, dessen Bestweite in Klingenthal nur 125 Meter betrug, blieb stellvertretend für das österreichische Team demonstrativ gelassen, er sagte: "Ich mach' mir da jetzt kaan Kopf."

© SZ vom 22.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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