Ski-WM:Hoch Felix

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Ein glücklicher Felix Neureuther, eine maue deutsche Bilanz und einige schillernde Charaktere - Eindrücke von der Ski-WM.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Die Nachbereitung eines alpinen WM-Rennens kann ganz schön kompliziert sein, zumal, wenn ein Fahrer überraschend eine Medaille aus dem Rennen trägt. Der Österreicher Manuel Feller wirkte also etwas ratlos, als er am letzten WM-Tag in St. Moritz im Zielraum auf die unvermeidlichen Feierlichkeiten angesprochen wurde. "Ich hatte nicht so viel Zeit zum Planen", sagte der Zweite des Slaloms, vielleicht, fügte er an, feiere er "mit dem Vogel neben mir". Gemeint war Felix Neureuther, der Dritte. Neureuther verzichtete höflich. Er wolle bei den Menschen sein, die ihm wichtig sind, sagte er, bei seiner Freundin, die sich oft zurückgenommen habe, als es ihm zuletzt nicht so gut ging, so dass in einem Artikel gar Neureuthers Teamkollege Linus Straßer als letzte Hoffnung für den Slalom am Sonntag ausgerufen worden war. "Da habe ich gedacht: Puh, das geht aber jetzt ein bisschen zu schnell mit dem Generationswechsel", sagte Neureuther später im deutschen Haus. Dann fuhr er nach Hause, umweht von stiller Genugtuung. Nicht, weil es sein sportlich größter Erfolg war. Aber womöglich der letzte bei einer WM. Und jetzt?

„Der wahre Spielplatz ist draußen“: Felix Neureuther, mit 13 Siegen erfolgreichster deutscher Fahrer im alpinen Ski-Weltcup. (Foto: Alexis Boichard/Getty Images)

Neureuther hatte vor vier Jahren seine erste Einzelmedaille gewonnen, WM-Silber in Schladming. Danach ging es darum, das, was er gerade begonnen hatte, noch ein paar Jahre weiterzuführen: Talent und Können mit mentaler Stärke zu paaren, wenn es zählt. Vier Jahre und zwei WM-Bronzemedaillen später, geht es bestenfalls noch darum, sein Werk zu schleifen, zu polieren, bis zu den Winterspielen 2018; danach ist wohl Schluss. Er strahlt ja längst über den Sport hinaus, auch, weil er den Sport nicht nur dazu nutzt, es den Zweiflern noch mal zu zeigen. Es mag staubig klingen, aber er vertritt halt eine Haltung, kritisiert Funktionäre für Olympia-Vergaben, reicht Verbesserungsvorschläge ein. "Die Schweizer sind jetzt nicht gerade die größten Deutschland-Fans", sagte Alpindirektor Wolfgang Maier in St. Moritz, "aber der Felix kommt und wird einfach geliebt." Und ein Großanlass bleibt ihm ja noch, für eine letzte, ausgiebige Feier.

Viktoria Rebensburg, beladen mit ähnlich großen Erwartungen wie Neureuther, trug aber nur einen vierten Platz im Super-G in die Wertung. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Tief Viktoria

Natürlich habe er geweint, sagte Wolfgang Maier, der deutsche Alpindirektor, sie hatten am Sonntag ja alle geheult, nach der Bronzemedaille von Felix Neureuther: Trainer, Betreuer, Eltern, Athleten, vor dem Zaun im Ziel, dahinter sowieso. "Aber nur ein bissel", schob Maier nach. Nicht, dass er sich eingegraben hätte, wenn seine Abteilung ohne WM-Medaille abgereist wäre, zum ersten Mal nach 2007. Aber ein wenig materielle Entlohnung sei schon auch wichtig, fand Maier, für alle Menschen hinter der Medaille, "in der härtesten Wintersportart, in der es so brutal zugeht wie nirgendwo anders". Ansonsten hielt es Maier in seiner Evaluierung so, wie er es immer hält: ungeschminkt, direkt. Neureuthers Teamkollegen hatten sich in den Technik-Wettbewerben der Männer wechselhaft präsentiert, langfristig machen sie sich um dieses Ressort aber die geringsten Sorgen, Linus Straßer und Stefan Luitz, beide 24, führen große Begabungen mit sich. Die Schnellfahrer schafften in der ersten WM-Woche gar eine Oase der guten Laune, das hatte es zuletzt 2001 gegeben, Andreas Sander wurde Siebter und Achter. Viktoria Rebensburg, beladen mit ähnlich großen Erwartungen wie Neureuther, dem zweiten Rennpferd im DSV, trug aber nur einen vierten Platz im Super-G in die Wertung. So wurde die Lücke, die seit einer Weile hinter ihr klafft, noch einmal besonders sichtbar, im Speed-Bereich und im Riesenslalom der Frauen. Man habe eine Menge "Nachholbedarf", sagte Maier, mehr wollte er nicht sagen, man werde sich nach der Saison zusammensetzen. Ohne Emotionen und Tränen.

Hirschers Bürde

Warum, fragte der Standard, kann ein Belgier nicht gegen einen halben Holländer gewinnen? Gute Frage. Der Belgier war Dries van den Broecke, der im Teamwettbewerb sein Erstrundenduell gewann, eine Fußnote. Aber dieser halbe Holländer war halt ein gewisser Marcel Hirscher, niederländische Wurzeln, ansonsten aber voll und ganz Österreicher, nebenbei der dominante Skirennfahrer der vergangenen Jahre. Der 27-Jährige hatte es also gewagt, sein Duell gegen den unbekannten van den Broecke zu verlieren, Häme floss durch die digitalen Weiten und in manche Artikel. Dass die Niederlage auf dem kurzen Parcours wenig Aussagekraft in sich trug? Egal. Hirscher war verärgert, am Ende gab es Wichtigeres, aber in seiner Niederlage spiegelte sich auch die ambivalente Beziehung zu seinen Beobachtern: Hirscher muss immer gewinnen, weil er halt ständig gewinnt. Und wenn er das nicht schafft, schlägt die Stimmung schnell um, zumal in der Skination Österreich. Vielleicht auch, weil der 27-Jährige eben vor allem für zwei Dinge steht: Skifahren und Rekorde. In St. Moritz gewann er dann jedenfalls noch Silber in der Kombination, Gold im Riesenslalom und Slalom; dieses Double war zuletzt Alberto Tomba gelungen, 1996. Ob er erleichtert sei, wurde Hirscher am Sonntag gefragt? "Wenn da so ein Großereignis hinter einem liegt, ist das die schönste Zeit", sagte er. "Bis zum nächsten Mal, wenn die Diskussionen und die Fragen wieder losgehen, wer die Goldene holt. Das ist das Radl, das sich dreht."

Sofia Goggia erstand Italiens einzige Medaille. (Foto: imago/GEPA pictures)

Beinahe geheult

Eine Ski-WM bringt wenige Gewinner und viele Verlierer hervor, anders als in einem Fußball-Finale, in dem sich Freud und Leid gleichmäßig auf zwei Parteien verteilen. In St. Moritz waren die notorisch erfolgreichen Norweger Experten für Traurigkeit, sie wurden fünf Mal Vierte. Andere Athleten wiederum lernten beides kennen, Sofia Goggia etwa, die Italiens einzige Medaille erstand. Goggia wirft sich immer mit der Kraft des Risikos in ihre Läufe, in der Abfahrt malte sie die mit Abstand schnellste Fahrt in den Schnee - dann kreuzten sich ihre Skispitzen. Sie stürzte fast, Platz vier. Und dann? Platz drei im Riesenslalom. "Ich hätte beinahe geheult", sagte Goggia, wobei, das stimme nicht: "Ich habe tatsächlich geweint." Die 24-Jährige war in ihrer Karriere für ihren Übermut oft bestraft worden, "ich habe es oft übertrieben", vier Mal wurde sie am Knie operiert. Erst seit diesem Winter habe sie gelernt, "ihren Kopf an manchen Stellen zu nutzen". Seitdem ist sie ins warme Licht des Erfolgs gerückt, neun Mal stand sie bislang auf dem Podium. Den Überschwang hebt sie sich jetzt für die Zeit neben der Piste auf, im Dezember, nach zwei Podestplätzen in Val d'Isère, sprang sie vollbekleidet ins Schwimmbad. Sie beherrscht drei Disziplinen, Super-G, Abfahrt, Riesenslalom, sie könnte bald eine für den Gesamtweltcup sein. Gesamtweltcup? "Ich fühle mich gut und genieße gerade jede Sekunde meines Lebens", sagt Goggia. Sie weiß, wie schnell in ihrem Sport alles vorbei sein kann.

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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