Ski-Spektakel in Kitzbühel:Ein Fehler - und ab in den Hubschrauber

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Fahren oder fliegen? Der Franzose Adrien Theaux schafft es im Super-G dennoch ins Ziel. (Foto: dpa)

Die Streif in Kitzbühel ist die spektakulärste und gefährlichste Skipiste der Welt. Zur 75. Auflage der Abfahrt bauen die Organisatoren bereits abgeschaffte Schwierigkeiten wieder ein. Damit die Promis ihren Spaß haben?

Von Matthias Schmid, Kitzbühel

Bode Miller spazierte im Rennanzug durch das Ziel, die Stöcke in der linken Hand, die Skier in der rechten. Der Amerikaner sah am Freitagmittag aus wie ein Rennläufer, der soeben den Super-G in Kitzbühel hinter sich gebracht hat. Ein paar Meter hinter ihm trotteten Ehefrau und Sohn. Das hatte etwas von Winterurlaub in den Tiroler Alpen.

Miller, Olympiasieger in der Kombination, war ohne Zeitnahme über die Ziellinie gefahren, er hatte entspannt abgeschwungen, er war als Vorläufer des US-Senders NBC Sports mit Kamera die Streif hinabgefahren. Ohne Druck. Ganz locker. Wie ein Tourist.

Der 37-Jährige soll seinen Landsleuten am Samstag das berühmteste Abfahrtsrennen per Kamerafahrt näherbringen. Das ist der Plan. Aber Cheftrainer Sasha Rearick ist nicht mehr sicher, ob Miller das auch so sieht. Im Abschlusstraining war er am Donnerstag auf den sechsten Platz gerast. "Es wird Diskussionen geben", bekannte Miller daraufhin. Darum, ob er nicht doch im Rennen starten solle statt als Vorläufer mit Kamera. Rearick erwiderte: "Bode ist noch nicht rennbereit."

Im November lag Miller noch auf dem Operationstisch, die Ärzte hatten ihm Fragmente der Wirbelsäule entfernt, er hat noch kein Rennen bestritten in dieser Saison. Rearick findet, dass es ein zu großes Risiko sei, hier zu starten. Es ist nicht irgendein Rennen, es ist das gefährlichste im Weltcup. Die Streif gönnt keine Ruhephasen, kein Verschnaufen, die Teilnehmer bewegen sich permanent am Limit, ein kleiner Fehler kann große, schwerwiegende Folgen haben.

"Die Streif hat Leute zerstört", sagt der ehemalige Kitzbühel-Sieger Daron Rahlves, "sie hat Leute aber auch auf ein neues Level gehoben." Es ist genau diese Ambivalenz, die das Rennen in 75 Jahren seines Bestehens zu einem Mythos gemacht hat, zu einem Spektakel. Einen Sieg dort bewerten die Rennfahrer höher als einen Weltmeistertitel.

Der Super-G am Freitag war die Ouvertüre der Hahnenkammrennen, allein bei der Abfahrt am Samstag werden mehr als 50 000 Menschen den Zielraum füllen, darunter viele Mitglieder der Bussi-Gesellschaft. Nur Arnold Schwarzenegger wird diesmal fehlen. Mausefalle, Steilhang, Alte Schneise, Seidelalmsprung, Lärchenschuss, Hausbergkante, Traverse und Zielschuss sind Passagen, die jedem Rennläufer ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn sie darüber reden. "Das ist einfach ein Kindheitstraum, dort fahren zu dürfen", sagt der Deutsche Josef Ferstl.

Für viele seiner Kollegen hat sich das Rennen allerdings als Albtraum entpuppt. Der Schweizer Daniel Albrecht oder der Österreicher Hans Grugger stürzten auf der eisigen, ruppigen Piste so schwer, dass sie erst nach einer langen Leidenszeit, nach Wochen im künstlichen Koma, ins Leben zurückfanden. "Du musst Mut aufbringen für etwas, vor dem du Angst hast", sagt Olympiasieger und Weltmeister Aksel-Lund Svindal.

Auch im Super-G, den der Südtiroler Dominik Paris vor den beiden Österreichern Matthias Mayer und Georg Streitberger gewann, musste der Helikopter einen Starter wegbringen, der Schweizer Marc Gisin stürzte bei der Hausbergkante, überschlug sich, verlor kurzzeitig sein Bewusstsein und verletzte sich am Kopf. Der Schweizer Verband gab später bekannt, Gisin habe ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma erlitten, das von den Ärzten als unbedenklich eingestuft werde. "Gisin wird aus Gründen der medizinischen Seriosität ins Spital von Innsbruck geflogen, wo er in den kommenden Stunden besser überwacht werden kann als im Bezirkskrankenhaus St.Johann."

Die Torabstände waren weiter gesteckt als sonst, die Geschwindigkeiten höher. "Das ist ja fast eine Abfahrt", stellte Technikspezialist Marcel Hirscher fest.

Vor Gisin schon hatten einige an der gleichen Stelle einen Sturz gerade noch verhindern können. Hirscher war einer von ihnen, auf einem Bein war er aufgekommen, das andere flog quer in der Luft. Vom Ziel aus konnte man die Szene erleben, die Zuschauer raunten, fast so, als würde ein Magier einen Tiger hervorzaubern.

Die Besucher wollen den Nervenkitzel sehen, sie haben Gefallen an diesem Höllenritt. Doch wie weit dürfen die Organisatoren gehen? Wann hört das gefährliche Spektakel auf, wo beginnt der unkalkulierbare Wahnsinn? Nach dem ersten Training hatten Hannes Reichelt, Vorjahressieger in der Abfahrt, und andere kritisiert, dass sie über die Mausefalle bis zu 60 Meter gesprungen waren. "Die Strecke ist im Moment ziemlich gefährlich", fand Reichelt. Im zweiten Übungslauf war der Sprung entschärft.

Den Zielschuss hingegen haben die Renndirektoren des Ski-Weltverbandes Fis wieder in seiner ursprünglichen Form und Größe eingebaut. Nach dem schweren Sturz von Daniel Albrecht vor sechs Jahren hatten die Verantwortlichen noch Erde abgetragen, pünktlich zur 75. Auflage ist es wieder ein richtiger Hügel.

Hausberg und Zielschuss werden wieder gefahren wie früher, sagt Renndirektor Peter Obernauer: "Wir hoffen, dass das 75er-Jubiläum auch das Spektakel wird, das wir gerne abliefern möchten." Der Zielsprung sei "schön und harmonisch", fügt er hinzu. "Das ist nichts Gefährliches, sondern etwas sportlich Schönes und gehört zu Kitz dazu."

Wolfgang Maier, Alpindirektor des Deutschen Ski-Verbandes, kann über solche Aussagen nur den Kopf schütteln. Die Rennläufer, sagt er, würden auf der Streif ja schon an ihre Grenzen gehen. "Da muss man doch keinen killen für ein paar Promis im Tal."

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