Ski:Alpines Doppelleben

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Ski oder Snowboard? Sie müsse sich für eine Karriere entscheiden, bekam Ester Ledecka immer zu höhen. Die 22 Jahre alte Tschechin wählte beides. Nun wird die Snowboard-Weltmeisterin sensationell Olympiasiegerin im Super-G.

Von Johannes Knuth

Der ehemalige Skiprofi Bode Miller hat seinem Sport viele große Momente auf der Piste hinterlassen, und mindestens genauso bekannt (oder berüchtigt) war der Amerikaner für seine Auftritte daneben. Zum Beispiel, wenn Miller mit seinen Teamkollegen einer Pressekonferenz beiwohnte und Reporter abkanzelte, die ihm nahelegten, seinen zirkusreifen wie hochriskanten Fahrstil zu zügeln. Für die Teamkollegen war das oft wie bei einem Familiendinner mit dem angetrunkenen Onkel. Man sah es ihm nach, wenn er etwas Peinliches sagte, er gehörte nun mal zur Familie.

"Es gibt Zeiten, in denen du auf andere Menschen hören musst", würde Miller den Kollegen später sagen: "Und es gibt Zeiten, da hörst du besser auf dich selbst."

Ester Ledecka trug eine weiße Skijacke und eine Mütze in tschechischen Landesfarben, als sie den Pressesaal in Jeongseon betrat. Eine schwarze Skibrille bedeckte ihr halbes Gesicht. "Ich habe kein Make-up drauf", erklärte die 22-Jährige ihre Maskerade, sie habe nicht damit gerechnet, das Protokoll einer Olympiasiegerin abarbeiten zu müssen. Dann berichtete sie, wie sie, eine der besten Snowboarderinnen der Welt, gerade den olympischen Super-G der Skirennfahrerinnen gewonnen hatte. "Die anderen hatten den Druck", sagte Ledecka, sie habe mit ihrer Teilnahme schon alles erreicht. Und überhaupt: "Ich denke nicht, dass ich so viel Talent habe, ich fahre den Berg runter und habe Spaß, seit ich ein Kind war." Natürlich in beiden Sportarten, warum nicht? Ledeckas größtes Talent ist, das spürte man bald, ein recht solides Selbstbewusstsein in ihr Tun.

Und am Ende sei es ja eh so, sagte sie: "Es geht beides Mal den Berg runter."

Mit Überhöhungen muss man vorsichtig sein im olympischen Betrieb, aber bei Ledecka ergab sich die historische Dimension von selbst. Noch nie hatte eine Snowboarderin zuvor bei denselben Winterspielen auch an einem Skirennen mitgewirkt, noch nie hatte jemand im Vorfeld ein derartiges alpines Doppelleben geführt. Ledecka gewann vor einem Jahr den WM-Titel im Parallel-Riesenslalom (in dem sie am Samstag favorisiert ist), unterdessen etablierte sie sich unter den besten 30 Abfahrerinnen der Welt. "Ich glaube fest daran, dass sie eine der größten lebenden Athleten ist", hatte ihr Snowboard-Trainer Justin Reiter im Vorfeld der New York Times gesagt. Am Samstag, Reiter dampfte vor Freude, sagte er im Zielraum: "Wenn eine so etwas schaffen kann, dann sie."

Nicht schneller als der eigene Schatten, doch im Super-G auf Rang eins: Ester Ledecka aus Tschechien. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Ledeckas Projekt kam nach den Olympischen Spielen vor vier Jahren ins Rollen. Sie zog ein Privatteam hoch mit einem Physiotherapeuten, Servicemann, diversen Trainern; das Geld floss vom Verband und Sponsoren. Reiter betreute sie in ihrer Hauptdisziplin, Tomas Bank und sein Bruder Ondrej - ein ehemaliger Skirennläufer - planten das Skitraining. Ledeckas Programm sah zum Beispiel so aus: Elf Tage Snowboard im November in Copper Mountain, zwei Tage Ski, dann zwei Snowboard-Weltcups in Copper. Transfer nach Kanada, drei Tage Skitraining, der Ski-Weltcup in Lake Louise (wo Ledecka zuletzt in der Abfahrt Siebte wurde). Klar, sagte Bank am Samstag, er hätte Ledecka gerne öfters bei sich. Andererseits sehe er nicht so sehr das, was sie verpasse. Sondern wie sich beide Sportarten ergänzen.

Wenn Ledecka nach einer Ski-Abfahrt zu einem Snowboard-Slalom reise, sagt Bank, habe sich ihre Geschwindigkeitsbarriere oft verschoben. Ihre Gegnerinnen kennen das ja nicht, wie man mit 100 Stundenkilometern einen Berg runterrauscht. Ledeckas Gespür für den Schnee speise sich wiederum aus dem Snowboarden: "Auf einem Alpinboard ist es viel härter, einen sauberen Schwung zu fahren", sagt Bank, die Fahrer carven auf einer Kante, ohne Stöcke. Ledecka sei oft körperlich müde, wenn sie zu ihm komme, aber mental halte die Abwechslung sie wach. "Sie genießt alles, was sie tut", so Bank, "von daher ist es egal, ob sie Snowboard fährt oder Ski. Sie macht beides mit vollem Herzen."

Der Einstieg in den Skisport war der härtere Teil. Die Fahrer brauchen oft Jahre, ehe sie die Tücken der Abfahrten und Super-Gs kennen. Ledecka debütierte vor zwei Jahren im Weltcup und verpasste viele Pistenbesuche, wegen des Snowboardens. Andererseits lernte sie schnell, und Olympia bevorzugt ohnehin Außenseiter, der Super-G diesmal vielleicht noch mehr als sonst: Die Fahrerinnen hatten kein Abfahrtstraining auf dem Hang in Jeongseon hinter sich, es gab vor dem Super-G nur eine Besichtigung (wie üblich). Viele leisteten sich Fehler, wie Lindsey Vonn oder Viktoria Rebensburg, die Zehnte wurde. Anna Veith, die lange führte, gab im Ziel schon Interviews ("Mein schönster Sieg"); die Österreicherin hatte sich vor drei Jahren so schwer am Knie verletzt, dass ein Karriereende im Raum stand. Dann kam Ledecka. Sauber, mutig, mit Risiko. Sie war im Ziel eine Hundertstel schneller, eine halbe Minute starrte sie fassungslos auf die Anzeigetafel.

„Ich habe kein Make-up drauf!“ So erklärte Super-G-Siegerin Ester Ledecka die dunkle Skibrille, die sie zur Pressekonferenz aufgesetzt hatte. (Foto: Stringer/Reuters)

Am Ende war das Geheimnis der Snowboarderin recht simpel: Sie war am Samstag am besten Ski gefahren.

Die drittplatzierte Tina Weirather erinnerte sich später im Ziel, wie sie Ledecka vor drei Jahren zum ersten Mal im Training sah. Ihr sei sofort diese Vielseitigkeit aufgefallen; Ledecka ist auch eine gute Windsurferin, spielt Beachvolleyball. "Es war eine Frage der Zeit, bis sie weiter vorne landen würde", sagte Weirather. "Mir haben ständig Leute gesagt, ich soll mich auf dieses oder jenes spezialisieren", hatte Ledecka vor zwei Jahren im Gespräch erzählt, "dann könnte ich noch erfolgreicher sein. Aber ich habe mich immer in beiden Disziplinen wohlgefühlt. Warum sollte ich eine aufgeben? Ich bin wie ich bin."

Oder frei nach Bode Miller: Es gibt Zeiten, in denen hört man besser auf sich selbst.

Ledeckas Sozialisation hatte freilich ihren Anteil, der Großvater war Eishockeyspieler, die Mutter Eiskunstläuferin. Vater Janek Ledecky ist in Tschechien für seine Musicals und Weihnachtslieder bekannt. Die Eltern hatten ein Ferienhaus in Spindlermühle, sie unterstützten die duale Karriere der Tochter so lange es ging.

Ester, sagte ihr Trainer Tomas Bank am Samstag, sei zuletzt oft noch als Tochter ihres berühmten Vaters wahrgenommen worden. Und jetzt? Ist Janek der Vater einer Olympiasiegerin.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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