Schwimmen:Zoff um die "Model"-Schwimmerinnen

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Zu dünn für die Weltspitze? Der Bundestrainer vermisst Kräfte bei den deutschen Kraulschwimmerinnen. (Foto: imago/Eibner)
  • Mit einer unsensiblen Äußerung löst Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz eine heftige Debatte aus.
  • Er findet, die deutschen Kraulschwimmerinnen sähen aus "wie kleine, dünne Models, aber nicht wie Sportlerinnen".

Von Saskia Aleythe

Ein Schönredner ist Henning Lambertz nicht. Schönzureden gab es ja auch nichts, als er Anfang 2013 seinen Job als Bundestrainer im Deutschen Schwimm-Verband antrat: Die deutschen Schwimmer waren 2012 bei Olympia in London ohne Medaillen geblieben und ziemlich verunsichert. Lambertz zeigte schnell, womit man bei ihm rechnen muss: "Es wurde in den vergangenen Jahren vergessen, viel und hart zu trainieren", tönte er. Zum Ende der nationalen Meisterschaften in Berlin fand der 45-Jährige nun, die Kraulschwimmerinnen sähen im internationalen Vergleich aus "wie kleine, dünne Models, aber nicht wie Sportlerinnen". Das saß.

Seitdem gibt es wieder ein Thema im deutschen Schwimmen, das bewegt - vor allem die Kraulschwimmerinnen, die nun enttäuscht bis wütend sind. Auch Britta Steffen, Deutschlands letzte große Kraulschwimmerin, äußert Unverständnis. Und so mancher Debattenverfolger stellt sich die Frage: Wer, wenn nicht der Bundestrainer, ist denn für die Verfassung seiner Athleten verantwortlich? Doch in dieser Diskussion ist es wie so oft im Schwimmen: kompliziert.

"Models, aber nicht wie Sportlerinnen"

Es waren entscheidende Wettkämpfe bei diesen Meisterschaften, es ging um die erste Teilnorm für die Olympischen Spiele. 16 Schwimmer und Schwimmerinnen haben sie in den Einzeldisziplinen erfüllt. Auch in fünf der sechs Staffeln wurden die geforderten Zeiten erreicht, von allen außer den Kraulschwimmerinnen über 100 Meter. "Das war's", sagte Lambertz prägnant.

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Eine weitere Chance zur Qualifikation gibt er den Schwimmerinnen nicht. Dass es im Kraulbereich so düster aussieht, "liegt daran, dass wir keine Kraft haben", sagte Lambertz dann. "Ich stelle mir daneben eine Sjöström, Ottesen oder die Campbell-Schwestern vor, daneben sehen unsere aus wie kleine, dünne", und hier machte er eine kurze Pause, "Models, aber nicht wie Sportlerinnen."

Die Schwedinnen Sarah Sjöström, 22 Jahre alt, Dänemarks Jeanette Ottesen, 28, oder Cate und Bronte Campbell, 23 und 21, aus Australien, sind alle Olympia-Siegerinnen oder Weltmeisterinnen über die 100-Meter-Distanz - und ziemlich muskulös. Anna Dietterle, 19, war in Berlin die Zweitschnellste über 100 Meter Freistil, sie findet die Kritik des Bundestrainers unfair.

Vor allem den Vergleich ihrer Figuren mit denen der Spitzenathletinnen; diese seien alle fünf bis sechs Jahre älter. Auch die Drittplatzierte Helen Scholtissek, 18, ist frustriert, zehn Stunden pro Woche verbringe sie im Kraftraum, nach all dem harten Training wirkt sie nun resigniert. "Wenn man es nicht schafft, die Jugend zu motivieren, stellt sich irgendwann die Sinnfrage", sagt sie.

Die Athletinnen stört nicht der unsensible Figuren-Vergleich am meisten, sondern dass sie nicht zu der in wenigen Tagen anlaufenden EM in London fahren dürfen. Dort hätte es nach internationalen Regularien noch eine Olympia-Chance gegeben. "Sie sind international nicht konkurrenzfähig", sagt Lambertz. Er will ein Team, das mithalten kann, die deutschen Olympia-Normen richten sich über alle Distanzen und Stile nach Platzierungen, die bei der WM 2015 zu Rang zwölf gereicht hätten. Eine Ausnahme für die Freistil-Staffel? Dafür gibt es kaum Argumente.

Aber zurück zur Muskeldebatte: Die 2013 zurückgetretene Kraulschwimmerin Britta Steffen mit ihren 23 gewonnenen Medaillen kann Lambertz' Kritik "nicht nachvollziehen". Sie findet: "Jeder muss so trainieren, dass er seine Stärken ausspielen kann. Ich war am schnellsten, als ich schlank und durchtrainiert war." Und dann führt sie noch einen interessanten Vergleich an: Alexandra Wenk und Dorothea Brandt, die die Olympia-Normen für Rio de Janeiro erfüllt haben, seien doch "Model-Schwimmerinnen".

Von der Optik auf Krafteinheiten schließen, ist ein schwieriges Unterfangen

Wer Dorothea Brandt gegenübersteht, der sieht sehr viel Muskelmasse und sehr wenig Modelmaße, die 32-Jährige absolviert seit vier Jahren genauso viel Krafttraining wie Schwimmeinheiten - und ist nun doch noch, im vergleichsweise hohen Sportleralter, auf dem Weg zu ihren ersten Olympischen Spielen. "Sie hat Masse aufgebaut, ist ganz bewusst schwerer geworden, um es über 50 Meter Brust doch noch zu schaffen", sagt ihre Trainerin Nicole Endruschat, "das muss man auch, wenn man im Sprint vorne mitmischen will."

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Vier Kilogramm Muskeln seien so dazugekommen, auch weil Brandt hervorragend auf das Training angeschlagen habe. "Das sind sehr extreme Kraftwerte für eine Frau", sagt Endruschat, "kann sein, dass es bei anderen so gar nicht funktionieren würde." Mancher Athlet baut trotz etlicher Einheiten im Kraftraum kaum Masse auf.

Von der Optik auf die Krafteinheiten zu schließen, ist also ein schwieriges Unterfangen. Lambertz weiß das natürlich, ihm ging es wohl auch eher um eine Analyse, warum sich der weibliche Nachwuchs gerade schwer tut - das ist mit den verpassten Normen offensichtlich. Als Britta Steffen und Franziska van Almsick noch für große Wellen sorgten, gehörte die 100-Meter-Freistil-Staffel zu den Prachtstücken im deutschen Schwimmen. Inwiefern der Bundestrainer nun für den Leistungsabfall eine Mitverantwortung trägt?

Bei seinen Kompetenzen verhält es sich wie im Fußball: Würde Joachim Löw den Fitnesszustand seiner Stürmer kritisieren, fiele der Blick zuerst auf den Verein des Spielers. Die Schwimmer trainieren das ganze Jahr über mit ihren Heimtrainern und nach deren Vorstellungen, Lambertz' Einfluss konzentriert sich auf die Trainingslager. "In der neuen Saison soll der Athletiktrainer viel mehr Kompetenzen an den Stützpunkten erhalten", sagte Lambertz noch. Dank einer Offensive zum Muskelaufbau soll es dann wieder mit der Weltspitze klappen.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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