Schweden:Flexibler ohne Fixpunkt

Lesezeit: 3 min

Gleichauf: Das Duell von Schwedens Emil Forsberg (l.) und Dänemarks William Kvist endet ohne Sieger. (Foto: Andreas Sandström/imago/Bildbyran)

Seit dem Rücktritt von Zlatan Ibrahimovic setzt der deutsche WM-Gegner Schweden erfolgreich auf Gruppendynamik.

Von Tobias Schächter, Stockholm

Auf der Titelseite der "VMBibeln", einer Beilage zur WM der Zeitung Aftonbladet, brüllt Emil Forsberg in Großaufnahme. Die Pose des Mittelfeldspielers der schwedischen Nationalelf soll entschlossen und furchterregend wirken - seit dem Rücktritt von Sturm-Ikone Zlatan Ibrahimovic ist der Profi von RB Leipzig schließlich das bekannteste Fußballgesicht in Schweden. Am Samstagabend hätte es daher in Stockholm zum Duell der derzeit aufregendsten Kicker Skandinaviens kommen sollen, aber beim Test gegen Forsbergs Schweden fehlte Dänemarks Spielmacher Christian Eriksen. Der Profi von Tottenham Hotspur wartete darauf, am Wochenende Vater zu werden.

Aber auch ohne Eriksen wirkten die Dänen beim 0:0 variabler und angriffslustiger als der Gegner, nach dem Abpfiff kommentierten die schwedischen Fans die schwache Leistung ihres Teams mit einem kurzen, aber deutlich hörbaren "Buh". Richtige Vorfreude in Schweden entfachte der vorletzte Test vor dem ersten WM-Spiel gegen Südkorea nicht - am nächsten Wochenende geht es in Göteborg zum Abschluss der Vorbereitung gegen Peru. Forsberg reagierte gelassen: "Das war kein gutes Spiel von uns", sagte er nach dem Abpfiff entspannt, die Mütze falsch herum auf dem Kopf. Aber: "Man hat auch gesehen, was wir können, Wir sind stark in der Defensive und verteidigen kompakt."

In Russland konkurrieren die Schweden mit Deutschland, Mexiko und Südkorea in der Gruppe F, und Emil Forsberg ist sich sicher: "Wir haben alle Chancen der Welt weiterzukommen." Erstmals seit 2002 treten die Schweden bei einem großen Turnier ohne ihren langjährigen Leithammel Ibrahimovic an. Noch im März hatte der Stürmer, mittlerweile als 36 Jahre alter Fußball-Oldie in den USA beschäftigt, mit einer Rückkehr ins Team kokettiert. Doch Trainer Janne Andersson und Kapitän Andreas Granqvist, 33, wiesen "Ibra" sanft zurecht. Und bei einer Umfrage des Aftonbladet votierten gut 65 Prozent der Befragten gegen eine Rückkehr ihres berühmtesten Landsmanns ins Nationalteam.

Auch mit dem vielleicht besten Fußballer ihrer Geschichte seien die Schweden bei einer WM nie über das Achtelfinale hinausgekommen, die letzten beiden Weltturniere seien sogar verpasst worden, gibt der ehemalige Weltklassetorwart Ronnie Hellström zu bedenken. Der 69-Jährige, in den 1970er-Jahren zwei Mal Schwedens Fußballer des Jahres und für den 1. FC Kaiserslautern 266 Mal in der Bundesliga aktiv, analysiert wohlwollend: "Das Spiel der Schweden ist nach dem Rücktritt von Ibrahimovic nicht mehr auf eine Person zugeschnitten. Die Mannschaftsleistung steht im Vordergrund, man ist wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt."

"Wir haben viel im Tank", sagt der neue Anführer Emil Forsberg

Für Forsberg ist das nur logisch, er sagt: "Wenn du Weltklasse verlierst, kannst du das nur über die Mannschaftsleistung ausgleichen." Mit diesem Kollektivgedanken sind die Schweden bislang weit gekommen. Bei der Bewertung dieser auf den ersten Blick gewöhnlichen Auswahl muss bedacht werden, dass sie nicht nur in den WM-Playoffs überraschend gegen Italien erfolgreich war - in der Qualifikationsgruppe ließen die Schweden auch die Niederlande hinter sich. Der Mann, der den Mannschaftsgeist seit den Rücktritten von Ibrahimovic und Trainer Erik Hamren predigt, ist der neue Coach Janne Andersson. Den IFK Norrköping führte der 55-Jährige mit diesen Prinzipien 2015 völlig überraschend zur Meisterschaft.

Das Spiel der Blaugelben ist ohne Fixpunkt Ibrahimovic in einer 4-4-2-Ordnung weniger bunt. Aber Andersson bleibt auch nichts anderes übrig, als über Teamgeist den Erfolg zu suchen. Außer Forsberg gibt es keinen Spieler von internationalem Spitzenformat. Im Angriff ruhen die Hoffnungen auf den Routiniers Marcus Berg und Ola Toivonen, beide 31. Berg, einst beim HSV in der Bundesliga, verdient sein Geld in den Vereinigten Arabischen Emiraten - Toivonen erzielte in dieser Saison kein einziges Ligator für den FC Toulouse.

Alternative John Guidetti ist nach einem Foul von Granqvist im Training erst mal verletzt. In der Abwehr zeigte Victor Nilsson Lindelöf auch gegen Dänemark jene Konzentrationsschwächen, die ihn bei Manchester United den Durchbruch kosteten. Im Tor aber feierte Robin Olsen nach einem Schlüsselbeinbruch ein starkes Comeback. Schweden spielt ohne Ibrahimovic also anders, aber auch besser?

Forsberg will sich kurz vor der WM von der Debatte um fehlende Kreativität im schwedischen Spiel nicht verrückt machen lassen, er sagt: "Wir haben ein Konzept gefunden, das funktioniert, darauf bauen wir auf." Gerüchte über einen möglichen Weggang aus Leipzig und kolportierte Angebote vom FC Arsenal oder Juventus Turin kommentiert Forsberg nicht, er will sich auf die WM konzentrieren. Und er sagte leise, aber bestimmt: "Wir haben noch viel im Tank. Keine Sorge, auch das Spiel nach vorne kommt noch."

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: