Saisonstart der Biathleten:Kam der Ausnahmewinter im Biathlon ein Jahr zu früh?

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Laura Dahlmeier: Fünf WM-Medaillen in Hochfilzen und Sieg des Gesamtweltcups - schwer zu toppen bei Olympia (Foto: dpa)
  • In Östersund startet der Weltcup der Biathleten, es ist eine besondere Saison mit Olympia zum Höhepunkt.
  • Die deutschen Athleten müssen sich die Frage stellen, wie sie ihre tolle WM-Form von Hochfilzen bis dahin konservieren können.
  • Laura Dahlmeier und Simon Schempp sind erkrankt und fehlen zum Auftakt.
  • Die Single-Mixed-Staffel gibt es ab 14.15 Uhr im Liveticker hier, die Mixed-Staffel ab 17.10 Uhr hier.

Von Volker Kreisl, München

Es war ein normaler Sommer. Ende März ging eine Biathlon-Saison zu Ende, danach folgte eine Pause im April, dann begann das Training, und ansonsten machten die deutschen Biathleten, was sie halt so machen im Sommer: Simon Schempp saß auf dem Mountainbike, Benedikt Doll saß in der Vorlesung und Laura Dahlmeier wanderte auf ein paar Fünftausender-Gipfel, diesmal in Peru.

Trainiert wurde auch, im üblichen Umfang: Konditionsaufbau, Radtouren auf Mittelmeerinseln, Trainingslager in den Alpen, interne Wettkämpfe, zuletzt Schneeeinheiten in Norwegen. Aber das sind nur Kalender-Termine. Außerhalb dieser Routine war es für die Biathlon-Nationalteams ein Ausnahmesommer, denn er klemmte zwischen zwei Ausnahme-Wintern.

Am Sonntag beginnt die Weltcupsaison 2017/18 mit den Mixed-Staffeln in Östersund in Mittelschweden, es ist der Auftakt zu einer Serie von sechs Stationen, die im Februar in die Olympischen Spiele in Pyeongchang in Südkorea übergeht. Für die meisten deutschen Biathleten werden dies besondere Wettkämpfe sein, für manche der Höhepunkt der Laufbahn. Nur, die normale Leistungssteigerung zum Olympiazenit, der übliche Vierjahres-Anlauf des Sports, ist durcheinander geraten. Denn die Läufer des Deutschen Skiverbands (DSV) hatten ihr Hochgefühl schon vor neun Monaten: bei der WM in Hochfilzen.

"Hast mal 'ne Minute? Wenn das 60 Leute sagen, ist das auch 'ne Stunde", sagt Dahlmeier

Sieben Goldmedaillen wurden es, acht Plaketten insgesamt, zwei davon mit den Staffeln. Etwas mehr hatten zuvor nur die Norweger 2013 (achtmal Gold) geschafft, für die Deutschen war es dennoch eine nie für möglich gehaltene Ausbeute. Biathlonerfolge hängen in den meisten Verbänden von ein oder zwei Top-Akteuren ab, dem DSV gelangen aber Titel in allen Disziplinen und Geschlechtern, in den Einzeln wie in der Staffel, von Jüngeren wie von Älteren. Es war ein Achttausender vor dem Achttausender.

Diese Bilanz von Hochfilzen ist bei Olympia, wo noch mal ganz andere Termine und Beanspruchungen warten, nicht wiederholbar. Norwegen zum Beispiel erreichte ein Jahr später in Sotschi 2014 im Vergleich ein durchschnittliches Resultat (drei Titel). Und doch gelten die Deutschen seit Hochfilzen als die Top-Nation, fürs Publikum sind sie die Favoriten, in der Loipe die Gejagten. Und Laura Dahlmeier, die 24 Jahre alte Partenkirchnerin, die alleine fünf der sieben WM-Titel geholt hatte, spürt das allgemeine Gejagtsein auch neben der Loipe - meistens bei dem Satz: "Laura, kannst bitte kurz mal schnell?"

Den, sagt sie, höre sie mittlerweile "sehr, sehr oft". Spontananfragen für ein Gespräch, ein Autogramm, ein Selfie. Dahlmeier aber begann zu rechnen: "Hast mal 'ne Minute? Wenn das 60 Leute sagen, ist das auch 'ne Stunde!" Und sie kam zu dem Schluss, dass sie, obwohl sie sich natürlich über all dies freue, irgendwann sagen müsse: "Nein, ich kann nicht mal kurz."

So ganz unwillkommen ist Dahlmeier womöglich auch die Halsweh-Pause nicht, die sie nun zum Saisoneinstieg einlegen muss. Wie der erkrankte Simon Schempp startet sie sicherheitshalber nicht am Sonntag, vielleicht gar nicht in der Östersund-Woche. Dahlmeiers Beanspruchungen übertreffen natürlich die der anderen, aber vom Prinzip her stellen sich allen jetzt dieselben Fragen. Etwa die, wie sich das unter einen Hut bringen lässt: der Formaufbau, wozu auch die Virenabwehr zählt, und die Vermarktung, wozu der Publikumskontakt zählt. Und ist Hochfilzen jetzt auch für die paar jüngeren Nichtweltmeister im Team ein Ansporn oder die neue Messlatte? Überhaupt, wie geht man damit um: Tiefstapeln oder Warnen? Abschotten oder sich selbstbewusst zeigen?

Um Dahlmeier, die sich ihre Rückzugsräume nicht nur beim Klettern schafft, muss man sich da wohl nicht sorgen. Sie hat einen Plan: "Das Ziel ist ganz klar Olympia. Alles andere ist Zugabe." Was davor kommt, zählt zum Olympiaaufbau, Weltcuppunkte sind zweitrangig, Extra-Training statt Rennen ist denkbar. Ein Selbstbewusstsein aus fünf Goldmedaillen hört sich insgesamt so an: "Das hat letztes Jahr geklappt, warum nicht auch in diesem Jahr?"

Der Erfolg ist fragil

Die anderen Eigenprognosen haben eher eine Sicherheitsbremse, man verweist auf Unwägbarkeiten, auf die Ambitionen der Konkurrenz, auf Newcomer oder olympisches Pech wie den Schneesturm, der in Whistler 2010 nur die Startgruppe der Deutschen einbremste, oder die Achterbahnschleifen von Sotschi 2014, an denen die Jüngeren scheiterten. Alles kann passieren, und doch: Zumindest die Männer wirken, als ruhten sie in sich. Alle vier sind Einzel-Weltmeister, Arnd Peiffer und Erik Lesser schon seit längerer Zeit, 2017 haben auch Schempp und Doll bewiesen, dass sie alle Fähigkeiten in einem Rennen bündeln können. Doll sagt, der Unterschied sei, "man weiß jetzt, man kann's".

Die Grundstimmung ist gelassen, obwohl der deutsche Biathlonerfolg auch fragil ist. Frauen-Bundestrainer Gerald Hönig mahnt, dass nur Dahlmeier 2017 Einzel-Erfolge feierte. Franziska Hildebrand und Franziska Preuß sollten jetzt im Weltcup endlich wieder zu Podestläuferinnen werden, Maren Hammerschmidt und Vanessa Hinz endlich mal. Und bei den Männern sollte möglichst keiner ausfallen. Denn Bundestrainer Mark Kirchner hat vier Weltmeister - und dahinter eine beachtliche Lücke. Ob sich Johannes Kühn bald als Ersatzmann empfiehlt oder vielleicht auch schon der 21 Jahre alte David Zobel, ist ungewiss wie das gesamte Olympiaprojekt.

Den Gipfel 2017 haben sie mit einem enormen Erfolgsschwung und einer gewissen Leichtigkeit genommen, die Tour 2018 wird ungleich anstrengender.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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