Russlands Aus im Eishockey:Ein Albtraum wird wahr

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Hängende Köpfe bei Yevgeni Malkin und den russischen Eishockeyspielern. (Foto: dpa)

In keiner anderen Sportart hat es an die einheimische Mannschaft eine so klare Forderung gegeben wie im Eishockey: Gold! Nach dem Aus im Viertelfinale gegen Finnland reift bei den Russen die Einsicht, dass ihre Sbornaja keine Großmacht mehr ist.

Von Johannes Aumüller, Sotschi

Kurz vor Schluss war der Glaube an die rote Maschine dahin. Kein "Ros-si-ja" mehr, kein "Schajbu, Schajbu", keine anderen Anfeuerungen. Stattdessen eine merkwürdige Mischung aus Stille, vereinzelten Pfiffen und finnischen Fangesängen. Und dann die Erkenntnis: Das war's.

Russland gegen Finnland 1:3. So knapp stand es auf der Anzeigetafel. Für viele in Russland bedeutete das übersetzt: Damit sind die XXII. Olympischen Winterspiele beendet.

Gold. In keiner anderen Sportart hatte es an die russische Mannschaft eine so klare Erwartung gegeben wie im Eishockey. Eishockey ist die Lieblingssportart vieler Russen, die Partien der Sbornaja in der Bolschoj-Arena gehörten zu den größten Stimmungsmomenten dieser Winterspiele. Und Eishockey ist vor allem eine der Lieblingssportarten des wichtigsten Russen: Staatspräsident Wladimir Putin.

Vor ein paar Wochen hat der Präsident selbst hier in einem kleinen Showmatch gespielt, und natürlich hatte seine Mannschaft gewonnen. Das Eishockey-Finale bildet am Sonntag den Abschluss dieser Spiele, und die Russen hatten sich das so schön ausgedacht: mit einer Goldmedaille im Eishockey diese große Sause am Schwarzen Meer zu beenden.

Russlands Aus im Eishockey-Viertelfinale
:Olympischer Totalschaden

Die "rote Maschine" ist abgesoffen: Präsident Putin und die ganze Nation müssen mitansehen, wie die Außenseiter aus Finnland ihre Favoriten aus dem Eishockey-Turnier schießen. Der russische Albtraum in Bildern.

Stattdessen jetzt also: 1:3 gegen Finnland, Aus im Viertelfinale. Erst einmal ist eine russische beziehungsweise sowjetische Mannschaft bei Olympischen Spielen so früh gescheitert, vor vier Jahren in Kanada war das. Manche der russischen Spieler wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Jewgenij Malkin kniete noch lange am Rande des Eises, als ginge ihn das gar nichts an. Anton Below schlich so langsam von der Spielfläche, als hoffe er auf irgendeine Möglichkeit, noch einmal zurückzukehren und ein paar Minuten weiterzuspielen. Und Alexander Owetschkin stapfte voller Zorn an allen vorbei: "Es kotzt mich einfach nur an."

Wenig später saß Sinetula Biljaletdinow in der Pressekonferenz. Er ist der Trainer der Mannschaft, und er ist ein Mann aus der Zeit, als die Sowjetunion das Eishockey dominiert hat. Fünf WM-Titel, ein Olympia-Gold. Er ist eine Legende, aber in solchen Momenten gewährt niemand Legendenschutz. Wie konnte das passieren? Warum benutzen Sie nicht das Wort Katastrophe? So ging das in einem fort.

"Ich bin an allem schuld", sagte Biljaletdinow: "Ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen." Er sprach leise und kurz. 1:3. Es gab nicht mehr viel zu sagen.

Natürlich war diese Niederlage gegen Finnland eine Überraschung. Doch andererseits war es für die Sbornaja von Beginn des Turniers an nicht so gelaufen wie erhofft. Die Niederlage in diesem irren Penalty-Duell mit den USA in der Vorrunde. Das mühevolle 1:0 gegen die Slowakei. Die nur unwesentlich bessere Leistung beim Sieg gegen Norwegen. "Wo ist unsere rote Maschine?", hatten die Medien schon bang gefragt.

Gegen Finnland war sie am Anfang da, wobei sie an diesem Tag gemäß ihrer Trikotfarben gar keine rote Maschine war, sondern eine weiße. Erste Überzahl, 1:0 durch Ilja Kowaltschuk (8.). Doch danach ging es rasch in die andere Richtung. 10. Minute: 1:1 durch Juhamatti Aaltonen. 18. Minute: 2:1 durch Teemu Selänne. 26. Minute: 3:1 durch Mikael Granlund. Und von da an fiel den Russen nicht mehr viel ein gegen die starken Finnen. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Im Moment fühle ich in mir einfach nur eine große Leere", sagte Pawel Dazjuk, der Kapitän der Sbornaja.

Sbornaja, die Mannschaft. Wochenlang haben sie versucht, dieses Bild zu pflegen. Vor dem ersten Spiel hat sich die komplette Mannschaft bei einer Pressekonferenz auf die Bühne gesetzt. Das wirkte sehr imponierend, und dann haben sie über Brüderschaft und Teamgeist gesprochen. Doch so richtig geglaubt hat ihnen das niemand. Owetschkin. Malkin. Kowaltschuk. Ganz große Namen aus der NHL. Aber auch große Individualisten.

"Das Problem war mal wieder, dass bei uns einzelne Personen das Spiel auf eigene Faust gewinnen wollten", sagte Verteidiger Below. Und nun? "Vielleicht müssen wir einfach mal anerkennen, dass wir keine Eishockey-Großmacht mehr sind", schreibt der Sowjetskij Sport. Platz drei, Platz vier, Platz sechs, jetzt das Aus im Viertelfinale, das ist die Bilanz der Russen bei den vergangenen Spielen. Das letzte Gold stammt von 1992.

Bisher war Russland durchaus zufrieden gewesen mit der sportlichen Bilanz der Spiele. Schon zur Halbzeit hatte das Team so viele Medaillen erreicht wie vor vier Jahren in Vancouver insgesamt. Der alte Volksheld Jewgenij Pluschenko hatte sich im Teamwettbewerb noch einmal Gold beschert. Und die junge Eiskunstläuferin Julia Lipnizkaja sowie der aus Südkorea eingebürgerte Shorttracker Wiktor Ahn hatten sich einen neuen Status erarbeitet. Aber für viele zählt das alles weniger, wenn die Sbornaja so früh scheitert.

"Ich finde, die Olympischen Spiele sind für Russland immer noch ein Erfolg", sagte Biljaletdinow. Er will noch weitermachen als Trainer. Dass es so weit kommt, glaubt außer ihm niemand.

© SZ vom 20.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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