Rugby:Das Premier-League-Problem

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Kein Durchkommen: Louis Picamoles (M.) wird bei der 16:19-Niederlage der Franzosen von den englischen Spielern zu Fall gebracht.. (Foto: Ben Stansall/AFP)

Frankreichs Nationalteam galt als eines der besten der Welt. Inzwischen häufen sich Niederlagen, die Liga floriert. Der Grund ist ein aus dem Fußball bekanntes Phänomen.

Von Tobias Schächter

Welchen Stellenwert Rugby in Frankreich genießt, wird durch eine Rückblende deutlich. Im vergangenen Juni lief die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich, die Gastgeber waren Favoriten. Eigentlich sollte man als Sportinteressierter also annehmen, das gesamte Land verfolgte gebannt die Fußball-EM. Tat es aber nicht.

Denn mehr als 90 000 Menschen flüchteten in eben jenen Junitagen nach Spanien. Sie pilgerten zum Endspiel der französischen Liga zwischen Racing 92 Colombes und Toulon ins Camp Nou-Stadion nach Barcelona, das als Ausweichort für das bei der EM ausgelastete Stade de France in Paris diente. Auch die Zeitungen in Frankreich waren voll von Berichten übers Rugby-Finale. Rugby war wichtiger als Fußball. Die EM rückte in den Hintergrund.

Diese Rückblende verrät: Frankreich ist eine stolze Rugby-Nation. Nur ist auf der anderen Seite von dieser stolzen Rugby-Nation auf Länderspielebene nicht mehr viel geblieben. Während Frankreichs Liga "Top 14" als stärkste der Welt gilt, in die Spieler Verträge für Millionensummen unterschreiben, leidet das Nationalteam unter chronischem Misserfolg. Pascal Pape, der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft, stellte jüngst sogar fest, auf manchen Positionen sei es schwer, überhaupt starke Franzosen zu finden.

Frankreichs Rugby-Missverhältnis erinnert an den englischen Fußball

Dieses Missverhältnis zwischen starken Vereinen und einer schwachen Landesauswahl erinnert viele Experten an das der englischen Premier-League gegenüber der englischen Nationalmannschaft im Fußball: Der Aufstieg der heimischen Ligen in beiden Sportarten zu den führenden in der Welt hemmt die Entwicklung der Nationalteams, weil die internationalen Stars die Entwicklung des heimischen Nachwuchses blockierten.

Wie die Premier League im Fußball hat sich die französische Liga seit der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Rugby-Sports Mitte der 90er-Jahre zur führenden und finanzstärksten Liga der Welt entwickelt. Die Budgets der Klubs wuchsen in den letzten Jahren auf zwischen 20 und 30 Millionen Euro an. Möglich macht das ein TV-Vertrag mit dem Sender Canal+, der den Klubs über fünf Jahre rund 350 Millionen Euro garantiert. Die besten Teams aus Irland, Wales, Schottland und Italien, die eine eigene Liga bilden, generieren im Vergleich dazu gerade mal 12,5 Millionen Euro pro Jahr aus den TV-Rechten.

In Frankreich stehen dank des vielen Geldes inzwischen sogar die stärksten Spieler der großen Nationen der Südhalbkugel unter Vertrag. Nach dem WM-Triumph der Neuseeländer 2015 wechselte Dan Carter, den viele als die beste Nummer 10 der Rugby-Geschichte feiern, zu Racing 92. Carter gab offen zu, des Geldes wegen gewechselt zu sein, mit 1,5 Millionen Euro pro Saison stieg er zum am besten bezahltesten Rugby-Spieler auf. Zwar gibt es eine Regel, nach der 55 Prozent der über die Saison eingesetzten Spieler in Frankreich ausgebildet sein müssen. Aber die Schlüsselpositionen sind in fast allen Klubs mit internationalen Top-Stars besetzt, Talente können sich auf vielen Positionen nicht durchsetzen und so nicht entwickeln.

Eine Demütigung fürs einst so stolze Nationalteam folgt auf die andere

So ist es nun nur ein weiteres Symptom der Krise des Nationalteams, dass es am vergangenen Wochenende wieder einmal England unterlag. Die Franzosen waren beim 16:19 zwar das bessere Team, das gab Englands Trainer Eddie Jones offen zu. Aber auch diese 2017er- Auswahl von Trainer Guy Noves hatte nicht den Instinkt, der sie früher mit ihren besser ausgebildeten Spielern auszeichnete. Frankreich habe mal wieder vergessen, zu gewinnen, schrieb der Guardian.

Bei der WM 2011 standen die Franzosen zum dritten und letzten Mal in einem WM-Finale - und verloren gegen Neuseeland. Bei der letzten WM 2015 in England demütigten die "All Blacks" die Franzosen dann schon im Viertelfinale mit 62:13. Eine historische Pleite, vergleichbar mit dem 1:7 der Brasilianer bei der Fußball-WM 2014 gegen Deutschland.

Große Spieler - wie einst den langmähnige Sebastien Chabal - produzieren die Franzosen aktuell nicht mehr, die Interessen der Klubs und die der Nationalmannschaft laufen in Frankreich in entgegengesetzte Richtungen. Ein Sieg gegen Schottland wäre vor einigen Jahren noch selbstverständlich gewesen für die großen "Les Bleus" - an diesem Sonntag für die immer öfter als "Les Miserables" titulierten Nationalspieler im Pariser Stade de France beim Six-Nations-Turnier 2017 ist er es nicht mehr.

© SZ vom 12.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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