Reformvorschlag im Dressurreiten:Blutende Wunden erlaubt

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Wenn ein Dressurpferd blutet, führt das bislang zum Ausschluss aus dem Wettbewerb. Doch nun wollen die Verbände diese Regel aufweichen, um etwa eine Mannschaft bei Olympia nicht um ihre Medaillenchance zu bringen. Tierärzte und sogar Trainer protestieren heftig.

Gabriele Pochhammer

Darf ein Pferd während eines Wettkampfs bluten, aus dem Maul etwa oder an den Flanken, dort, wo der Sporen des Reiters sitzt? Dem Laien fällt die Antwort nicht schwer: natürlich nicht.

Weil ihr Pferd Parzival sich auf die Zunge gebissen hatte, wurde Adelinde Cornelissen bei der WM 2010 abgeklingelt. (Foto: imago sportfotodienst)

Deshalb wird die Öffentlichkeit auch wenig Verständnis für eine Diskussion haben, die zurzeit in der internationalen Dressurszene geführt wird. Seit bei der WM 2010 in Kentucky die niederländische Mitfavoritin Adelinde Cornelissen vom Chefrichter abgeklingelt wurde, weil aus dem Maul ihres Pferdes Parzival blutiger Schaum tropfte, wird gestritten, ob ein blutendes Maul Grund genug ist, ein Pferd zu eliminieren.

Parzival hatte sich vor dem Einreiten auf die Zunge gebissen und hörte wenig später auf zu bluten, aber für Cornelissen war die WM vorbei.

In den Dressurregeln der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) steht nichts davon, dass sichtbares Blut automatisch zum Ausschluss führt, sehr wohl aber, dass die Richter ein Pferd aus tierärztlichen Gründen disqualifizieren können. "Und Bluten aus dem Maul ist ganz klar eine tierärztliche Angelegenheit", sagt der FEI-Abteilungsleiter Dressur, Trond Asmyr. Es sei allgemein akzeptiert, dass ein Pferd mit Blut im Maul genauso wenig fit für den Wettkampf ist wie ein lahmes Pferd. Aber wohl nicht mehr lange.

Auf der FEI-Generalversammlung im November in Rio de Janeiro wird über einen neuen Passus im Dressurreglement abgestimmt, der klarstellen soll, ob und wann ein Dressurpferd wegen blutender Wunden eliminiert wird. Der Anstoß kam von Cornelissens Trainer Sjef Janssen, dem Ehemann der dreimaligen Olympiasiegerin Anky van Grunsven.

Der Club Internationaler Dressurtrainer, in dessen Vorstand Janssen sitzt, schlug dem Dressurkomitee der FEI eine Regelung vor, nach welcher der Reiter bei einem blutenden Pferdemaul zwar abgeklingelt wird, aber nach tierärztlicher Inspektion weiter reiten darf - in der nächsten Pause oder als letzter Starter, sofern die Wunde als harmlos eingestuft wird. Doch nun protestierten gleich drei Gruppen des Dressursports: die Reiter, die Offiziellen und die Turnierorganisatoren.

Ihr Vorschlag: Ein Pferd, an dessen Körper Blut sichtbar wird, soll sofort eliminiert werden. Blutet das Pferd vor dem Start, aber die Blutung stoppt vor dem Einreiten und die Verletzung wird vom Tierarzt als harmlos eingeschätzt, darf der Reiter starten. Diese Version hat die FEI nun in ihrer Vorlage aufgegriffen, allerdings mit Ausnahmen: Bei Olympia, Championaten und Weltcupfinals soll auch bei blutendem Maul während der Prüfung nach einer tierärztlichen Inspektion der Ritt fortgesetzt werden dürfen.

Wenn ein Team platzen könnte, damit womöglich eine Medaille verloren geht - dann sieht man in der FEI offenbar auch den Tierschutz etwas lockerer. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) will dem Vorschlag zustimmen. "Denn nur bei großen Events wie Olympischen Spielen und Championaten sind Tierärzte am Dressurviereck, die das Pferd sofort untersuchen könnten", sagt Generalsekretär Soenke Lauterbach und gibt auf Nachfrage zu: "Natürlich spielt auch der Teamgedanke eine Rolle."

Wohl weniger für die Pferde. Nicht nur weil diese Regel einige Top-Reiter von der strikten Tierschutzverpflichtung ausnimmt, ist die Vorsitzende des Internationalen Dressurreiterclubs, die sechsmalige Olympiateilnehmerin Kyra Kyrklund, gegen jede Ausnahme: "Ein blutendes Pferd ist wie ein lahmes Pferd, das kann auch nicht starten, selbst wenn es nach einer halben Stunde wieder schmerzfrei läuft."

Sie verweist auf die praktischen Probleme, und wird dabei von Tierärzten wie Gerrit Matthesen, oft für die FEI im Einsatz, unterstützt: "Wie soll das gehen? Wenn ich die Wunde richtig untersuchen will, muss ich das Zaumzeug abnehmen, das Maul mit einer Taschenlampe genau ausleuchten. Das ist doch während einer Prüfung gar nicht möglich." Deshalb fordert Matthesen: "Bei Blut - raus."

Kyrklund, selbst auch Trainerin, weiß, dass es selten ein Zufall ist, wenn ein Pferd aus dem Maul blutet. Die Ursache sei vielmehr im Training zu suchen. Dressur soll ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Tier demonstrieren, so fein, dass keine Hilfe sichtbar wird. Wie passen da blutende Wunden ins Bild? "Ich glaube, dass ein Pferd, das entspannt und ruhig ist, nicht aus dem Maul blutet", sagt Kyrklund. Wie Pferde in freier Natur. Die bluten nämlich nie aus dem Maul.

© SZ vom 20.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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