RB Leipzig:Plansoll übererfüllt

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Joachim Löw bekommt in Sachsen ein temporeiches Duell zwischen Leipzig und der TSG Hoffenheim zu sehen, in dem der RB sein Profil als Bayern-Verfolger schärft.

Von JAVIER CÁCERES, Leipzig

Als die Partie bei RB Leipzig längst beendet war, begab sich Sandro Wagner, der Stürmer der TSG 1899 Hoffenheim, in eine Endlosschleife der Schuldbekenntnisse. Zu sehr nagte an ihm, dass er nach 60 Minuten die rote Karte gesehen und damit wohl die 1:2-Niederlage seines Teams in Leipzig heraufbeschworen hatte - Hoffenheims erstes verlorenes Spiel in dieser Saison. "Zu elft wäre es anders ausgegangen", mutmaßte Wagner, als er, der Büßer in Badeschlappen, durch die Katakomben des Leipziger Stadions lief und ein Mea culpa nach dem anderen zum Besten gab.

Schlechtes Gewissen? Schon auch. "Wichtig ist aber, dass ich es wie ein Sportsmann geregelt habe."

Der erste Adressat seiner Bitten um Vergebung war das eigene Team, und es erteilte ihm offenbar umgehend die Absolution: "Spinnst du? Brauchst dich nich' zu entschuldigen", habe das Echo er Kameraden gelautet, berichtete Wagner selbst. Und so begab er sich zur gegenüberliegenden Kabine, um sich auch beim Leipziger Stefan Ilsanker zu entschuldigen, dem er nach knapp einer Stunde mit der Sohle aufs Schienbein getreten war. Er sei ja selbst "erschrocken", so schilderte es Wagner den Reportern, als er die Bilder der Szene sehen musste. Auch deshalb wollte er sich vergewissern, dass Ilsanker keine weiteren Beschwerden davongetragen hatte. Als ihm auch dies bestätigt worden war, zog er das Fazit seiner Pardon-Prozession. Es fiel überragend aus: "Wichtig ist, dass ich es wie ein Sportsmann geregelt habe."

Stürmers Freud: Timo Werner (rechts) und Marcel Sabitzer, die Leipziger Torschützen beim Sieg gegen Hoffenheim. (Foto: imago/Jan Huebner)

Es wird Menschen geben, die Sandro Wagner um das Gefühl beneiden, den nächsten Arbeitstag mit der Freude darüber beschlossen zu haben, mit sich selbst im Reinen zu sein. Andererseits: Es war so ziemlich die einzige Genugtuung, die er aus Leipzig mitnahm. Unter den Gästen auf der Ehrentribüne befand sich ja auch Bundestrainer Joachim Löw, und es galt als offenes Geheimnis, dass sich Löw vor allem deshalb nach Sachsen begeben hatte, weil sich in Wagner, 29, sowie dem Leipziger Timo Werner, 20, die aktuell treffsichersten deutschen Offensivkräfte der Liga duellierten. "Es hätte schöner sein können, wenn der Bundestrainer da ist", konzedierte Wagner, derweil Werner sein Fazit mit größerer Gelassenheit ziehen konnte. Denn unter den pilotensonnenbrillenbewehrten Augen des obersten Fußball-Lehrers der Republik hatte Werner mit einem vergleichsweise schmucklosen, aber wichtigen elften Saisontor (38. Minute) den Leipzigern zum zwischenzeitlichen Ausgleich verholfen - und somit auch Werbung in eigener Sache betrieben.

"Ich versuche, meine Leistung im Verein zu bringen. Wenn die irgendwann gut genug für die A-Nationalmannschaft ist, freue ich mich natürlich", sagte Werner - und erntete umgehend Lob aus dem Munde Löws: Der Stürmer, zu Saisonbeginn aus Stuttgart nach Leipzig gewechselt, sei "ein Spieler mit einer großen Perspektive". Doch auch Wagner, der in dieser Saison nur ein Tor weniger als Werner aufzuweisen hat, durfte seine Seele an wohlmeinenden Worten wärmen. Eine Berufung Wagners, womöglich schon zum nächsten Länderspiel am 22. März gegen England in Dortmund, sei "durchaus denkbar", sagte Löw im ZDF. Womöglich sind dann auch noch weitere Akteure dabei, die am Samstag für ein unterhaltsames und temporeiches Spiel sorgten. "Wir haben auch noch ein paar andere deutsche Spieler", sagte jedenfalls Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick, der die mediale Fokussierung auf die Stürmerfrage als verengt empfand.

Stürmers Leid: der vom Platz gestellte Hoffenheimer Sandro Wagner mit Referee Wolfgang Stark. (Foto: Bongarts/Getty Images)

In der Tat hat Leipzig Spieler wie Willi Orban oder Marcel Halstenberg, die Zuverlässigkeit ausstrahlen und das Ihre dazu beitrugen, um im Spiel gegen die gleichfalls guten Hoffenheimer ein Übergewicht zu erzielen. In einen Sieg münzen konnten es die Leipziger aber erst nach der unfreiwilligen Hilfestellung durch Wagner, auch weil Hoffenheims Torwart Oliver Baumann mit souveränen Paraden eine Führung der Gastgeber lange hinauszögerte. Leipzigs Siegtor durch einen abgefälschten Distanzschuss von Marcel Sabitzer fiel erst in der 77. Minute.

Was jenseits des beachtlichen Niveaus der Partie zwischen dem Zweiten Leipzig und dem vorerst ehemaligen Dritten Hoffenheim haften blieb, war vor allem der Treffer der Gäste: ein in seiner Schnelligkeit und Direktheit brillant ausgeführter Konter über fünf Stationen, den Nadiem Amiri abschloss (18.). "Das war fast nicht zu verteidigen", lobte Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl - und freute sich später dennoch über einen neuerlichen "Big Point". In der Vorwoche hatte sein Team Eintracht Frankfurt mit 3:0 geschlagen, Ende vergangenen Jahres wurde in Hertha BSC ein weiterer Verfolger abserviert. "Darauf können wir stolz sein", sagte Orban. Noch stehen 16 Spieltage aus, aber das Plansoll, wie man wohl zu DDR-Zeiten in Leipzig gesagt hätte, ist übererfüllt. Ein Abstieg ist längst jenseits der Vorstellungskraft, und das Polster auf den siebten Platz ist mittlerweile 13 Punkte dick. Da wirkt eine Teilnahme an europäischen Wettbewerben fast schon unausweichlich.

Stürmer Timo Werner ahnt: Bald kann man gar nicht mehr Nein sagen zur Champions League

"Wenn wir die nächsten drei, vier Spiele auch so gewinnen, dann kann man fast gar nicht mehr ,Nein' sagen zur Champions League", sagte Werner. Rangnick übte sich dennoch in Zurückhaltung: "Ich glaube nicht, dass es irgendwann einen Zeitpunkt gibt, an dem ich etwas anderes sage, als dass wir das nächste Spiel gewinnen wollen. Höhere Ziele können wir doch nicht formulieren." Mangel an Ehrgeiz sollte man daraus besser nicht ableiten. Am Samstag besucht Leipzig Dortmund. "Wenn wir als Aufsteiger dorthin fahren und sagen, wir wollen gewinnen - ambitionierter geht es glaube ich nicht", sagte Rangnick.

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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