Randale in der Bundesliga:Zäune provozieren Gewalt

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In der wirr lodernden Gewaltdebatte wird in Deutschland derzeit alles in einen Topf geworfen - und mancher Politiker fordert die Errichtung von Zäunen. Die jedoch mindern nicht die Gewalt. Im Gegenteil: Wer gezwungen wird, hinter Gittern seine Freizeit zu verbringen, entwickelt eher noch mehr Aggression.

Klaus Hoeltzenbein

In der Champagner-Loge können einem die tollsten Ideen kommen. Zum Beispiel die, dass der Mensch nur hinter Zäunen zu bändigen sei. Diese Idee kann jedoch heute nur noch verbreiten, wer aus der Geschichte der Stadion-Katastrophen nichts gelernt oder sie vergessen hat. Wer Bradford (1985; 56 Tote, 265 Verletzte), Brüssel, die Heysel-Tragödie (1985; 39 Tote, 454 Verletzte) und Hillsborough (1989; 96 Tote, 766 Verletzte) aus dem Gedächtnis getilgt hat. Menschen starben in der Massenpanik, sie kamen an Drehkreuzen, gesperrten Notausgängen und Zäunen nicht mehr weiter. Der Fan fand keinen Ausweg aus dem Käfig.

Vernebelter Abstieg: Kölner Fans kurz vor Abpfiff des Spiels gegen den FC Bayern. (Foto: dpa)

Niemand mehr würde in England auf die Idee kommen, nach Barrieren zu verlangen, nur weil Zuschauer aufs Spielfeld strömten, wie sie es jüngst in Jubeltrauben nach dem Titelgewinn von Manchester City taten. Hillsborough war ein traumatisches Erlebnis, das sich tief im kollektiven Bewusstsein verankert hat. Der Taylor Report, in dem das Drama aufgearbeitet wurde, trug später dazu bei, dass sich die Stadionkultur in England wie auch in Europa verändert hat: In der Premier League gibt es seitdem keine Zäune, und auch - anders als in der Bundesliga - keine Stehplätze mehr.

In jene wirr lodernde Gewaltdebatte, in der in Deutschland derzeit alles in einem Topf verrührt wird, hat sich nun Edmund Stoiber aus seiner Loge mit einem Vorschlag eingeschaltet. Die Mauer, äh, die Zäune müssen wieder hoch: ". . . vor allem vor den Fanblöcken ist das ganz wichtig". Stoiber, ein Aufsichtsrat des FC Bayern München, erkennt gegenüber Sport-Bild in seiner Forderung zwar "einen Rückfall in alte Zeiten" - aber was hilft's: "Es geht nicht anders, weil die Hemmschwelle so sehr zurückgegangen ist."

In England wird gesessen

Stimmt, die beiden Flutungen der Spielfelder, die im Saisonfinale in der ersten und zweiten Liga beklagt wurden, waren falsch und fehlgeleitet. Aber Ursache waren nicht Wahn und Wut, sondern enthemmte Freude über Meisterschaft (Dortmund) und Aufstieg (Düsseldorf). Und so viel Vertrauen in deutsche Ordnungsdienste sollte ein Law&Order-Politiker aus der CSU noch haben, dass dies künftig zu regeln und durch bessere Schulung zu verhindern ist.

Zäune jedoch mindern nicht die Bereitschaft zur Gewalt, im Gegenteil; wer gezwungen wird, seine Freizeit hinter Gittern zu verbringen, entwickelt eher mehr Aggression. Die Gewalt sucht sich längst andere Wege, abseits der Arena, wo in den Kutten der Klubs geprügelt wird. In den Stadien selbst kommt die Gefahr derzeit von oben, Feuerwerker vernebelten den Abstieg (Köln) oder verursachten eine Spielverzögerung bis in die Unendlichkeit (Düsseldorf).

In England gibt es dieses Problem nicht, weil sich dort niemand in der Stehplatz-Masse verstecken, Pyros einschmuggeln und hinter dem Rücken anderer zünden kann. Wer randaliert, wird von der Video-Überwachung rausgepickt. Das tötet die Romantik, heißt es auf der Insel, aber es beruhigt die Gemüter. Die Stehplatz-Debatte wird hierzulande geführt werden müssen, mit Gitter-Zäunen ist jedoch gar nichts gelöst. Zumal Münzen, Bierbecher und jede Rakete locker drüber hinweg fliegen.

© SZ vom 23.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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