Radsport:"Macht euch nicht gemein"

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Dopingsünder Kohl und Gerolsteiners Fairplay-Verständnis: Die Gerolsteiner fordern ihre Cera-Doper zu einer spannenden Zellteilung auf.

Thomas Kistner

Das Fairplay-Verständnis im Radsport liegt nicht mehr länger irgendwo unter dem Meeresspiegel, sondern endlich auch in dokumentierter Form vor. Nämlich als ethisch etikettierte Eilpost, die das Team Gerolsteiner unter Federführung, so darf vermutet werden, von Rennstallchef Michael (,,Bin gescheitert'') Holczer in Umlauf brachte. Vielleicht zu eilig, zu wenig durchdacht. Schon bei erster Lektüre des moralischen Schnellschusses fällt ein Satz auf, der die Gefühlslage der unter Dauerdruck stehenden Radlzene entlarvt: ,,Wir fordern Stefan Schumacher und Bernhard Kohl auf, vorbehaltlos die Wahrheit zu sagen und sich nicht mit anderen notorischen Dopingbetrügern gemein zu tun, nur um vom eigenen mangelnden Fairplay-Verständnis abzulenken.'' Ein bedeutender Satz, aus vielerlei Aspekten.

Der Nächste, bitte: Doping-Sünder Bernhard Kohl (Foto: Foto: dpa)

Zum Beispiel der physische. Die Gerolsteiner fordern ihre Cera-Doper ja zu einer spannenden Zellteilung auf: Volle Wahrheit, sich dabei aber ,,nicht mit anderen notorischen Dopingbetrügern gemein'' machen, um von eigenem Betrug abzulenken. Nach dieser Denkart schließt die volle Wahrheit also aus, Aufschlüsse zu liefern über systematische Zwänge und Zusammenhänge, die auf ambitionierte Profifahrer wirken. Das taten ja diese ,,anderen notorischen'' Doper: Die Kronzeugen Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz, die Holczer - warum nur? - als bedrohlich für den Radsport empfindet. Und die ihm selbst ja tatsächlich große Not bereiten, weil sie ihm seine notorische Ahnungslosigkeit nie abgekauft haben. Auch jetzt nicht, da sich ihre Andeutungen zu Holczers Team so dramatisch realisiert haben.

Zur Veranschaulichung sei die Gerolsteiner Fairplay-Doktrin kurz auf ein anderes Metier übertragen. Es ist, als würden geschnappte Bankräuber von Leuten in vergleichbarer Berufs- und Lebenssituation aufgefordert, die volle Wahrheit zu sagen: Aber bitte nur in ureigener Sache. Zwar dürfen sogenannte Hinterleute beschrieben werden, aber ja nichts Kompromittierendes (also nur Hersteller von Waffen, Schweißgerät, Stemmwerkzeug). Der Betroffene darf sich ja auf gar keinen Fall ,,mit anderen notorischen Bankräubern gemein tun'' - und wie diese aus dem Vollen plaudern. Also darüber, wer den Fluchtweg bewacht, wer das Werkzeug angesetzt und wer das Personal in Schach gehalten hat, bis der Tresor leer war. Und wer den Auftrag gab. All das ist unfair, es lenkt nämlich nur von eigener Schuld ab.

Fairer gehts nicht, schöner wurde die Ganovenehre des Radsports selten formuliert. Sportsfreund Kohl, vorschnell und auch von Holczer aus reuiger Sünder belobigt, dürfte als erster zur Omerta zurückkehren, wie das Szeneschweigen im Radsport heißt, ein Begriff aus der Mafiawelt. Es fällt auf, dass er in der schweren Stunde des Geständnisses nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Unschuld von Team und Teamchef zu beteuern. Holczer wiederum lässt aus tiefster Depression schon anklingen, dass er Kohl eher nicht auf Schadenersatz verklagen will. Da deutet sich an, was man im Mittelalter Ablasshandel nannte. Denn es ist andererseits ja so, dass Kollege Schumacher - Anwalt Michael Lehner zufolge - 2008 überhaupt nur starten durfte, nachdem er Holczer 40000 Euro bezahlt hatte; wegen der Irritationen, die nach Schumachers hohen Blutwerten bei der WM im Herbst 2007 entstanden waren. Nun fragt sich: Hielt Holczer seinen Profi damals für unschuldig? Dann hätte er ihn unterstützen statt zur Kasse bitten sollen. Hat er ihm jedoch misstraut und ihn deshalb zahlen lassen, würfe dies just die Fragen auf, die Insider wie Jaksche und Sinkewitz so überzeugend beantworten haben.

Der Fall Kohl wird zum Musterprozess für die Szene. Er hatte ja seit Jahren mit Manager Stefan Matschiner eine Figur um sich, die im Dopingkontext der Alpennation notorisch auffällig ist; Freund des Trainer-Gurus Walter Mayer. Sollte sich Kohls Geständnis doch eher so darstellen, wie man es regelmäßig hört von all denen, die nicht Kronzeuge sein wollten, sollte Holczer aus Gründen der Glaubwürdigkeit doch eine Schadenersatzklage in petto haben. Und sie einreichen, falls Kohls Einlassungen so lauten: Nur einmal probiert, das Zeug stammt aus dem Internet, aus einer spanischen Apotheke und/oder von einem Unbekannten in der Disco.

Die Gerolsteiner Fairplay-Doktrin wurde übrigens von drei Leuten mitunterzeichnet, die selbst schon Dopingvorwürfe zu bewältigen hatten. Insofern passt es doch, dass das Papier (das tapfer-unverbindlich auch die Nennung von Hinterleuten fordert) in klarem Widerspruch zum Geist der Kronzeugenregelung steht, welche die Weltantidopingagentur Wada vor Monaten noch einmal verbessert hat: Statt zwei Jahren warten nur noch sechs Monate auf denjenigen, der umfänglich auspackt. Im Radsport aber sitzt man besser die zwei Jahre ab und kehrt in den Profizirkus zurück. Kronzeugen bleiben draußen - daran haben Teamchefs wie Holczer entscheidend mitgewirkt.

Andere Akteuren fahren den Schlingerkurs nicht mehr mit. ARD/ZDF steigen aus, sie hatten bis zur Besinnungslosgkeit an das Gute, sprich: Die Einzeltäterthese geglaubt. Und Deutschland-Tour und Österreich-Tour wurden gecancelt. Der Radsport und seine Sachwalter aber werden den Kampf gegen den Generalverdacht in anderen Ländern weiterführen. Noch ist nicht alles verloren, Lance Armstrong kehrt ja zurück.

© SZ vom 17.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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