Radsport:Gibt es Motor-Doping bei der Tour?

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Mit Messgerät und genauem Blick: Ein Mitarbeiter des Rad-Weltverbands überprüft eines der Rennräder, die bei der Tour zum Einsatz kommen. (Foto: Getty Images)
  • Im Radsport kann nicht nur mit Epo und Hormonen betrogen werden, sondern auch mit versteckten Mini-Antrieben.
  • Kontrolleure durchleuchten bei der Tour de France bis zu 200 Fahrräder pro Tag, vor und nach einer Etappe.
  • Doch sind die Tests so gut, dass keiner die Technik nutzt? Und verstecken die Teams die Motoren womöglich zu gut? Darüber ist sich die Szene nicht ganz einig.

Von Johannes Knuth, Laissac-Sévérac

Der Test dauert eine Minute, kurz und schmerzlos, wie eine Routinebehandlung beim Zahnarzt. Nur, dass Mark Barfield und Luc Geysen nicht mit Lampe und Spatel hantieren, sondern mit einem Tablet. Die Fahnder des Radsport-Weltverbands UCI führen es an den Rädern entlang, die am Vormittag in Laissac-Sévérac vor dem Teambus der britischen Equipe Sky auf ihre Eigentümer warten. Alles gut?, ruft Barfield seinem Kollegen zu. Alles gut. Weiter zum nächsten Team.

Barfield und Geysen spüren bei der Tour de France einer noch recht jungen Gefahr für den Radsport nach, die zuletzt unter dem Schlagwort "Motordoping" von sich reden machte. Die UCI-Kontrolleure durleuchten bis zu 200 Fahrräder pro Tag, vor und nach einer Etappe. Am Ende dieser Tour werden es wohl wieder 4000 sein, am Ende das Jahres 20 000, bei Rennen auf der Straße, Bahn, im Mountainbiking, bei Profis und beim Nachwuchs. Beeindruckende Zahlen, aber ob die UCI so gut testet, dass keiner die Technik nutzt, oder ob die Teams die Motoren zu gut verstecken - darüber ist sich die Szene nicht ganz einig.

Die Debatte rollte vor sieben Jahren los, ein Video kursierte damals im Internet, der Schweizer Fabian Cancellara erhöhte bei einem Frühjahrsklassiker scheinbar mühelos die Geschwindigkeit - als habe er einen Motor gezündet. Cancellara schmetterte den Verdacht ab. Aber Berichte über Merkwürdigkeiten schwirren hartnäckig durch die Szene, bis heute.

Jean-Pierre Verdy, der ehemalige Direktor der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD, berichtete von einem Dutzend Fahrern, die bei der Tour vor zwei Jahren motorgedopt unterwegs gewesen seien. Belege lieferte er nicht. Insider setzten zuletzt eine fiktive Internetseite auf ( www.dopedbikes.com), auf der sie Räder mit versteckten Motoren feilboten, für den Wettkampf. Laut Betreibern trudelten hunderte E-Mails von Interessenten ein, auch vom Teamchef einer britischen Mannschaft. "Wir würden gerne mehr erfahren", schrieb er, "danke, beste Grüße."

2016 wurde eine Belgierin erwischt

Die Technik existiert, so viel ist klar. Sie wurde entwickelt für E-Bikes, der Markt boomt. Um sie bei den Profis aufzuspüren, streicht Geysen am Vormittag in Laissac-Sévérac mit seinem Tablet über die Fahrräder. Er prüft alle Bauteile, in denen ein Motor versteckt sein könnte: Rahmen, Tretlager, Nabe, Reifen. Eine deutsche Firma bastele gerade an elektromagnetischen Rädern, die bald im Transportwesen eingesetzt werden sollen, erklärt Barfield.

In der Schutzhülle seines Tablets steckt ein Adapter, er schafft ein Magnetfeld. Sobald fremde Felder den Magnetstrom kreuzen, schlägt die Software des Tablets aus, auf einer Skala von eins bis zehn. Bei zehn bittet Geysen die Mechaniker, das Rad auseinanderzubauen. Ein paar Mal sei das bei dieser Tour schon passiert, sagt Barfield. Motoren fanden sie bislang nicht, die Werte waren den Keramiklagern oder Stahlbezügen mancher Rennräder geschuldet. Jetzt kriegt Barfield ein paar Einsen und Zweien. Am Ende dreht er an den Pedalen; sollte ein Motor im Tretlager stecken, würde Barfield einen Widerstand spüren. Wie beim Rad von Femke van den Driessche.

Van der Driessche flog im Februar 2016 auf, die UCI hatte gerade ihren neuen Magnettest entwickelt. Geysen kontrollierte damals das Fahrrad, die Software schlug aus, nach dem Rennen fanden sie einen Motor. Die Belgierin wurde sechs Jahre gesperrt, eine drastische Steigerung zu den 100 Franken Geldbuße, die einst für technologische Täuschung drohten. Sie habe ihr Fahrrad mit dem ihres Freundes verwechselt, sagte sie. Es ist bis heute der einzige verbriefte Fall im Profigewerbe.

Barfield und Geysen haben gerade die Fahrräder von Sky kontrolliert, jetzt ist Sunweb dran. Das Team mit der deutschen Lizenz war am Vortag stark gefahren, ihr Kapitän Michael Matthews gewann die Etappe. Hallo, sagt Barfield, ein Handschlag mit den Mechanikern, man kennt sich. Es gebe mehrere Methoden, nach denen sie ihre Testobjekte auswählen, sagt er. Ein Sieg, starke Leistungen; Geysen schaut deshalb während der Etappen aufmerksam TV.

Künftig wollen sie auch Leistungsdaten der Fahrer analysieren, sie werden von den Teams bislang streng gehütet. "Ein sensibles Thema", sagt Barfield, man müsse Langzeitprofile erstellen, wie beim biologischen Pass. Derzeit steht er auch mit der Uni Antwerpen in Kontakt, die gerade eine neue Wärmebildkamera entwickelt. Als italienische und französische Journalisten bei der Tour 2016 ähnliche Kameras einsetzen, sahen sie, dass manche Tretlager auffällig erhitzt waren.

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Als nächstes Team ist BMC an der Reihe, die Mechaniker machen brav Platz für die Kontrolleure. Am Ende stecken Barfield und Geysen kurz die Köpfe zusammen. Ein Mechaniker schaut irritiert. Nein, alles gut, sagt Barfield, er lacht. Gibt es etwas, was seine Software nicht findet? "Wir kennen keine Methode, die wir derzeit nicht entdecken können", sagt er. Man kooperiere mit der Industrie, wie mit jener deutschen Firma, die die neuartigen Reifen produziere. Eine andere Firma habe sie jüngst auf ein neues Material hingewiesen, das Magnetfelder abschirmt. Ein Verschleierungsmittel quasi. Ein Team müsste schon viele Personen involvieren, um ein Rad zu manipulieren, also systemisch schummeln, glaubt Barfield. Und wer als Fahrer externe Räder mitbringe, werde kontrolliert, sagen Mechaniker. "Ich würde so weit gehen", sagt Barfield, "dass bei der Tour niemand technologisch betrügt."

Alles gut? Oder sind die Tests eher ein Marketingwerkzeug, wie die (nachweislich schwachen) Anti-Doping-Radare? Das lässt sich kaum unabhängig prüfen. Barfield sagt: "Es gab bis 2015 auf jeden Fall das Potenzial zu betrügen", und was Vorteile verschafft, wurde im Sport schon immer genutzt.

Ob den Fahndern wirklich jede neue Technologie bekannt ist? Der ungarische Ingenieur Istvan Varjas erzählte im Januar in einem TV-Beitrag, er kenne ein Profiteam, das seine motorenbetriebenen Räder in Monaco abhole. Der Motor sei an den Pulsmesser gekoppelt, sobald die Herzfrequenz in einen kritischen Bereich schnelle, werde der Motor aktiviert. 50 Watt extra für 10, 15 Sekunden bloß, aber das reicht einem Fahrer, um sich bei einer Leistung von 400 Watt am Berg vom Rest abzuheben. Barfield sagt, man sei Varjas Fährte nachgegangen - ohne Ertrag. Manche Teams würden E-Bikes halt für ihre Mitarbeiter ordern. Und die Seite dopedbikes.com? Man sei mit den Betreibern in Kontakt, sagt Barfield: "Wir werden uns anhören, was sie sagen."

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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