Prozess gegen TSV 1860 München:Eine Kopie von Blau

Lesezeit: 3 min

Rechtmäßig im Amt oder nicht? 1860-Präsident Gerhard Mayrhofer. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Richterin kann die Dokumente nicht entziffern, der TSV 1860 München argumentiert, das Präsidium um Dieter Schneider amtiere nicht mehr. Zudem sorgen die Anwälte im Kirmaier-Prozess für Aufsehen - das Verfahren gleicht einer Kabarett-Vorstellung.

Von Philipp Schneider

Es ist der Tag der Absurdität, und es ist der Tag der Verzweiflung. Sehr viel später noch werden sich diejenigen fragen, die dabei sein durften an diesem Morgen im Sitzungssaal 104 des Landgerichts München I, wann der Höhepunkt des Absurden erreicht wurde. Die Situation nach 18 Minuten darf als Favorit gelten.

Der Anwalt Heinz Veauthier beugt sich nach vorne, er hebt die Hand, er streckt einen Finger in die Lüfte und sagt: "Frau Richterin, sie haben den Termin nicht vorbereitet!" Warum denn, fragt Richterin Christina Weitnauer: "Es ist ihre Aufgabe, die gültige Fassung der Satzung vorzulegen. Ich ermittle nicht von Amtswegen." Veauthier schüttelt mit dem Kopf, redet sich in Rage, die Sitzung sei "Kasperltheater" sagt er, dann donnert von der Bank der Angeklagten die Stimme des Anwalts Guido Kambli durch den Saal. "Jetzt reißen Sie sich mal zusammen!", ruft Kambli, und neben ihm sitzt Vizepräsident Peter Helfer, Helfer blickt zu Veauthier, seine Augen formen Schlitze, er wirkt wie ein sprungbereiter Schäferhund, der nur zurückgehalten wird von der kurzen Leine, mit der er an einer Laterne festgebunden wurde. Nur ist die Leine im Gerichtssaal die Hand seines Präsidiumskollegen Erik Altmann. Sanft streichelnd fährt er über Helfers Schulter. Ganz ruhig, ganz ruhig. Kambli, Anwalt der Verteidigung, meldet sich erneut: "Frau Richterin, wir werden Ihnen die Satzung in leserlicher Form zukommen lassen!"

Oh ja, so trug es sich tatsächlich zu im Sitzungssaal 104. Seit einem Jahr klagt das Vereinsmitglied Helmut Kirmaier, dass beim TSV 1860 München geltendes Satzungsrecht gebrochen wurde, seit einigen Wochen ist Richterin Weitnauer mit dem Fall befasst. Irgendwie schade also, dass sie bislang die relevante Satzung gar nicht lesen konnte. Weil ein Exemplar auf blauem Papier gedruckt wurde. Blaues Papier ist schwierig zu kopieren.

Die Kanzlei des verklagten Vereins kopierte es trotzdem, wie Rechtsanwalt Wolfgang Steger der SZ erklärte, die Richterin erhielt ein Exemplar mit kontrastarmen Zeilen. Tja. Am 25. Juli geht es also in die nächste Runde im Prozess Kirmaier. Dann erst will Weitnauer einen Beschluss oder ein Urteil verkünden.

Zugegeben, selbst wenn die Richterin die Satzung hätte lesen können, ein Urteil wäre am Freitag ohnehin nicht verkündet worden. Das blaue Papier verschafft ihr Zeit. "Üblich in so komplizierten Verfahren ist, dass man kein Stuhlurteil fällt. Deswegen wird das Gericht eingehend in Prüfungen eintreten", sagt sie später. Kompliziert ist der Fall in der Tat. Er gleicht einem Paradoxon. Oder wie Juristen sagen: einer "doppelrelevanten Tatsache".

Heinz Veauthier, der Anwalt des Klägers, beharrt weiterhin auf der These, Sechzigs aktuelles Präsidium sei nicht rechtmäßig im Amt. Weil der niemals demokratisch legitimierte Präsidentschaftskandidat Hep Monatzeder Anfang 2013 gar nicht erst zu einer Delegiertenversammlung (auf der er nicht bestätigt und trotzdem die Satzung geändert wurde) hätte laden dürfen. Und auch nicht zur folgenden Mitgliederversammlung nach neuer Satzung, auf der schließlich das Präsidium um Gerhard Mayrhofer gewählt wurde. Der Logik folgend wäre noch immer die alte Satzung gültig und das ehemalige Präsidium um Dieter Schneider im Amt - das auch einzig dazu berechtigt wäre, den Verein im Prozess zu vertreten.

So ganz konnte sich die Richterin Veauthiers Argumentation am Freitag nicht entziehen, selbst das Gerichtsprotokoll führte den nicht anwesenden Dieter Schneider als Vertreter des TSV 1860 München. "Der Beklagte ist leider gar nicht anwesend, er kann mich als Kläger also gar nicht hören", so umschreibt Veauthier das Paradoxon - ehe er der Richterin mit einigen kabarettistischen Einlagen ("Das ist drittes Semester Jura! Ich stehe gleich auf und gehe!") gleich mehrfach ungeahndet Inkompetenz vorwirft.

"Sie wissen ganz genau", hält die Richterin entgegen, "dass bei doppelrelevanten Tatsachen, das, was schlüssig vorgetragen wird, unterstellt wird." Heißt: Es ist vorläufig ebenso schlüssig, dass Dieter Schneider noch Vereinsrepräsentant ist, "wie wenn die Beklagte sagt, der Verein wird nicht vertreten von Herrn Schneider und Konsorten, sondern von Herrn Mayrhofer und Konsorten." Beides schön schlüssig.

Die Verteidigung wählt am Freitag daher die Strategie, dass Schneider gar nicht mehr im Amt sein kann, weil besagte Konsorten nicht mehr amtieren. Denn sowohl nach alter als auch nach neuer Satzung darf der Verein nur repräsentiert werden von mindestens zwei Personen. Schneiders ehemalige Vizepräsidenten Wolfgang Hauner und Franz Maget seien aber "mit Wirkung zum 31. März 2013" zurückgetreten, sagt Anwalt Kambli, um mit jubilierendem Duktus vorzurechnen: "Drei minus zwei ist gleich: eins!"

Kamblis Strategie ist raffiniert, weil als Alternative zu einem (nicht mehr handlungsfähigen) Präsidium Schneider allein ein Notvorstand zu möglichen Neuwahlen aufrufen dürfte. Dass die Einsetzung eines Notvorstands aber nicht rechtens ist, das hat 2013 bereits das Oberlandesgericht geurteilt im Fall Kirmaier. Andererseits wies es Veauthiers Klage damals ab, weil es davon ausging, das Präsidium Schneider sei noch im Amt. Also wechselte Veauthier seine Strategie. "Wir drehen uns im Kreis", klagt die Richtern irgendwann. Die Veranstaltung geht zu Ende, das mögliche Urteil: absolut unvorhersehbar.

Draußen auf dem Flur steht Vizepräsident Heinz Schmidt, er spricht mit einigem Recht von einer "Showveranstaltung". Er erinnert an eine weitere denkwürdige Szene, die Richterin hatte Anwalt Veauthier irgendwann gemaßregelt, weil er zum Publikum und nicht zu ihr gesprochen hatte. Und Veauthier sagte: "Frau Richterin, ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich habe Probleme mit der Halswirbelsäule."

© SZ vom 07.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: