Premier League:Rebellion der Romantik

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Englands Fußball hat obszön viel Geld - aber Erfolg kann man sich nicht kaufen: Dass die Billig-Truppe Leicester City nun als Titel-Favorit gilt, ist auch ein Zeichen.

Von Raphael Honigstein, London

Vor Beginn der Saison taxierten die Buchmacher die Wahrscheinlichkeit, dass Leicester City Meister wird, auf 0,02 Prozent. In Worten: unmöglich. Ein Pfund Einsatz versprach im Erfolgsfall 5000 zurück. Solche No-chance-Quoten werden auf der Insel aus Jux angeboten. Man kann auch darauf wetten, dass Elvis noch lebt (10 000 zu 1), oder dass England drei Mal in Folge Fußballweltmeister wird (2500 zu 1).

So allmählich erhärtet sich jedoch der Verdacht, dass man sich in den Annahmestellen in Sachen Leicester ein wenig verrechnet haben dürfte. Die in der Vorsaison nur knapp dem Abstieg entronnene Elf aus den Midlands weigert sich seit Wochen, standesgemäße Ergebnisse zu erzielen und hat mit einer Serie von überraschenden Siegen die Tabelle auf dem Kopf gestellt. Am Samstag gelang die nächste Überraschung, ein fabelhaftes 3:1 beim Premier-League-Zweiten Manchester City, dem mit mehreren hundert Millionen zusammengekauften Team von Scheich Mansour aus Abu Dhabi. Fünf Punkte Abstand beträgt 13 Spiele vor Saisonende der Vorsprung auf die engsten Verfolger aus Tottenham und vom FC Arsenal. Das Unmögliche wird zunehmend wahrscheinlich.

Robert Huth ist ein im besten Sinne altmodischer Verteidiger, der noch dazu Tore schießt

"Es ist eine verrückte Liga in diesem Jahr", sagt Leicester-Trainer Claudio Ranieri, "die Spitzenteams haben den Druck, wir nicht. Wir genießen es einfach. Und die Fans sollen ruhig träumen." Leicester hatte die favorisieren Hausherren im Sturmregen derart deutlich bezwungen, dass sich einige Spieler der Foxes hinterher nur mehr schlecht dagegen wehren konnten, ab sofort als ernsthafter Titelkandidat zu firmieren. "Wir wollen uns nicht selbst belügen", sagte Flügelstürmer Riyad Mahrez verlegen. Der Algerier, ein 500 000- Euro-Transfer aus Le Havre, hatte mit seinem Solo zum 2:0 (48.) das Match kurz nach der Pause entschieden.

Sein Kollege Robert Huth, Kinn und Gemüt aus Granit, ließ dagegen alle Meister-Fragen ungerührt abprallen. Man werde weiter "von Spiel zu Spiel" denken, beschied der deutsche Innenverteidiger, der für seine wuchtig erzielten Treffer (1:0/3.), (3:0/60.) nach Standards und einer fehlerfreien Leistung vor dem eigenen Tor zum "Man of the Match" gekürt wurde. Huths in bester Weise altmodische Defensiv-Leistung stand im scharfen Kontrast zu der außerordentlich inkompetenten Vorstellung der City-Hintermannschaft, auch wenn Trainer Manuel Pellegrini, der im Klub stoisch die Bank für Pep Guardiola warm hält, nicht alles auf die von mehreren Kontern verwirrten Innenverteidiger Martin Demichelis und Nicolás Otamendi schieben wollte: "Ich will nur über das Team als ganzes sprechen, Abwehr und Angriff nicht auseinander dividieren."

Letzteres hatte Ranieris Small-name-Truppe für ihn übernommen. Sie überließ den Hellblauen das Spielgerät (nur 35 Prozent Ballbesitz) und kontrollierte dafür mustergültig den Raum. Neun Mann verteidigten in zwei engen Reihen tief am eigenen Strafraum, 40 Meter hinter Sturmspitze Jamie Vardy, um bei Ballgewinn "wie schwarzgekleidete Wiesel" ( The Observer) nach vorne zu sprinten. Die Laufwege sind penibel einstudiert, Energieleistung und Zusammenhalt der von Spiel zu Spiel kaum veränderten Mannschaft sind hoch. Das sind keine allzu komplexen Mittel, doch in der taktisch immer noch leicht unterbelichteten Premier League gehen Leicester die naiv angreifenden Gegner Woche für Woche in die Falle. ManCity hatte Glück, nicht mit fünf, sechs Toren aus der eigenen Arena geschossen zu werden; Sergio Agüeros Anschlusstreffer (1:3/87.) verzerrte nur die Verhältnisse.

Pellegrini wurde gefragt, ob seine Prominenten-Auswahl von der Diskussion um Pep Guardiola beeinflusst wurde. "Es wäre leicht für mich, Ja zu antworten", sagte der Chilene, verneinte aber ehrlich. In Wahrheit spielte ManCity natürlich nicht so schwerfällig-konfus, weil ihn Guardiola im Sommer beerben wird, sondern umgekehrt. Pellegrinis korrektes, höfliches Auftreten verstellt ein wenig den Blick darauf, wie wenig der 62-Jährige seit 2013 aus dem Spielermaterial gemacht hat.

Gänzlich anders verhält sich der Fall bei Ranieri, der im Königreich einst den wenig schmeichelhaften Spitzennamen "The Tinkerman" (Der Rumbastler) trug und im Sommer als gescheiterter Griechenland-Trainer (Niederlage gegen die Färöer!) in Leicester angeheuert hatte. Seine für nur 30 Millionen Euro zusammengestellte Start-Elf erinnert die ganz aufs Geld fixierte Liga der milliardenschweren TV-Deals auf zauberhafte Weise daran, dass im Fußball nicht zwangsläufig der Reichere gewinnen muss. "Wo einst Pragmatismus, kalte Finanzen und Zynismus regierten, ist eine Rebellion der Romantik ausgebrochen", schwärmt die Mail on Sunday. Die Buchmacher glauben auch zu wissen, wie diese ausgeht: Leicester wird seit Samstag als Meisterschaftsfavorit geführt.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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