Premier League:Der Patron als Nachbar

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Kaufmännisches Kalkül, nicht Leidenschaft ist die Leitlinie des Eigentümers von Newcastle United. Kostspielige Wünsche werden dem Trainer, Rafael Benitez, nicht erfüllt. Doch der ist entschlossen, dem Aufsteiger zu Stolz zu verhelfen.

Von Sven Haist, London

Trotz der Zuneigung zum Fußball stehen die meisten Stadien in England etwas außerhalb der jeweiligen Stadtzentren, aber noch in Reichweite der Bevölkerung. Das hat den Vorteil, dass die riesigen Betonklötze die Menschen im Alltag nicht behindern, aber die Anreise am Spieltag auch nicht zu strapaziös wird.

In Newcastle upon Tyne hingeben leben die Geordies - so der Spitzname für die dortigen Bewohner - mit ihrem Stadion. Die Arena liegt eingebettet zwischen Stadtpark und Einkaufszentrum, nur einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt. Die Geschichte hat diese Spielstätte zu einem Wahrzeichen gemacht, das ebenso zur nordenglischen Metropole gehört wie das Brückenpanorama über dem Fluss Tyne. Weil sich allerdings nicht jeder Nachbar aussuchen lässt, müssen die Geordies seit zehn Jahren auch mit Mike Ashley zusammenleben.

Investment aus Kalkül, nicht aus Leidenschaft

Für etwa 150 Millionen Euro hat sich der britische Geschäftsmann im Sommer 2007 den Verein Newcastle United geschnappt, den Stolz des Nordens. Die tiefe Verankerung des Klubs in der Gesellschaft sah er als Marketingvorteil für sein Sportartikelimperium Sports Direct, dessen Entwicklung ihn selbst zum Milliardär machte. Der Kauf war ebenso wenig eine Herzensangelegenheit wie der Wunsch, Newcastle United wieder groß zu machen. Ashley ging es schlicht darum, sein eigenes Vermögen zu vergrößern.

Am besten verdeutlichen lässt sich das an den Investitionen, die immer dann getätigt werden, wenn dem Verein ein erheblicher Verlust an Marktwert droht. Nicht zufällig gelang nach den Abstiegen 2009 und 2016 jeweils die umgehende Rückkehr in die Premier League. Mit einem Kader, dessen Qualität kaum ein anderes Ergebnis zuließ. Ansonsten muss der Klub selbst schauen, wie er zurechtkommt.

Horrender Verschleiß an Trainern

Ashleys Haltung steht im Kontrast zur Sehnsucht der Leute nach Führungsfiguren, die das Wohl des Vereins über den persönlichen Nutzen stellen. Aus Mangel an Beliebtheit und mit der Einsicht, dass das Fußballgeschäft komplexer ist als zunächst angenommen, hat sich Ashley aus dem operativen Geschäft weitgehend zurückgezogen. Der anfängliche Verschleiß an Trainern (sieben Übungsleiter kamen und gingen in etwas mehr als drei Jahren) und die zwischenzeitliche Änderung des Stadionnamens ließen ihn in Ungnade fallen. In der Öffentlichkeit taucht Ashley nur noch mit sporadischen Interviews auf, meist mit dem Verkauf des Klubs kokettierend.

Im Hintergrund wägt er ab, wann der beste Zeitpunkt gekommen ist, sich von seinem Investment zu trennen, das er momentan den Händen eines namhaften Trainers, Rafael Benítez, anvertraut hat. Nach einem gewissen Reputationsverlust durch eher erfolglose Engagements bei Spitzenvereinen (Inter Mailand, FC Chelsea, SSC Neapel, Real Madrid) hielt Benítez Newcastle nach dem Abstieg die Treue, um sich gemeinsam mit dem Klub wieder aufzurappeln. Eine andere Option war auch nicht vorhanden, die beste Zeit erlebte der spanische Tüftler beim FC Liverpool, den er zum Sieg in der Champions League führte. Allerdings ist das mittlerweile zwölf Jahre her.

Benítez hatte gehofft, Newcastles Kader im Sommer kostspielig erneuern zu dürfen, was selbstredend an den Sparmaßnahmen Ashleys scheiterte. Der wollte lieber wieder das Geld einspielen, das durch das Gastspiel in der zweiten Liga verloren gegangen war. Aber eine Horde von Stars anzuleiten, ist ohnehin nicht Benítez Leidenschaft. Seine Spezialität liegt eher darin, mit taktischen Finessen einen durchschnittlichen Kader mehr als durchschnittlich erscheinen zu lassen. Mithilfe eines gemäßigten Spielplans hat Newcastle United zuletzt drei Erfolge aneinandergereiht. Ein weiterer Sieg im Aufsteiger-Duell mit Brighton & Hove Albion am Sonntag würde in der Tabelle den Sprung auf Rang vier bewirken.

Lascelles' Defensivkunst weckt Englands Interesse

In der ersten Saisonphase kann sich die Mannschaft auf die solide Defensivstruktur um Kapitän Jamaal Lascelles verlassen, der ins Blickfeld des englischen Nationalteams geraten ist. Als Außenseiter vertraute Benítez in den bisherigen Spielen auf Konterfußball, den vorwiegend Matt Richie und Christian Atsu auf den Außenbahnen unberechenbar interpretieren. In Ayoze Pérez und Joselu hat Benítez zwei spanische Landsleute im Angriff, die über das notwendige technische Rüstzeug verfügen. Das Aufgebot mit lediglich drei Spielern, die das Alter von 30 Jahren passiert haben, entspricht dem Auftrag Ashleys: junge entwicklungsfähige Spieler zu einem relativ günstigen Preis einkaufen, um im besten Fall an deren Wertsteigerung finanziell partizipieren zu können.

Dieses Aufeinanderprallen der Gegensätze in Newcastle zwischen dem Wunsch nach maximalem sportlichem und finanziellem Ertrag könnte bald einen Zwist hervorbringen zwischen Trainer und Eigentümer - sofern Benítez seine Ambitionen nicht denen von Ashley angleicht. Vor ein paar Wochen hat sich Mike Ashley nämlich schon mal positioniert: Er glaube, dass Newcastles Fans und er selbst doch "noch eine Weile" zusammen bleiben.

© SZ vom 24.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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