Premier League:Der englische Proband

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Louis van Gaal scheint bei Manchester United an die Grenzen seines Könnens zu gelangen. Nach dem 1:2 in Bournemouth spitzt sich die Ergebniskrise zu.

Von Sven Haist, London

Mit beiden Händen hat Louis van Gaal auch in Bournemouth seine schwarze Trainermappe festgehalten. Seit seiner Ankunft bei Manchester United hat der Trainer das Handbuch während eines Spiels nicht einmal zur Seite gelegt. Darin befindet sich ein selbst entworfener Leitfaden, der ihn zu einem der erfolgreichsten Fußballlehrer der Gegenwart hat werden lassen. Seine Fußballanschauung hat Talente zu Stars gemacht und Stars zu Trainern. Beim FC Barcelona leitete van Gaal kurz vor der Jahrtausendwende einen Kader an, aus dem eine ganze Handvoll Spieler emporstiegen, die nun weltweit als Lehrmeister gefragt sind. Diese Garde vereint, dass sie das auf Ballbesitz und Positionstreue ausgerichtete Modell van Gaals modifizierten. An der Spitze von ihnen steht Bayerns Trainer Pep Guardiola, der jüngste Karrieremacher ist nun Philipp Cocu.

In der vergangenen Woche hat sich dieser Cocu, 45, von seinem Ausbilder abgenabelt und den niederländischen Meister PSV Eindhoven in der Gruppe B hinter dem VfL Wolfsburg ins Achtelfinale der Champions League gesteuert. Für Manchester United bleibt nach der 2:3-Niederlage in Wolfsburg die fußballerische Unterwelt: Europa League.

United sammelt nur noch Spott

Nun zerschellte Manchester United an der Südküste Englands mit 1:2 beim Winzling AFC Bournemouth wie eine Wasserwelle am Fels. Damit hat van Gaal auf groteske Weise erreicht, was er seit anderthalb Jahren vorhatte: den Klub endgültig von seinem übermächtigen Vor-Vorgänger Sir Alex Ferguson zu emanzipieren. Der englische Rekordmeister sammelt nun keine Silbertrophäen mehr für seine Vitrine ein, sondern Spott.

Von der Premier-League-Spitze ist Manchester United vor den Sonntagsspielen vier Punkte entfernt. Doch im Spätherbst seiner Karriere geht es für van Gaal nicht mehr nur um Titel, sondern auch um die Aufnahme in die höchsten Ruhmeshallen des Trainerwesens. Und so scheint der englische Rekordmeister zu einem Probanden geworden zu sein. Wie in einem Chemielabor mischt van Gaal Spieler und System nach eigener Rezeptur. Lediglich die Profis David de Gea, Michael Carrick und Chris Smalling erreichen noch regelmäßig die Form aus dem letzten Meisterjahr 2013. Die anderen - wie der gesperrte Bastian Schweinsteiger - waren damals entweder noch nicht dabei, oder befinden sich - wie Wayne Rooney - im Dauerformtief. Er und Schweinsteiger scheinen ihr Alter nicht mehr verbergen zu können.

Die Gegenpole Anthony Martial und Memphis Depay sind noch zu leichtgewichtig für die Tricks in der Eliteliga. Gegen Bournemouth standen Spieler in der Startelf, die auf die Namen Cameron Borthwick-Jackson und Guillermo Varela hörten. Nie gehört? Die meisten Fußballfans auf der Insel auch nicht. Auf der Bank saßen noch Axel Tuanzebe und Nick Powell aus dem eigenen Nachwuchs.

Und der Lokalrivale hat ein Schlaraffenland erschaffen

Die Fans verlangen zudem nach einem attraktiven Offensivspiel, doch das lässt sich mit den fußballerischen Grundsätzen van Gaals nur schwerlich vereinen. Die Vereinsverantwortlichen fangen an, sich zu sorgen, weil die hohe Gesellschaft des Fußballs zu Manchester City umgesiedelt ist. Die Citizens haben sich mit ihrem neuen Trainingskomplex ein Schlaraffenland des Fußballs geschaffen. Gerade wischen sie zusätzlich noch einmal feucht durchs Stadion. Eine solche Grundsanierung des Stadions wäre beim Nachbarn ebenfalls fällig.

Nach dem 1:1 bei den Himmelsstürmern von Leicester City sagte Schweinsteiger, dass sie dieses Spiel hätten gewinnen müssen, weil sie Manchester United seien. Diese Feststellung gehöre der Vergangenheit an, fand van Gaal nach der Niederlage in Bournemouth. Van Gaal hätte auch sagen können: der sportliche Ruhm ist erloschen! Bei Manchester United existiert derzeit lediglich der Mythos.

Und van Gaal? Scheint als Supervisor über Manchester United zu thronen und fast aus Protest zu versuchen, namenlosen Talenten zu erfolgreichen Lebenswegen zu verhelfen. Wie er es immer getan hat. Aber die wichtigste Anforderung des Trainerberufs - die Entwicklung eines Teams - scheint ihm abhanden gekommen zu sein.

© SZ vom 13.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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