Premier League:Augen zu

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Ist zurück im Geschäft: Roy Hodgson. (Foto: REUTERS)

Der frühere englische Nationaltrainer Roy Hodgson kehrt 446 Tage nach dem EM-Aus gegen Island zurück - und verliert mit dem punkt- und torlosen Tabellenletzten Crystal Palace gleich mal wieder.

Von Sven Haist, London

Ein banaler Fußballklub zu sein reicht in London nicht aus, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Fast ein Drittel der Vereine in der Premier League hält sich im Großraum der englischen Hauptstadt auf, nirgends auf der Insel ist die Dichte an Erstligaklubs so hoch. Für einen Vorstadtklub wie Crystal Palace bedarf es da schon einer außergewöhnlichen Leistung, um sich selbst auf den vorderen Sportseiten der Zeitungen wiederzufinden. Und diese außergewöhnliche Leistung ist Crystal Palace tatsächlich gelungen, allerdings mit Rekorden, die keiner haben möchte.

Als erstem Klub in der Historie der höchsten englischen Spielklasse gelang es Crystal Palace am Samstagmittag, gleich zu Saisonbeginn fünf Partien in Serie zu verlieren, ohne dabei überhaupt ein eigenes Tor zu erzielen. Das 0:1 im Heimspiel gegen den FC Southampton lässt Palace zurück auf Rang 20 in der Tabelle: mit null Punkten, null Toren und acht Gegentreffern. Einen schlechteren Start brachte bislang kein anderer Verein zustande. In der Hoffnung diesen negativen Coup (kurzfristig) und den Abstieg in die zweite Liga (mittelfristig) am Ende der Saison abzuwenden, engagierte Palace in dieser Woche den früheren englischen Nationaltrainer Roy Hodgson. Und schon mit der Bekanntgabe der Personalie am Dienstag die Jagd nach Rekorden, die keiner haben möchte.

Die Verpflichtung Hodgsons konnte nämlich nur realisiert werden durch die Entlassung seines Vorgängers, dem früheren niederländischen Nationalspieler Frank de Boer. Nach vier Spielen und 77 Tagen musste de Boer schon wieder gehen; so schnell wie seit Einführung der Premier League im Sommer 1992 noch kein Trainer.

Das Problem beim kleinen Londoner Klub sind wie so oft leicht größenwahnsinnige Vorstellungen. Geht es nach Klubeigentümer Steve Parish, sollte Palace zu einem Duplikat Southamptons werden, das sich mit einem eigenen Spielstil in die obere Tabellenhälfte kombiniert. Doch niemand scheint diesen Spielstil so recht vermitteln zu können: Seit dem Aufstieg im Sommer 2013 hat Palace in vier Jahren zehn verschiedene Trainer ausprobiert. Nahezu stetig treten die Verantwortlichen als eine Art Ausputzer auf: Wie Parish halten die amerikanischen Investoren Joshua Harris und David Blitzer jeweils 18 Prozent der Anteile am Verein, und in der Vorwoche verfolgten sie auf der Tribüne gemeinsam das 0:1 bei Burnley, das die Trennung von de Boer unvermeidlich machte. Zuvor scheiterte der ehemalige Defensivstratege und holländische Nationalspieler übrigens schon bei Inter Mailand als Trainer: nach 85 Tagen.

Das eigentliche Problem ist, dass der Kader bei Palace lässt nichts anderes zulässt als den Kampf gegen den Abstieg. Der stetige Wunsch nach einer attraktiven Interpretation des Spiels bei Ballbesitz hat Palace in der Vorsaison unter Leitung von Alan Pardew fast hinunter gerissen in die zweitklassige Championship. Auf der Zielgerade manövrierte Sam Allardyce, 62, das Team gerade so über die Abstiegszone und stellte damit seine ramponierte Reputation wieder her.

Demselben Ziel eifert nun Hodgson nach. Im Vergleich zu Allardyce scheiterte Hodgson bei der englischen Nationalmannschaft nicht an einer Affäre um Spielertransfers, sondern an: Island. Das Aus im Achtelfinale bei EM 2016, das Hodgson zu verantworten hat, gilt nach wie vor als die bislang größte Demütigung in diesem Jahrtausend für das Mutterland des Fußballs. "Dieses Kapitel ist vorbei. Ich konzentriere mich auf das nächste: Crystal Palace, Crystal Palace, Crystal Palace", sagte Hodgson. Die Nachfragen stoppte das auf der Pressekonferenz vor dem Spiel natürlich nicht. Und nach dem Spiel sieht es nicht besser aus.

Bei seiner Rückkehr ins Profigeschäft, 446 Tage später, hielt sich Hodgson nämlich wieder schamhaft mit den Händen die Augen zu. Jenes Bild von Hodgson auf der Trainerbank war bei der EM berühmt geworden. Und diesmal? "Eine schmerzhafte Erfahrung" nannte Hodgson die Niederlage, er müsse jetzt dafür sorgen, dass sich die Spieler nicht ihr eigenes Grab schaufeln: "Ich kann nicht suggerieren, dass die Arbeit auf dem Trainingsplatz zwei oder drei Messis oder Ronaldos produziert." Das frühe Gegentor durch Southamptons Steven Davis (6.) konnte Palace im eigenen Selhurst Park nicht ausgleichen.

Mit Applaus hatten die Fans ihren Heimkehrer bei seiner 21. Trainerstation begrüßt, als Sohn eines Busfahrers ist Hodgson ja im Londoner Stadtbezirk Croyden aufgewachsen, wo auch Crystal Palace zuhause ist. Als Jugendlicher schnürte er für den Klub die Fußballschuhe. Im Alter von 70 Jahren und einem Monat hat ihn Palace jetzt zum ältesten Nachkriegstrainer in Englands Eliteliga gemacht. Das könnte ein Lob sein, wenn es gut läuft. Doch gerade ist es eher noch so ein Rekord, den eigentlich niemand haben möchte.

© SZ vom 17.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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