Fußball-EM:Mit Pepe-Fußball ins Finale gerumpelt

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Für Portugal geht es nicht mehr um das schöne Spiel, sondern um den Erfolg. Das haben auch Pepe, Fonte und Christiano Ronaldo verinnerlicht (von links). (Foto: AFP)

Erstmals spielt Portugal beim einem Turnier nicht schön und kann nun doch plötzlich Europameister werden - weil die Mannschaft das Wichtigste verstanden hat.

Von Filippo Cataldo, Paris/München

Fernando Santos hat darauf verzichtet, schnell noch José Gomes, Diogo Leite, Diogo Dalot und ihre Kameraden nach Paris einzuladen. Die jungen Männer, alle Jahrgang 1999, hätten sicher etwas zu erzählen gehabt. Haben sie doch den portugiesischen Nationalspielern schon eine Sache voraus. Am 21. Mai gewannen sie in Baku mit einem Sieg im Elfmeterschießen gegen Spanien die Europameisterschaft der U17-Junioren.

Man muss sich keine Sorgen machen um den portugiesischen Fußball. Letztes Jahr verlor die U21 unglücklich das Finale der EM gegen Schweden, bei der U19-EM, die am Montag in Stuttgart beginnt, gehören die jungen Portugiesen zu den Favoriten. Auch wenn die Mannschaft beim Turnier auf ihren talentiertesten Spieler verzichten muss. Renato Sanches wird ja am Sonntag in Paris benötigt. Bevor der Mittelfeldspieler, 18, in drei Wochen zum FC Bayern stößt, muss er mal eben noch dabei helfen, Portugal im Finale gegen Frankreich auf den Thron Europas zu hieven.

Es ist gerade viel von der Goldenen Generation die Rede - der neuen

Als eine Selecao das letzte Mal die Möglichkeit hatte, Europameister zu werden, war noch die sogenannte Goldene Generation Portugals am Werk. Bei der Heim-EM 2004 zog Rui Costa noch die Fäden im Mittelfeld, Luis Figo narrte die Gegner noch fast nach Belieben, hinten hielten Fernando Couto und Rui Jorge den Laden zusammen, vorne stürmten noch Nuno Gomes und Pauleta.

Die meisten kannten sich seit den Achtzigern, 1989 waren sie zusammen in Saudi Arabien U20-Weltmeister geworden. Spätestens ab 1996 galt Portugal bei allen internationalen Turnieren mindestens als Geheimfavorit, doch die Goldene Generation starb stets in Schönheit.

Nach der Niederlage gegen Griechenland, die auch der junge Cristiano Ronaldo nicht verhindern konnte, traten die meisten großen Spieler zurück. Portugal entwickelte sich zur Ronaldo-Mannschaft. Sicher, es gab und gibt Nani, bei dem man sich ungefähr ein Jahrzehnt lang fragte, wann er endlich explodieren würde.

Es gab Stürmer Ricardo Quaresma, den gerne rasend schlecht gelaunten Innenverteidiger Pepe und seinen auch nicht gerade als Gute-Laune-Onkel bekannten Abwehrkollegen Ricardo Carvalho, zusammen mit Ronaldo der einzige verbliebene Veteran der 2004er-Mannschaft. Außergewöhnliche Fußballer, aber keine goldenen. Ebenso wenig wie Ronaldo, der ja mindestens aus Platin ist. Portugal ging bei allen Turnieren nach 2004 weiter als Geheimfavorit an den Start, mehr als Platz vier bei der WM 2006 sprang nicht heraus.

In den letzten Monaten war in Portugal aber wieder viel von der Goldenen Generation gesprochen worden. Von der neuen. Von den U21-EM-Veteranen wie den Neu-Dortmunder Raphael Guerreiro, William Carvalho, Joao Mario, Renato Sanches, die am Sonntag alle in der Startelf stehen könnten. Von den oben erwähnten noch Jüngeren.

Irgendwann einmal, so die Hoffnung, würden sie Portugal endlich den ersten Titel bescheren - und hoffentlich würde Ronaldo, 31, das noch erleben. "Für uns Ältere war er damals eine Sensation. Ein Spieler mit enormer Qualität und Zukunft. Er hatte schon damals eine wahnsinnige Präsenz. Ich habe das Gefühl, dass er nun, mit 31, in den Jungen von heute seine eigene Geschichte erkennt", sagte der portugiesische Alt-Internationale Deco dieser Tage der SZ.

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Pepe-Fußball: Zerstören, lamentieren und immer schön auf die Socken

Die Selecao reiste ohne übertriebene Erwartungen aus der Heimat nach Frankreich. Zum ersten Mal seit 1996 galt Portugal nicht als Favorit, nicht einmal als geheimer. Und so spielte sie auch. Klar, Ronaldo hatte seine Momente, Nani auch. Renato Sanches machte Spaß, alleine schon, weil er viel lief und den Ball forderte, was ihn in dieser Mannschaft zu einem Ausnahmespieler machte.

Ansonsten erreichte Portugal das Finale vor allem mit schlecht gelauntem Pepe-Fußball: Zerstören, wenn zerstören angesagt ist, lamentieren, wenn lamentieren angesagt ist, und ansonsten dem Gegner immer schön auf die Socken. Dazu kam eine von Fernando Santos erdachte pragmatische Taktik. Eher defensiv, den Gegner laufen lassen, Ronaldo machen lassen.

Die anderen sind zum Absichern da, und, so wirkt es, zum Verschleppen des Tempos. Zwischenzeitlich bekam man fast das Gefühl, dass der kettenrauchende Trainer Santos sein eigenes Lungenvolumen als Maßstab nimmt für die von ihm als notwendig erachtete Laufleistung in einem Fußballspiel.

"Die Beziehung zwischen dieser Mannschaft und den Fans war keine Liebe auf den ersten Blick. Das braucht man jetzt nicht zu leugnen", schrieb am Samstag Luis Figo in einer Kolumne für Expresso, "es ist nicht die Zeit, über komplizierte ästhetische Konzepte zu diskutieren." Man solle stattdessen "ohne Einschränkungen die harte Arbeit der ganzen Mannschaft und des Trainers anerkennen". Es geht nicht mehr um Goldene Generationen, es geht nicht mehr ums jogo bonito. Es geht nur noch um den Sieg. Portugal hat das jetzt verstanden.

© SZ vom 10.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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