Pferdesport:Vier Hiebe zu viel

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Ein Rennen, das Folgen hatte: Im Juli 2016 gewann Isfahan mit Dario Vargiu (rechts) das 147. Deutsche Derby auf der Galopprennbahn Hamburg-Horn. (Foto: Frank Sorge/imago)
  • Der Galoppsport steht vor einem wegweisenden Urteil.
  • Weil er neun statt fünf Peitschenhiebe angewendet hat, könnte der Hamburger Derbysieger disqualifiziert werden.
  • Der Sport hat dafür bisher nur Geldstrafen vorgesehen, die durch die gewonnenen Preisgelder einfach bezahlt werden konnten. Das würde sich nun ändern.
  • Die Veränderungen beträfen auch die Vergangenheit. Die Protestfrist beträgt fünf Jahre. Es droht eine Lawine an nachträglichen Protesten.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Tierschützer jubeln, die Protestführer reiben sich die Hände, und während die Pferde wie immer alles still erdulden, klingt die Aufregung bei Funktionären, Trainern und Jockeys umso lauter. Erstmals im deutschen Galoppsport soll nach einem Urteil des Oberen Renngerichts ein Sieger wegen Peitschenmissbrauchs disqualifiziert werden - ausgerechnet jener des Deutschen Derbys in Hamburg.

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:Peitschen lohnt sich

Egal, wie oft ein Jockey sein Pferd schlägt: Eine Disqualifikation sieht der Galoppsport nicht vor. Der Sieger des Deutschen Derbys bleibt deshalb ungestraft.

Von Ulrich Hartmann

"Diese Entscheidung würde die Grundfesten der Rennordnung erschüttern, sie stellt uns vor Probleme und hat deshalb bei uns zu erheblichen, auch emotionalen Reaktionen geführt", sagt Jan Antony Vogel, der Geschäftsführer des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen (DVR). "Wir machen uns mit diesem Riesenzirkus lächerlich", schimpft Jockey-Sprecher Alexander Pietsch. Der klageführende Anwalt Bernhard Matusche hingegen, selbst Züchter, stilisiert das zunächst zur Neuverhandlung ans Renngericht zurückverwiesene Urteil zum weltweiten Fanal für Fairplay: "Diese Entscheidung dürfte auch im Ausland für Konsequenzen sorgen."

Das Obere Renngericht entschied: Verstoß gegen die Rennordnung

Matusche und sein Mandant Horst Julius Pudwill, Milliardär mit Wahlheimat Hongkong, bringen den Galoppsport in Wallung. Pudwills Pferd Dschingis Secret ist beim Derby im vergangenen Juli Dritter geworden. Weil den Jockeys der ersten beiden Pferde, Isfahan und Savoir Vivre, zu häufiges Peitschen nachgewiesen wurde, legte Pudwill Protest ein. Jetzt herrscht Aufruhr, weil es zuvor kaum jemanden gestört hatte, wenn Jockeys ihr Pferd im Rennen mehr als die erlaubten fünf Mal geschlagen haben. Die Jockeys wurden dann mit einer Geldstrafe belegt, die nach einem lukrativen Sieg meist der Pferde-Besitzer übernahm. Nun wurde in zweiter Instanz entschieden, der Derby-Sieger Isfahan sei zu disqualifizieren, weil sein Jockey Dario Vargiu die Peitsche neun Mal benutzt hat. Nachdem Pudwills Einspruch in erster Instanz noch abgewiesen worden war, entschied das Obere Renngericht, dass übermäßiger Peitschengebrauch als Verstoß gegen die Rennordnung zu werten sei: "Beim Einsatz der Peitsche über die zulässige Richtzahl von fünf Schlägen hinaus ist zu disqualifizieren!"

Das DVR als Dachverband will die Entscheidung erst kommentieren, wenn die schriftliche Begründung vorliegt, aber schon wird gemunkelt, dass das Urteil mit den Schlussbestimmungen der Rennordnung entschärft werden könnte. Dort heißt es unter Punkt 696: "Das Präsidium des Direktoriums kann jede Maßnahme treffen, die im Interesse des Zucht- und Rennbetriebes, insbesondere seiner ordnungsmäßigen Durchführung, geboten erscheint; es kann in einem Ausnahmefall von der Rennordnung abweichen, wenn dem Gesamtinteresse der deutschen Vollblutzucht und seiner Leistungsprüfungen vorrangige Bedeutung einzuräumen ist."

DVR-Geschäftsführer Vogel hält solch eine "Generalklausel" für "nicht ungefährlich, denn es darf nicht das Mittel dafür sein, Entscheidungen, die einem nicht passen, zu umgehen. Das oberste Organ ist die Mitgliederversammlung, auch die Anwendung einer Generalklausel muss immer in ihrem Sinne erfolgen". Vogel würde Punkt 696 "auch nicht so auslegen, dass man sich damit über juristische Entscheidungen dauerhaft hinwegsetzen darf". Dies sei zur juristischen Absicherung nur für einen begrenzten Zeitraum möglich. Dauerhaft sei es eine Option, die Rennordnung anzupassen: "Wir müssten uns Gedanken machen, wie wir die Rennordnung überarbeiten."

Auch Matusche hält Punkt 696 im Kontext des Urteils für fragwürdig. "Deutschland könnte zum Vorreiter für die ganze Galopp-Welt werden mit einem Urteil im Sinne der Fairness, dann würde man das mit einem 'Notstandsparagraphen' infrage stellen? Das wäre rechtlich nicht vertretbar." Er hält es für "undenkbar, dass das DVR seine eigene Gerichtsbarkeit demontiert". Sollte Isfahan doch nicht disqualifiziert werden, will er Klage beim Landgericht Köln einreichen. Es geht ums Prinzip und um 390 000 Euro Prämie für den Sieg.

Überhaupt geht es für alle ums Geld - auch für die Zuschauer. Befürchtungen, eine Disqualifikation des Siegerpferdes könnte auch für Einsprüche jener sorgen, die auf Dschingis Secret gesetzt hatten, der nun zum Sieger erklärt werden könnte, gibt es beim Wettvermittler German Tote keine. Wer wettet, akzeptiert die Wettbestimmungen, in denen heißt es in Paragraf 21.2: "Die Auszahlung eines Gewinns ist endgültig, auch wenn auf einen später eingelegten Protest hin die Entscheidung über den Ausgang des Rennens nachträglich geändert wird." In Paragraf 8.4 steht explizit: "Eine Entscheidung des Renngerichts im Berufungsverfahren hat auf die Wette keinen Einfluss."

Es drohen nachträgliche Proteste

Betroffen sind die Jockeys - im doppelten Wortsinne. Für Pietsch ist die Sache eigentlich einfach: "Man muss ja nur aufpassen. Fünf Mal draufhauen und danach die Peitsche weglassen - dann passiert einem nichts." Aber jenseits dieser einfachen Wahrheit denkt er komplexer darüber nach. "Die bisherige Neuregelung mit einer Sperre beim erstmaligen Peitschenmissbrauch finde ich angemessen", sagt er. Eine Disqualifikation fände er falsch. Verzichten können die Jockeys auf die Peitsche nicht, sagt Pietsch. Sie benötigen sie zur Korrektur, wenn das Pferd die Spur verliert. Weil die Füße in den hohen Steigbügeln stecken, die Jockeys gleichsam darin stehen, können sie die Beine zur Korrektur nicht nutzen.

Und so harrt die Branche einer wegweisenden Entscheidung. Der Galoppsport steht vor gravierenden Veränderungen, die aber auch die Vergangenheit beträfen. Die Protestfrist beträgt fünf Jahre. Es drohte eine Lawine an nachträglichen Protesten.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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