Pechstein gegen Internationalen Sportgerichtshof:"Sportpolitisch wird einiges bröckeln"

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Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein erringt einen ersten Erfolg im Prozess gegen den Internationalen Sportgerichtshof. (Foto: dpa)
  • Das Münchner Oberlandesgericht hat dem Internationalen Sportgerichtshof Cas im Schadensersatzprozess von Claudia Pechstein schweren Schaden zugefügt.
  • Die Richter bestätigten in zweiter Instanz massive Zweifel an der Wirksamkeit der Schiedsgerichtbarkeit des Cas.
  • Das Verfahren kann Bewegung in die gesamte Sportgerichtsbarkeit bringen.

Auf dem Weg zu einem Präzedenzfall

Der jahrelange Streit um eine erhöhte Anzahl junger roter Blutkörperchen bei Eisschnellläuferin Claudia Pechstein droht im vollständigen Kollaps des Sportrechtssystems zu enden. Pechstein hatte den Weltverband wegen ihrer auf Indizien beruhenden zweijährigen Dopingsperre 2009 auf 4,4 Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt. Die Berlinerin hatte stets argumentiert, eine vererbte Blutanomalie sei für ihre erhöhten Retikulozytenwerte verantwortlich.

Das Münchner Oberlandesgericht hat den Internationalen Sportgerichtshof Cas am Donnerstag in seiner Autorität stark geschwächt und eine sportpolitische Sensation angestoßen. Das Gericht hatte ein Urteil zwar erst für den 15. Januar 2015 angekündigt. In der Verhandlung bestätigten die Richter aber auch in zweiter Instanz die massiven Zweifel an der Wirksamkeit der Schiedsgerichtsbarkeit und erschütterten mit ihren Vorwürfen den 1984 ins Leben gerufenen Internationalen Sportgerichtshof Cas in seinen Grundfesten.

Bewegung in der weltweiten Sportgerichtsbarkeit

Es wird nun erwartet, dass das OLG Pechsteins Klage annimmt und das Urteil an den Bundesgerichtshof zur Prüfung weiterleitet. "Sollte der Bundesgerichtshof das Urteil stützen, werden deutsche Verbände keine Vereinbarung mehr schließen, die deutsches Recht aushebeln", ist sich der renommierte Sportrechtler Michael Lehner sicher. Und dann sei es die Frage, "wie stark der deutsche Sport sei, das auch international durchzusetzen.

Es wird deutlich, dass der Pechstein-Prozess das Ende der Monopol-Stellung des Cas einläutet. Deshalb ist dieser Prozess so schön und wichtig", sagte Lehner. Er sieht nach dem Verlauf des Schadenersatzprozesses von Claudia Pechstein Bewegung in der weltweiten Sportgerichtsbarkeit. "Der Druck steigt", erklärte Lehner. Es werde "sportpolitisch einiges bröckeln". Der Cas sei "noch nie ein echtes Schiedsgericht gewesen und die Auswahl der Richter auf der geschlossenen Liste schon recht merkwürdig", führte er weiter aus. Auch der Hamburger Sportrechtler Jan Räker sieht eine Reformierung des Cas positiv: "Eine Wahlfreiheit für Sportler wird aber nicht das Ende der Sportgerichtsbarkeit sein."

Schiedsklausel ist unwirksam

Knackpunkt ist die Schiedsklausel der Athletenvereinbarung, die im Fall Pechstein schon im Februar durch das Landgericht München in erster Instanz für unwirksam erklärt worden war. Auch das Oberlandesgericht kritisierte die Machtfülle des Weltverbandes ISU. Richter Rainer Zwirlein bemängelte, dass es im Eisschnelllauf anders als etwa im Boxen nur einen Weltverband gebe, dem sich die Sportler mit ihrer Unterschrift unter die Athletenvereinbarung unterwerfen müssten.

Spitzensportler schließen mit ihren Verbänden sogenannte Athletenvereinbarungen. Mit ihnen stimmen die Sportler zu, sich in Fragen des Anti-Doping-Kampfes den international gültigen Regeln und dem Code der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zu unterwerfen und Streitigkeiten vor Sportschiedsgerichten in letzter Instanz vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne auszutragen. Dort setzt die Kritik aus dem Pechstein-Lager an. Das Cas-System sei laut Pechstein-Anwalt Thomas Summerer kartellrechtlich sittenwidrig und nichtig. "Wir glauben, dass der Cas kein echtes Schiedsgericht ist und es deshalb keine Rechtskraft geben kann", sagte Summerer.

Klagewellen drohen

Bei einem entsprechenden Urteil müsste künftig unter Berufung auf den Pechstein-Prozess kein deutscher Athlet mehr die Schiedsklausel einer Athletenvereinbarung unterzeichnen. Und wenn sich die jeweiligen internationalen Sportverbände querstellen und auf das bisherige System bestehen? Dann drohen Klagewellen. Schon der kommende Dienstag könnte für den Cas Folgen haben, dann findet die Anhörung der wegen Dopings für zwei Jahre gesperrten Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle statt. Bleibt die Sanktion bestehen, und Pechstein setzt sich durch, dürfte auch die 33-jährige Sachenbacher-Stehle vor einem staatlichen Gericht Schadenersatz einfordern.

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