Olympia:Von der Fliesenlegerin zur Olympiasiegerin

Lesezeit: 4 min

Volltreffer: Nicola Adams im Fliegengewicht-Finale während der Olympischen Spiele von London. (Foto: AFP)

Die Britin Nicola Adams strebt in Rio ihre zweite olympische Goldmedaille nacheinander an. Doch der bisexuellen, schwarzen Box-Pionierin geht es um mehr.

Von Benedikt Warmbrunn

Am 5. August beginnen die Olympischen Spiele in Rio. Nach dem Willen der Funktionäre soll es dann nur um den Sport gehen. Doch längst begleiten politische und gesellschaftliche Themen das Denken vieler Olympia-Kandidaten. Die SZ stellt in einer Serie einige Athleten und Athletinnen vor, die auch für ein Ziel jenseits des Kampfes um Gold, Silber und Bronze stehen: Manche für persönliche Ziele, manche für die brisanten Themen unserer Zeit.

Wer mit Boxhandschuhen in den Ring steigt, für den beginnt meistens der eigentliche Kampf erst nach dem letzten Gong. Joe Louis kämpfte nicht nur gegen Max Schmeling, sondern aus Sicht aller Amerikaner auch gegen Nazi-Deutschland und somit für die Freiheit; später stieg er nur in den Ring, weil er auch gegen die Steuerbehörde kämpfte. Muhammad Ali kämpfte für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen, später kämpfte er gegen Parkinson und für die Würde. Mike Tyson kämpfte gegen den eigenen Wahnsinn. Nicola Adams kämpft dafür, dass das Normale endlich als normal gilt, zumindest ist das der große, übergeordnete Kampf ihres Lebens. Doch in diesen Wochen beschäftigt sie ein Kampf des Alltags, er wirkt kleiner, aber er ist zehrender als all ihre anderen Kämpfe zusammen.

Eier mit Toast oder Porridge zum Frühstück, Hühnchen mit Gemüse und Reis zum Mittagessen, Steak mit Gemüse am Abend, keine Kohlenhydrate nach 19 Uhr, jeden Tag der Woche, jede Woche des Monats. Der Kampf, der Nicola Adams, 33, in diesem Sommer völlig auslastet, ist der gegen jedes überflüssige Gramm.

Als Frau wurde Adams zunächst nicht gefördert

Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro will die Britin Adams, Goldmedaillengewinnerin bei den Spielen 2012 in London, ihren Titel im Fliegengewicht verteidigen, es ist eine historische Aufgabe. Als einziger Brite feierte bisher der Mittelgewichtler Harry Mallin das wiederholte Gold, bei den Spielen 1920 und 1924.

"Nichts wird mich aufhalten, ich muss diese Medaille gewinnen", sagt Adams, "hier geht es um ein Vermächtnis. Ich möchte etwas Großes unserem Land hinterlassen, und das ist der Weg, wie mir dies gelingen soll." Sie könnte es sich einfacher machen, sie könnte die Erwartungen dämpfen, aber sie weiß, dass die Erwartungen der anderen ohnehin höher sein werden als ihre eigenen.

Die Goldmedaille, die bei Olympia 2012 im Fliegengewicht vergeben wurde, war eine historische, die erste Goldmedaille für eine Boxerin. Gewonnen hatte sie Nicola Adams, eine schwarze, bisexuelle Frau aus Leeds, die erst lernen musste, dass sie jetzt eine gesellschaftspolitische Figur war.

Sie selbst sah sich zunächst weiter als eine Boxerin, die sich endlich ihren Traum erfüllt hatte.

Adams begann als Zwölfjährige mit dem Boxen, weil ihre Mutter keinen Babysitter gefunden hatte. Also musste sie mit ihrem Bruder mit ins Box-Gym. Sie sah anderen Kindern beim Schattenboxen zu, sie sah den Schweißdampf an den Fensterscheiben, und sie fühlte, dass diese Welt ihr endlich die Ruhe bringen würde, die sie sonst nirgends fand. Als Mädchen litt sie an der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), sie war unruhig, hibbelig, hatte schlechte Noten in der Schule. Erst das Boxen gab ihr die Kraft, ein langfristiges Ziel zu verfolgen. Bis ihr das Boxen diese Kraft fast wieder genommen hätte.

Die Boxwelt ist nach wie vor eine Welt, die von Machos dominiert wird. Für diese gehören Frauen oft nur in den Ring, wenn sie knappe Höschen und Schilder mit der Rundenanzahl tragen. Bei den Profis nehmen nur wenige Promotor Frauen ernst, und noch weniger fördern Frauen. Auch bei den olympischen Boxerinnen war das lange nicht anders. Wollte Adams zu einem Turnier oder ins Trainingslager reisen, musste ihre Mutter alles zahlen; Adams selbst arbeitete als Fliesenlegerin oder übernahm Nebenrollen in Soap Operas im Fernsehen. Erst als Frauenboxen in London olympisch wurde, begann die späte Förderung der Karriere der Nicola Adams.

Olympia
:Das Gesicht des modernen südafrikanischen Sports

Der 400-Meter-Läufer Wayde van Niekerk betreibt eine Karriere, die seiner Mutter zur Zeit der Apartheid verwehrt geblieben ist. Sein Ziel in Rio: der Olympiasieg.

Von Johannes Knuth

Sie trainierte nun am English Institute of Sport in Sheffield, fünfmal die Woche, von neun Uhr morgens bis 17 Uhr am Nachmittag, keine Kohlehydrate nach 19 Uhr. Der Staat investierte in sie, weil er eine gute Bilanz vorzeigen wollte. Doch das Gold der Nicola Adams war bald mehr als nur eine von insgesamt 29 britischen Goldmedaillen.

Eine 1,65 Meter große Frau hatte als erste erfolgreich eine Männerdomäne herausgefordert, und wie ihr Idol Muhammad Ali nutzte sie den Ruhm, um für das zu werben, was sie war. Sie erzählte, wie schwer es für sie als Frau lange Zeit gewesen war, aber sie beschwerte sich nie. Sie betonte nicht die Ungerechtigkeiten. Sondern sie erzählte von ihrem Leben als schwarze, bisexuelle Frau. Es ist das einzige Leben, das sie kennt, und deswegen macht sie darüber auch kein großes Aufsehen.

"Ich denke, dass ich im Frauenboxen für einen Wandel sorgen kann"

"Niemand hat sich wirklich jemals dafür interessiert, dass ich bisexuell bin, und ich habe das nur erzählt, weil ich es schon immer erzählt hatte - nur die Öffentlichkeit wusste nichts davon", sagte Adams vor Kurzem der Zeitschrift Vogue. Sie will einfach, dass alle verstehen, dass auch ihr Leben ein ganz normales ist.

Nach dem Titelgewinn in London hatte Adams bald gespürt, dass viele Menschen andere Erwartungen an sie gestellt hatten. Sie war nun eine Frau, die ein Ziel erreicht hatte, dass es zu Beginn ihres Weges überhaupt noch nicht gegeben hatte. Das einzige Leben, das sie kennt, nehmen andere nun wahr als eines, das Mut machen kann, um sich für die eigene Sache einzusetzen. Adams geht in Talkshows, sie gibt Interviews, "ich denke, dass ich im Frauenboxen für einen Wandel sorgen kann". Am besten, glaubt sie, gelingt ihr dies, indem sie einfach weiterhin das macht, was ihr immer als das Leichteste im Leben vorkam: die Boxhandschuhe anzuziehen und in den Ring zu steigen.

"Es ist nur ein Sport für mich", sagte sie neulich dem Daily Telegraph, "ich sehe es nicht als einen Kampf."

Bisher erschienen: Indiens Tennisspielerin Sania Mirza (16. Juli); Südafrikas 400-Meter-Läufer Wayde van Niekerk (20. Juli).

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Olympia
:Wie Sania Mirza eine Ikone für Millionen Inderinnen wurde

Kinder gebären, kochen und auf den Ehemann warten: Die indische Tennisspielerin Sania Mirza fährt als Medaillenkandidatin zu Olympia. Doch ihre Heimat hat eine ganz andere Rolle für sie vorgesehen.

Von Gerald Kleffmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: