Olympia: Lindsey Vonn:Quarkwickel gegen das Desaster

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Alpin-Skifahrerin Lindsey Vonn droht auszufallen - ohne die bekannteste Athletin des Landes würden die Spiele zum Reinfall in den USA.

Wolfgang Gärner, Whistler

Bis Mittwoch beschäftigte das sportinteressierte Amerika im Zusammenhang mit Lindsey Vonn nur die eine Frage: Kann sie womöglich wie vor zwei Jahren ihr schwimmender Landsmann Michel Phelps in Peking bei jedem Start Gold gewinnen? Phelps gewann acht Mal, für Vonn wären es fünf Siege. Seit Mittwoch lautet die Frage: Kann sie überhaupt mitfahren bei den Alpinrennen von Whistler Mountain?

Das Gesicht der amerikanischen Mannschaft: Lindsey Vonn. (Foto: Foto: AFP)

Die Änderung der Fragestellung hat die 25-Jährige selbst bewirkt, als sie, niedergeschlagen und versteinerten Gesichts, das Geheimnis ihrer Verletzung lüftete; erst in der Today Show des Olympiasenders NBC, dann auf einer internationalen Pressekonferenz in Vancouver (am anderen Ort der Winterspiele, unten an der Pazifikküste statt oben am Berg - als ob sie dort gar nicht dazugehörte).

Wenn die hohe Favoritin in mindestens zwei Disziplinen (Abfahrt und Super-G) ausfiele, wäre das für sie persönlich ein extrem frustrierendes Ereignis. Aber es wäre noch mehr: Lindsey Vonn war als das Gesicht Amerikas vorgesehen für diese Winterspiele, als diejenige, die diesmal den amerikanischen Traum wahrmacht. "Sie ist das ganze Paket", sagte Bill Marolt, Generaldirektor des US-Skiverbands USSA.

Sportlich erfolgreich zu sein und erstmals Olympiasiegerin zu werden, wäre nur ein Teil des Pakets. Das andere, gewichtigere: Lindsey Vonn soll der Big Deal der amerikanischen Olympia-Industrie werden, mit dem Fernsehgelder refinanziert und Werbekampagnen sich rechnen sollen.

Nicht ohne Grund hatte der Sender NBC die Skifahrerin in den Mittelpunkt seiner Kampagne für das Sportfest in Vancouver und Whistler gestellt. Und nicht aus Zufall hatte sie Amerikas führendes Sportmagazin Sports Illustrated vergangene Woche auf das Titelbild seiner Olympia-Vorschaunummer genommen und sofort anschließend eine Bikini-Bildstrecke von ihr abgedruckt (im berühmten Swim-Suit-Sonderheft, in dem Zelebritäten sich im Badeanzug zeigen).

Normalerweise konzentriert sich das amerikanische Interesse bei Olympia auf eine amerikanische Eiskunstläuferin, und die bekäme normalerweise auch das Olympiacover von Sports Illustrated - aber es gibt derzeit keine herausragende amerikanische Eiskunstläuferin. Es gibt nur einen Menschen aus den USA, der bei den bevorstehen Winterspielen Erfolg und Glamour zusammenbringen könnte: Lindsey Vonn.

Von Glamour und Überschwang war nichts geblieben am Tag, als sie das Geheimnis lüftete: dass sie bei einem Sturz am 2. Februar im Slalomtraining in Hinterreit am Hochkönig ("ich habe mich verdreht und überschlagen, und die ganze Wucht ging auf die Wade") eine schwere Schuhrandprellung erlitten hatte. Zum Geheimnis habe sie den Vorfall deshalb gemacht, "weil ich dachte, es würde besser. Dann hätte man darüber nicht zu reden brauchen. Aber die Besserung stellte sich als Wunschdenken heraus".

Stattdessen konnte sie die ersten zwei Tage nach dem Sturz nicht mal gehen. Logischerweise stand sie seitdem nicht mehr auf Ski, hatte nur am Montag im Hotelzimmer mal versuchshalber die Skischuhe angezogen, "und ich kann euch sagen: Es tat fürchterlich weh. Es ist der schlimmste Schmerz, den ich je hatte".

Mit Schmerzen kann sie umgehen: "Ich habe mich schon durch einige Verletzungen durchgekämpft", sagt sie. Bei der WM vergangenes Jahr in Val d'Isère schnitt sie sich an einer abgebrochenen Champagnerflasche die Daumensehne ab, als ihre zweite Goldmedaille gefeiert werden sollte. Sie wurde operiert und kam zurück, ebenso wie nach ihrer schweren Handverletzung im Januar dieses Jahres beim Weltcup in Lienz - seitdem fährt sie mit einer Schiene.

Und letztes Mal bei Olympia vor vier Jahren in San Sicario trug sie von einem schweren Trainingssturz anhaltende Hüftschmerzen davon, mit denen sie keine Chance hatte, auch nur in die Nähe der Medaillenplätze zu kommen. Diesmal ist es ein massiver Bluterguss, eine Muskelprellung: Droht nun ein Déjà-vu jener bitteren Tage der Frau, die von ihren Landsleuten dazu ausersehen ist, in Whistler Creekside fünf Medaillen - wenn möglich goldene - zu holen.

Ganz nebenbei soll sie den Skisport in Amerika ins Rampenlicht stellen. Denn Skifahrer gelten in den USA erst dann als große Sportler, wenn sie Olympiasieger waren. Das gilt auch für sie als Gewinnerin von drei Gesamtweltcups und der WM-Titel in Abfahrt und Super-G von vergangenem Jahr. "Ich habe mich angestrengt in den letzten paar Jahren, damit ein paar mehr Leute sich für uns interessieren", sagte sie, "und ich habe mir nicht nur beim Skifahren Mühe gegeben, sondern auch für die Medien." Zum Beispiel mit den Bikini-Fotos, die vorigen Juni passenderweise nahe dem Olympiaberg geschossen wurden.

Damals war alles spaßig, sieben Monate später und zurück in British Columbia ist alles Sorge: "Das sind nicht die besten Umstände, unter denn ich bei Olympia antreten wollte", sagt sie. Die Herausforderung sei eine gewaltige, "ich kann nur versuchen, es durchzustehen". Vonn war den Tränen nahe, als sie ihren Zustand preisgab, versicherte aber zugleich trotzig, dass sie ihre positive Einstellung behalte.

Die große Hoffnungen waren die Quarkwickel, die Oliver Saringer, der von ihrem österreichischen Sponsor abgestellte Physiotherapeut, in den letzten Tagen pfundweise um ihre Wade drapierte. (Die US-Teamleitung wirkte nicht begeistert über den Umstand, dass die Behandlung außerhalb ihrer Zuständigkeit erfolgte.) Womöglich haben die Quarkwickel gewirkt, denn Stunden nach der Pressekonferenz kam ein anderer Klang in die Verlautbarungen: "Es scheint besser zu werden mit jedem Tag." So gut, dass sie wieder schmerzfrei gehen könne.

Der wirkliche Test

Das erste Olympiarennen 2010 der Lindsey Vonn wäre die Superkombination am Sonntag, das zweite die Abfahrt am Mittwoch. Voraussetzung für ihren Start ist, dass sie am Training teilgenommen hat. Nicht auszuschließen ist bei dem stark wechselhafen Wetter, dass die geplante Übungsfahrt am Freitag die einzige bliebe; am Donnerstag wurde das Training wegen Nebels nach einem Sturz der Amerikanerin Stacey Cook abgesagt; sie wurde mit dem Hubschrauber abtransportiert.

"Das ist der wirkliche Test", hatte Vonn zuvor gesagt, "das ist es, was ich tun muss: rauffahren nach Creekside, die Schuhe und Ski anziehen und schauen, wie es geht. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Aber ich habe das Gefühl, dass ich so weit bin, um gegen die Schmerzen anzukämpfen."

Im Video: Die Olympischen Winterspiele in Vancouver werden für Ski-As Maria Riesch auch zu einem Duell mit ihrer Freundin Lindsey Vonn.

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© SZ vom 12.02.2010/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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