Olympia:Der Anti-Bolt

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"Gott ist groß", sagt der Südafrikaner Wayde Van Niekerk, nachdem er über 400 Metern allen Konkurrenten davongelaufen ist. (Foto: dpa)

Strebsam, gläubig, schnell: Der Südafrikaner Wayde van Niekerk, Olympiasieger und neuer Weltrekordhalter über 400 Meter, wirkt wie der Gegenentwurf zum Spaßsprinter Usain Bolt.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Entschuldigung, sagte der neue Olympiasieger und Weltrekordhalter, er könne da leider nichts machen. "Ich würde ihnen ja gerne eine beeindruckende Geschichte erzählen", sagte der 400-Meter-Läufer Wayde van Niekerk, nachdem er gerade im Bauch des Estádio Nilton Santos Platz genommen hatte, im sterilen Licht des Pressesaals, "aber heute Abend kann ich nur eines sagen: Gott ist groß."

Van Niekerk war auf Bahn acht losgerannt, die er sich mit einer nicht ganz so forschen Zeit im Halbfinale eingebrockt hatte. Auf Bahn acht starten eigentlich die Außenseiter. Er wusste nicht, wie schnell die Konkurrenz unterwegs war, ob sie ihn einholen würde. "Ich bin blind gelaufen", sagte er. Aber er musste sich ja kaum sorgen. "Ich habe alles in Gottes Hände gelegt", sagte er, und als er die Ziellinie passierte, nach 43,03 Sekunden als neuer Olympiasieger und Weltrekordinhaber, galt der Dank natürlich höheren Gewalten.

Er sei einfach nur dankbar, sagte van Niekerk, dass er gegen diese Jungs gewonnen habe, gegen Kirani James aus Grenada, in 43,76 Sekunden Zweiter, und gegen den Amerikaner LaShawn Merritt, den Dritten (43,85). Er fügte an: "Ich bin selbst erstaunt darüber, was gerade passiert ist."

"Wayde hat einen der härtesten Rekorde überhaupt gebrochen"

Die Leichtathletik-Wettbewerbe von Rio de Janeiro sind bislang eine recht metaphysisch veranlagte Veranstaltung. Die Äthiopierin Almaz Ayana hatte sie am Wochenende mit einem Weltrekord über 10 000 Meter eröffnet, sie verbesserte die 23 Jahre alte Marke der Chinesin Junxia Wang um gleich 14 Sekunden. Wang gehörte einst der mäßig beleumundeten Gruppe des umstrittenen Trainers Ma Junren an, die in den Neunzigerjahren auf den Langstrecken einen unwirklichen Rekord nach dem anderen auf die Bahn brachte. Ayana flogen prompt heftige Zweifel zu. Sie sagte: "Mein Doping ist hartes Training. Mein Doping ist Jesus. Sonst nichts."

Am Sonntag löschte dann der Südafrikaner Wayde van Niekerk eine Bestmarke aus seinem Sport, die viele Beobachter ebenfalls für reichlich wetterfest hielten: Michael Johnsons 43,18 Sekunden, die der Amerikaner bei der WM 1999 in Sevilla in die Landschaft geknallt hatte. "Wahnsinn", sagte der Kenianer David Rudisha, er hatte van Niekerks Lauf in den Katakomben verfolgt. "Wayde hat einen der härtesten Weltrekorde gebrochen!" Rudisha muss es qua Amt wissen, er lief vor vier Jahren den bis heute gültigen Weltrekord über 800 Meter.

Van Niekerk wusste mit seiner neuen Berühmtheit noch nicht allzu viel anzufangen. Er wirkte im flirrenden Sporttheater von Rio wie ein Gegenentwurf zum Spaßsprinter Usain Bolt, der gerade seine letzte olympische Sause feiert. Was vermutlich erklärte, warum van Niekerks Leistung ein wenig vom 100-Meter-Finale der Männer verschluckt wurde.

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Kommentar von Johannes Knuth

Ob ihn das nicht ärgere? "Nicht im Geringsten", sagte er, "Usain ist der König über 100 und 200 Meter. Ich bin für mich hier und dafür, mir meinen Platz im Sport zu verdienen." Er habe sich von Bolt natürlich inspirieren lassen, von der Art und Weise, wie der seine Grenzen verrückt habe. "Ich habe jetzt die Möglichkeit, mein eigenes Erbe zu schaffen", sagte er. Dann fügte er leise an: "Wenn ich das sagen darf."

Van Niekerk, 24, gilt als das Gesicht des modernen südafrikanischen Sports, bescheiden, zuvorkommend, strebsam. Mit seinem jamaikanischen Rekord-Kollegen im Kurzsprint eint ihn lediglich seine Schnelligkeit. Van Niekerks Mutter Odessa Swarts war eine begabte Sprinterin, die als Jugendliche zwar national Titel gewann, aufgrund ihrer Hautfarbe jedoch nicht für ihr Land starten durfte: In Südafrika herrschte noch Rassentrennung.

Nach der Geburt von Wayde, sie war gerade 18 Jahre alt, beendete sie ihre Karriere; zwei Jahre später schüttelte das Land die Apartheid ab und begann mit Nelson Mandela als Präsidenten eine neue Ära. "Das Wichtigste ist, dass Athleten unter dem jetzigen System allein durch Leistung auffallen können", hat Swarts über die Karriere ihres Sohnes einmal gesagt. Der assistierte: "Ich bin sehr dankbar für die derzeitige Situation im Land. Deswegen möchte ich diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen."

Derartiges muss sich van Niekerk längst nicht mehr vorwerfen lassen. Im Vorjahr wurde er in Peking Weltmeister, in 43,48 Sekunden. Er hat seine persönlichen Bestleistungen in den vergangenen Jahren auf recht erstaunliche Weise verbessert, vor vier Jahren brauchte er noch 46,43 Sekunden, zwei Jahre später war er schon rund zwei Sekunden schneller. Es gab in Rio nicht wenige Beobachter, die Bauchschmerzen bekamen, als sie sahen, wie der Südafrikaner die letzten 100 Meter einfach nicht langsamer wurde. Was er den Zweiflern entgegne, wurde er später gefragt: "Ich dope nicht", sagte er trocken, "deshalb weiß ich gar nicht, was ich sagen soll."

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Die Vergangenheit hat die Leichtathletik gelehrt, vorsichtig zu sein im Umgang mit Rekorden und Überhöhungen, zumal die Kontrollen des Anti-Doping-Kampfs längst keine Gewissheiten garantieren. Aber nach allem, was bekannt ist, ist van Niekerk mit einer großen Ausdauerbegabung ausgestattet. Er wird seit fünf Jahren von der 74 Jahre alten Anna Botha betreut, die ihn in seiner ehemaligen Uni-Auswahl entdeckte und förderte. Die 43,03 Sekunden vom Wochenende seien noch nicht das Ende, sagte er, "ich setze mir keine Grenzen". Dann entschuldigte sich van Niekerk, er habe noch eine Verabredung. Er werde nicht groß feiern, nein, er wolle jetzt nur gerne seine Familie treffen, die nach Rio mitgereist war. Er hatte sie eine Weile lang nicht mehr gesehen.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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