Olympia:Ihre Chatgruppe heißt "Mission Gold"

Pyeongchang 2018 - Eishockey

Das deutsche Team feiert den Einzug ins Finale.

(Foto: dpa)

Von Johannes Aumüller, Pyeongchang

Hoch flog der erste Schläger in die Luft, und viele andere Gegenstände folgten ihm. Überall auf dem Eis lag die Ausrüstung der deutschen Mannschaft zerstreut, Handschuhe, Helme, Schläger, weg damit, wer braucht so etwas schon, wenn er hemmungslos jubeln kann? In einer Ecke des Eises versammelten sich die Spieler der deutschen Eishockey-Mannschaft. Sie hüpften und tanzten und schrien, und wenn es nicht zu den Gepflogenheiten des Sports zählen würde, irgendwann zum Händeschütteln mit dem Gegner in der Mitte des Feldes zu erscheinen, dann hätten sie wahrscheinlich noch eine ganze Weile so weitergemacht.

Es war nun wirklich ein sporthistorischer Moment, den das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) dort zelebrierte. Mit 4:3 (1:0, 3:1, 0:2) hatte es in einem phänomenalen Spiel den Rekord-Olympiasieger Kanada bezwungen und sich damit für das Finale des Turniers gegen die Olympischen Athleten aus Russland (5.10 Uhr MEZ) qualifiziert. Zum ersten Mal überhaupt kann eine deutsche Mannschaft Olympiasieger werden, es ist der größte Erfolg in der Geschichte des deutschen Eishockeys. "Verrückt, ne, verrückt, verrückte Welt", sagte Bundestrainer Marco Sturm: "Das ist einmalig."

Ein ohnehin schon irres Turnier kulminiert in diesem 4:3 im Halbfinale

Ja, einmalig war es in der Tat, was seine Mannschaft da geleistete hatte. Und es war interessant mitzuerleben, wie nach dem Spiel ein Akteur nach dem anderen in die Kabine trottete und sich unterwegs kurz den Journalisten stellte. Da war etwa der Torwart Danny aus den Birken, der völlig ausgelaugt war. Oder Defensivspieler Moritz Müller, der seine Tränen kaum halten konnte. Oder die NHL-gestählten Routiniers Christian Erhoff und Marcel Goc, die schon so viel erlebt haben, aber so etwas wie an diesem Abend dann doch noch nicht. Keiner hatte schon so recht begriffen, was da geschehen war, und keiner wollte zu großen sportfachlichen Analysen ansetzen, als es um die Gründe für den Erfolg ging. Ein jeder sagte nur: Team. Mannschaft. Teamgeist. Mannschaftsgeist.

Diese Wörter fallen oft im Sport, aber soweit sich das von außen beurteilen lässt, trifft das bei den Eishockey-Spielern tatsächlich zu. Sturm hat in den drei Jahren eine bemerkenswerte Mannschaft geformt, die ohnehin ein irres Turnier spielt. Das knappe 0:1 gegen Schweden in der Vorrunde, der Penalty-Sieg über Norwegen, der Erfolg nach Verlängerung gegen die Schweiz, das denkwürdige 4:3 gegen Schweden im Viertelfinale.

Aber all das kulminierte jetzt in diesem 4:3 gegen Kanada im Halbfinale. In einem "Jahrhundertspiel", wie Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, nicht ganz zu Unrecht schwärmte.

"Vielleicht war es unser Mut, unser Größenwahn"

Nach 15 Minuten gingen die Deutschen in Führung, als sie nach zwei Strafzeiten für die Kanadier eine Fünf-gegen-Drei-Überzahl auf dem Spielfeld hatten und Brooks Macek den Puck im Netz unterbrachte. Kurz vor dem Ende des ersten Drittels hatte Frank Mauer die große Chance zum 2:0, vergab jedoch knapp. Dafür setzte kurz danach ein famoser zweiter Abschnitt ein, ein Spiel mit offenem Visier - und vier Treffern in nicht einmal zehn Minuten.

Erst erhöhte Matthias Plachta auf 2:0 (24.), dann Frank Mauer mit einem Traumtor auf 3:0 (27.). Kurz kamen die Kanadier durch Gilbert Brule (29.) noch einmal heran, aber kaum hegten sie ein paar Hoffnungen, war Patrick Hager (33.) zur Stelle und markierte das 4:1. Drei von sechs deutschen Schüssen waren bis dahin in diesem Drittel reingegangen, eine starke Quote, und damit war der Mittelabschnitt noch nicht vorbei. Die Kanadier trafen noch zweimal den Pfosten, außerdem leistete sich Torschütze Brule einen brutalen Check gegen David Wolf, so dass er eine Spieldauer-Strafe erhielt. Und in der folgenden Überzahl war es wiederum an den Deutschen, den Pfosten zu treffen.

Gleich zu Beginn des Schlussdrittels verkürzte Mat Robinson auf 2:4, und manch einen im deutschen Team mochte der Gedanke beschleichen, dass es nun wieder wie gegen die Schweden laufen könnte, als die Mannschaft im Schlussdrittel einen Vorsprung aus der Hand gab. Kurz danach verschoss Dominik Kahun auch noch einen Penalty, in der 50. Minute fiel durch Derek Roy das 3:4, und dann drückten und drückten die Kanadier mit allem, was sie hatten, zweieinhalb Minuten vor dem Ende nahmen sie ihren Torhüter raus. 15 zu eins Torschüsse, lautete die Bilanz im letzten Drittel. Aber das nutzte ihnen nichts. Irgendwann ertönte der Pfiff - und Deutschland stand im Finale.

Dass sich das DEB-Team für dieses Turnier viel vorgenommen hatte, das war schon nach den vergangenen Spielen klar geworden. Aber wie viel es tatsächlich war, das offenbarte sich erst nach diesem Erfolg über Kanada. Die interne Chatgruppe, so verrieten die Spieler am Freitag, heiße schon seit ein paar Wochen "Mission Gold". "Vielleicht hat es geklappt, weil wir so verrückt waren das auszusprechen, vielleicht war es unser Mut, unser Größenwahn", sagte Moritz Müller. Jetzt soll sich am Sonntag diese Mission Gold gegen die Russen vollenden. Die sind die bisher beste Mannschaft des Turniers und der Favorit. "Aber Favorit", so lachte Torwart aus den Birken zuversichtlich, "waren die anderen unserer Gegner auch."

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