Nationalelf: Ballack im Interview:"Ich bin der jüngste Älteste"

Kapitän Michael Ballack über den Generationenkonflikt in der Nationalelf, die Intensität beim FC Chelsea und die Anfälligkeit einer jungen Mannschaft.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

SZ: Herr Ballack, fühlen Sie sich alt wie nie zuvor?

Nationalelf: Ballack im Interview: Michael Ballack ist derzeit der mit Abstand älteste Spieler in der Nationalelf.

Michael Ballack ist derzeit der mit Abstand älteste Spieler in der Nationalelf.

(Foto: Foto: ddp)

Michael Ballack: Was soll ich darauf antworten? Ich habe doch gerade bei der Begrüßung gesagt, dass es mir gut geht. Warum also diese Frage?

SZ: Weil Sie am Samstag, beim WM-Qualifikations-Spiel gegen Liechtenstein, mit Abstand der älteste deutsche Feldspieler in der Startformation waren. Sie sind 32, Thomas Hitzlsperger als Nächstältester ist 26. Im Fußball ist das ein Generationsloch.

Ballack: Das kann man so sagen.

SZ: Wie macht sich dieser Altersunterschied auf dem Platz bemerkbar?

Ballack: Das ist ja eigentlich nicht der Normalzustand. Eigentlich ist die Mannschaft anders strukturiert, und es gibt schon ein paar Spieler, die diese Lücke füllen, Torsten Frings zum Beispiel, Arne Friedrich oder Miroslav Klose.

SZ: Viele sind das aber nicht.

Ballack: Ein oder zwei ältere Spieler machen aber schon viel aus. Ich finde, dass wir insgesamt eine gute Struktur haben. Außerdem: Mit 32 Jahren bin ich ja noch einer der jüngsten Ältesten.

SZ: Macht es sich im Mannschaftsalltag bemerkbar, dass Sie der Älteste sind? Fühlen Sie sich den Jüngeren etwas weniger nah?

Ballack: Es ist doch ganz normal, dass irgendwann jüngere Spieler nachwachsen. In anderen Berufszweigen gibt es doch viel größere Lücken zwischen jung und alt. Und ich bin doch auch noch jung.

SZ: Beim Schach zum Beispiel. Da suchen Sie sich immer den eindeutig älteren Pressechef Harald Stenger als Gegner aus.

Ballack: Diesmal aber nicht. Diesmal hat er gekniffen.

SZ: Wer gewinnt denn normalerweise, wer ist schlauer?

Ballack: Ich natürlich. Ich bin zwar kein überragender Schachspieler, aber für den Harald reicht es.

SZ: Haben Sie in Ihrer Zeit beim FC Bayern auch mal mit Felix Magath Schach gespielt?

Ballack: Um Gottes Willen, nein, der ist viel zu gut für mich. Auf dem Niveau bin ich nicht.

SZ: Zuletzt war immer wieder von einem Gegensatz zwischen Ihnen und den jüngeren Spielern in der Nationalmannschaft die Rede, die sich von Ihnen angeblich zu rau behandelt fühlten. Liegt der Kern des Konflikts vielleicht darin, dass Sie in einer ganz anderen Zeit groß geworden sind?

Ballack: Die Frage ist doch: Wie nimmt die Öffentlichkeit einen jungen Spieler wahr? Wenn ich damals in der zweiten Liga in Chemnitz ein gutes Spiel gemacht habe, dann gab es nicht gleich diesen Hype wie heute. Aber das ist eben der Lauf der Zeit, die Spieler entwickeln sich heute schneller und anders. Und wenn die plötzliche Prominenz nicht stetig gewachsen ist, sondern von heute auf morgen kommt, dann ist es für die jungen Spieler oft schwierig, das einzuordnen. Die haben dann ganz andere Vorstellungen und Ansprüche als wir damals.

SZ: Als Sie damals aus Chemnitz nach Kaiserslautern gewechselt sind, gab es dort noch Andreas Brehme und Ciriaco Sforza. Waren das für Sie noch unantastbare Autoritäten?

Ballack: Natürlich. Allein die Namen haben einen schon nach oben schauen lassen, und nach den ersten Trainingseinheiten hat sich das dann auch fußballerisch bestätigt.

SZ: Haben diese Helden den 18-jährigen Michael Ballack überhaupt angeschaut?

Ballack: Ich habe am Anfang meiner Karriere mit Spielern zusammengespielt, bei denen ich nicht sicher bin, ob die nach einem halben Jahr meinen Vornamen kannten. Aber ich habe das nie als Problem angesehen. Ich dachte mir: Den Respekt musst du dir erarbeiten. Mir war klar, dass ich nicht sofort gleichberechtigt bin und jeder mit mir spricht.

"In Chelsea bringt jeder sein Ego mit zum Training"

SZ: Sie fühlten sich als Lehrling?

Ballack: Ja schon, vielleicht nicht gerade wie der kleine Max, aber es ist im Fußball doch wie im normalen Leben: Als ich mit vier Jahren angefangen habe, Fußball zu spielen, bin ich raus auf den Hof gegangen und musste ein, zwei Stunden warten, bis ich bei den Sechs- oder Siebenjährigen mitmachen durfte. Wenn da drei gegen drei gespielte wurde, dann musste ich am Rand sitzen und warten, bis einer nach Hause ging.

SZ: Und heute müssen die jungen Spieler im Profifußball nicht mehr warten, bis sie mitmachen dürfen?

Ballack: Auf jeden Fall ist es leichter für die jungen Spieler. Sie schaffen es viel schneller in den Mittelpunkt und in die Öffentlichkeit.

SZ: Sind diese unterschiedlichen Erfahrungen die Grundlage für den Generationenkonflikt im Nationalteam?

Ballack: Es wird natürlich auch viel kreiert von den Medien. Gerade bei mir, wo immer gefragt wird: Muss der Kapitän jetzt mehr auf die anderen zugehen? So kommt dieses Thema doch erst auf den Markt, und dann bleibt es auch eins - obwohl es alle mehrfach verneint haben. Dabei ist es doch auch gar nicht wichtig, ob ich mit dem einen jetzt dreimal oder zweimal gesprochen habe. Für mich war das als junger Spieler jedenfalls nie wichtig, das hat mich nie beeinflusst in meiner Leistung.

SZ: Muss der Kapitän von allen geliebt werden?

Ballack: Dieses Amt übt doch jeder anders aus. Mein Vorgänger zum Beispiel ...

SZ: ... Oliver Kahn ...

Ballack: ... war doch bekannt dafür, dass er auf seine seine Art erfolgreich war, aber trotzdem für sich, als Person, nun, wie soll ich sagen? Dass er eigen war. Und das hat auch funktioniert. Ich bin aber ein ganz anderer Typ, auch im Umgang.

SZ: Wie erklären Sie sich dann, dass gerade Ihr Auftreten vor den Mitspielern so problematisiert wird?

Ballack: Ganz einfach: Weil sich mal irgendein Spieler geäußert hat, ich müsste ein bisschen positiver sein. Und dann wurde das ein Thema.

SZ: Wie macht es John Terry, ihr Kapitän beim FC Chelsea?

Ballack: Er ist noch ein relativ junger Kapitän, aber er macht das seit ein paar Jahren schon. Sehr verantwortungsvoll und kollegial. Ich muss auch sagen: In England hat dieses Kapitänsamt eine viel größere Bedeutung als in Deutschland. In England wird die Rolle viel stärker glorifiziert, und wenn der Kapitän etwas sagt, dann wird das auch gemacht. Er hat viel Einfluss.

SZ: Sie haben gesagt, das Training beim FC Chelsea sei "ein täglicher Kampf". Wie äußert sich das? Wird geboxt, getreten, gespuckt?

Ballack: Die Intensität ist einfach anders, wenn viele Stars da sind und sich die Mannschaft nicht von selbst aufstellt. Da bringt jeder sein Ego und seinen Stellenwert mit zum Training, wir haben beim FC Chelsea ja allein fünf Nationalmannschaftskapitäne.

SZ: Ballack, Terry, Drogba ...

Ballack: ... Essien und Cech. Da musst du dich einerseits ein bisschen einordnen und darfst trotzdem keinen Schritt zur Seite weichen. Du musst trotzdem deinen Status wahren. Das ist nun mal so, wenn viele Leader im Team sind. Aber diese Anspannung und dieser Erfolgsdruck, die bringen dich weiter.

SZ: Chelsea hat viele arrivierte, erfahrene Spieler und produziert stabile Resultate. Ist die deutsche Nationalelf im Umkehrschluss deshalb so wechselhaft, weil die Mischung weniger ausgewogen ist?

Ballack: Natürlich hängt das mit der Altersstruktur zusammen. Junge Spieler haben eben noch Leistungsschwankungen, und da ist es klar, dass der Nationalelf in manchen Phasen die Dominanz, die Souveränität, die Ausstrahlung fehlen. Man hat das gegen Liechtenstein gesehen: Wir führen 4:0 - und werden zu hektisch, weil wir zu viel wollen. Wir spielen es nicht sauber und souverän zu Ende.

SZ: Wie würde es ausgehen, wenn der FC Chelsea gegen die deutsche Nationalmannschaft spielt?

Ballack: Sagen wir mal ganz vorsichtig: Chelsea wäre wahrscheinlich leichter Favorit.

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