Am Morgen danach stand tatsächlich ein Regenbogen über Rio. Er sah aus, als hätte ihn der Cristo Redentor persönlich in den Himmel gepinselt. Schönster Kitsch, der noch einmal alle Widersprüche der vergangenen zweieinhalb Wochen symbolisierte. Angefangen von einer strahlenden Eröffnungszeremonie, beendet von einer verregneten Schlussfeier, die vor allem ein Gefühl versprühte: Gut, dass es vorbei ist.
Gemessen an den allgemeinen Erwartungen haben diese Spiele funktioniert. Sie waren wahrlich nicht perfekt, aber die Medaillen wurden alle verteilt, und zwar ohne Mückenplage, Terroranschlag oder Verkehrskollaps. Es handelte sich nicht um das beste, wohl aber um das bestmögliche Fest in einem Land, das gerade eine Wirtschaftskrise, eine Staatskrise und eine Sinnkrise auf einmal durchlebt. Große Teile der Weltöffentlichkeit haben dabei mit Erstaunen festgestellt, dass es in Brasilien nicht nur schönes Wetter und nicht nur freundliche Menschen gibt. Zwei Klischees weniger. Willkommen in der Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit kommt jetzt mit großer Wucht auch auf die Cariocas zu. Spätestens nach dem großen Abreisemontag, dem insgesamt fünften offiziell verordneten olympischen Sonderfeiertag. Nicht nur der Olympiatross zieht wieder ab, sondern auch ein Großteil der 83 000 Polizisten und Soldaten, die diese Stadt zuletzt sicherer aussehen ließen, als sie ist. Rio kann sich freuen, dass es dieses Weltereignis halbwegs glimpflich über die Bühne gebracht hat. Jetzt geht es darum, seine Erblast zu überstehen. Das wird deutlich komplizierter.
Olympia:Warum die Brasilianer buhen und pfeifen
Sie kommen bei Olympia nicht ins Stadion, und wenn doch, dann verhalten sie sich unfair. Dieses Bild der Brasilianer geht um die Welt. Die Wahrheit ist komplizierter.
Die Guanabara-Bucht? Stinkt wie eh und je
Vielerorts in der freien Welt, nicht zuletzt in Deutschland, wird kontrovers darüber diskutiert, ob es sich lohnt, solche Sportevents auszurichten. Das jüngste Beispiel liefert vor allem den Skeptikern Argumente. Abgesehen von der zweifellos geglückten Belebung des alten Hafenviertels wurde in Rio keines der großen Nachhaltigkeitsversprechen eingehalten.
Die Guanabara-Bucht stinkt wie eh und je. Für den Bau von Sportstätten, die jetzt keiner mehr braucht, waren mindestens 77 000 Menschen umgesiedelt worden. Zu den großen Olympiasiegern gehören die Immobilienspekulanten von Barra da Tijuca, jene aseptische Trabantenvorstadt, die zum Zentrum der Spiele ausgebaut wurde. Gewonnen hat auch das Kartell der brasilianischen Baukonzerne (genannt: "Die fünf Schwestern"), obwohl sie allesamt in den beispiellosen Korruptionsskandal rund um den Erdölriesen Petrobras verstrickt sind.
Und entgegen aller Beteuerungen sind es letztlich die brasilianischen Steuerzahler, die dieses Sportfest bezahlen müssen. Man kennt das schon aus der Olympiageschichte. Seit Athen 2004 haben aber wohl keine Spiele ihren Ausrichter mit einer derartigen Hypothek zurückgelassen.
Brasilien hat gerade eine Feier gestemmt, die sich dieses Land eigentlich gar nicht mehr leisten konnte. Dass die Austragung der Paralympics bis vor wenigen Tagen akut gefährdet war, ist letztlich nur das Symptom eines viel grundlegenderen Problems. Staat, Land und Stadt haben für diese Spiele Milliarden investiert, die in den kommenden Monaten an allen Ecken und Enden fehlen werden. Das Gesundheits- und das Bildungssystem konkurrieren im Bundesstaat Rio schon jetzt um das größte Katastrophenszenario. Die Polizisten, Krankenschwestern, Lehrer und Rentner ahnen: Wenn sie vor der großen Sause schon unregelmäßig bezahlt wurden, dann müssen sie künftig froh sein, wenn das Geld zumindest unregelmäßig kommt.
Würde sich Rio noch einmal bewerben, wenn man die Cariocas fragen würde? Gewiss nicht.