Michael Schumacher:Mit einer Notlüge ins Cockpit

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In Spa debütierte Schumacher vor 25 Jahren in der Formel 1, dort gewann er sein erstes Rennen: Nicht nur deshalb war es die Lieblingsstrecke des Rekordweltmeisters.

Von Elmar Brümmer, Spa

Das, was man heute als deutsches Formel-1-Wunder bezeichnet, hatte am 25. August vor 25 Jahren seinen Ursprung - in einer Notlüge. Willi Weber, der Manager eines Rennfahrers namens Michael Schumacher, hatte behauptet, dass sein Klient die Rennstrecke von Spa-Francorchamps praktisch auswendig kenne - dabei wusste der damals 22-Jährige nicht mal genau, wie er von seinem Heimatort Kerpen zum Großen Preis von Belgien kommen sollte. Aber wenigstens Streckenkenntnis hatte Teamchef Eddie Jordan von dem Ersatzpiloten verlangt, neben 150 000 Pfund Startgeld (damals 450 000 D-Mark). Jordans Stammfahrer Bertrand Gachot saß nach einem Reizgasangriff auf einen britischen Taxifahrer in London im Knast, Schumacher lauerte als Mitglied des Mercedes-Juniorteams auf eine Grand-Prix-Chance. Die Notlüge war ein Glück. Für ihn, für den deutschen Motorsport, für die Königsklasse des Motorsports überhaupt.

"Für die Rennsportwelt hat damals eine neue Zeitrechnung begonnen", erinnert sich der frühere Mercedes-Sportchef Norbert Haug, "auf Anhieb ein siebter Startplatz, das war ein sensationelles Ergebnis. Vor Michael Schumacher war Deutschland nicht unbedingt eine Formel-1-Nation. Aber dann folgten seinen sieben Weltmeistertiteln noch vier von Sebastian Vettel und vier Konstrukteurstitel für Mercedes. Er wurde zum Leitstern gleich mehrerer Motorsportgenerationen, und all das hat seinen Ursprung in dieser Premiere." Es gibt eine Menge Deutungen, Eitelkeiten und Streit darüber, wer letztlich den Deal mit Jordan perfekt gemacht hat. Gebürgt hat schließlich Mercedes, das war für Jordan das Wichtigste: Dem drohten die Renntransporter gepfändet zu werden. Flugs schob er aber Schumacher noch einen Vertrag unter, der ihm reichlich Tantiemen an dessen weiterer Karriere sichern sollte.

Es drohte eine Menge schiefzugehen bei dieser improvisierten Premiere. Der Debütant selbst hatte kein Lampenfieber, sondern wirklich erhöhte Temperatur, als er in einer Jugendherberge in den Ardennen ankam. Aber er ahnte, dass sich ihm eine einmalige Chance bietet: "Als ich ankam, fühlte ich mich seltsam eingeschränkt: Wie wenn du diesen Tunnelblick hast, wo du nichts mehr siehst und dich nur noch auf die nächstliegenden Dinge konzentrierst."

Mit dem Mountainbike radelt er die Strecke ab, von der man sagt, dass sie die Buben von den Männern trennt, die Ideallinie denkt er sich. Im Medienzentrum fragen die britischen Reporter, ob er nicht vielleicht mit dem deutschen Fußball-Nationaltorhüter Toni Schumacher verwandt sei, der wäre doch aus der gleichen Gegend. Schumacher ist schüchtern, jedenfalls außerhalb des Cockpits. Er schafft es auf Anhieb in die Top Ten, was in der Formel 1, zumal mit einem Mittelklasseauto, so selten ist wie Verschiebungen in der Hackordnung des Eiskunstlaufens. Und er findet, dass Tempo und Bremsen eines Grand-Prix-Autos, von denen man ihm vorgeschwärmt hatte, so toll nun auch wieder nicht seien. Die Qualifikation beendet er als Achter, daraus wird schließlich noch der Startplatz sieben. Auch wenn sich am Sonntag dann spontan ein paar Tausend Fans auf den Weg über die Grenze machen - die Autobahn-Nation Deutschland begreift noch nicht richtig, was für eine Karriere da gerade ins Laufen gerät.

Nach 700 Metern verraucht die Kupplung - aber die Experten haben da schon genug gesehen

Ein Deutscher zwischen all den Champions des Motorsports. Alain Prost droht er mit der Faust, nachdem ihm dieser eine schnelle Runde kaputt gemacht hat, Ayrton Senna erkundigt sich hinter den Kulissen nach diesem "Shoemaker". Und beim Start zum Rennen überholt Michael Schumacher zwei Konkurrenten. Als es richtig losgehen kann, ist der Spaß aber auch schon wieder vorbei: Die Kupplung des chronisch unterfinanzierten Jordan-Ford verraucht nach 700 Metern. Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone, der dringend einen Deutschen zur Belebung seines Geschäfts braucht, und Benetton-Teamchef Flavio Briatore, der einen Siegfahrer sucht, haben aber genug gesehen. Sie bereiten hinter den Kulissen die Beförderung des 22-Jährigen vor, der schon beim nächsten WM-Lauf in einem Benetton sitzt und als Fünfter die ersten WM-Punkte einfährt.

Die Berg- und Talbahn von Spa-Francorchamps mit ihrem eigenwilligen Charakter ist die Lieblingsstrecke von Michael Schumacher geblieben. "Das, was bei ihm am meisten eine Rolle spielte, der Spaß am Rennfahrern, hat sich dort gebündelt", sagt seine Managerin Sabine Kehm. Spa, immer wieder Spa. Ein Jahr nach dem Debüt gewinnt er dort sein erstes Formel-1- Rennen, 2004 sichert er dort vorzeitig seinen siebten Weltmeistertitel, 2012 erlebt er dort - inzwischen wieder als Mercedes-Pilot - seinen 300. Start. Aus dem Jugendzimmer war sein Wohnzimmer geworden. Für Jean Todt, den Präsidenten des Automobilweltverbandes FIA, wenig überraschend: "Spa ist eine Rennstrecke, auf der das Talent eines Fahrers wirklich einen Unterschied macht. Daher ist es logisch, dass Michael dort hervorragend war."

Todt hat seinem Freund, der sich Ende 2013 bei einem Skiunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen hatte, stets eine bestimmte Angst vor dem Versagen als zusätzlichen Antrieb attestiert. Dabei gilt Bangemachen beim Rennfahrer Schumacher von Anfang an nicht. Vor einem Vierteljahrhundert zeigt sich zum ersten Mal auf großer Bühne die Fähigkeit, sich blitzschnell neuen Gegebenheiten anpassen zu können. Auf seinen starken Einstand angesprochen, referiert er damals: "Ich war selbst überrascht, wie entspannt ich vor dem Start gewesen bin. Vielleicht, weil alles gepasst hat. Richtiger Ort, richtige Zeit, richtiges Auto, richtige Leute. Ich muss mich auch nicht lange an ein Auto gewöhnen, sondern kann mich gleich reinsetzen und am Limit fahren. Man darf sich in der Formel 1 nicht zu lange mit so etwas beschäftigen, die Zeit ist einfach nicht da."

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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