Marathon-Start von Mo Farah:Unwirklich schnell

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Ein Marathon-Läufer? Mo Farah in London. (Foto: dpa)

Lässt sich mit der Ausdauer eines Bahnläufers auch die Tücke eines Marathons meistern? 5000-Meter-Olympiasieger Mo Farah versucht es am Sonntag in London. Die Lauf-Fans sind begeistert, die Experten skeptisch.

Von Thomas Hahn, London

Die Frage war gar nicht so lang, aber sie drehte sich ums Laufen, und deshalb muss Renato Canova jetzt erst mal ohne Punkt und Komma reden. Der Italiener Canova ist einer der erfahrensten Langstrecken-Trainer der Welt, weißhaarig, quirlig, und seine Ansichten trägt er in einem solchen Tempo vor, dass man leicht den Eindruck bekommt, er rede mit jemandem um die Wette. Zu Canovas Schülern gehört Wilson Kipsang aus Kenia, der im Herbst in Berlin den Weltrekord auf 2:03:23 Stunden verbessert hat und am Sonntag beim London-Marathon als Favorit gilt.

Aber Canova kann auch zu Athleten anderer Trainer was sagen, zum britischen 5000- und 10 000-Meter-Olympiasieger Mo Farah etwa, der in London zum ersten Mal über die 42,195 Kilometer antritt. Farah glaubt, dass er gewinnen kann. Canova glaubt nicht, dass Farah gewinnen kann. "Für 2:05 im Marathon musst du den Energiehaushalt anpassen", sagt Canova, "das erreichst du nur, wenn du im Training lang und schnell läufst, und das hat Mo Farah meines Erachtens nicht gemacht."

Dieser Marathon-Frühling markiert für ein paar prominente Bahn-Langstreckler den Aufbruch in einen neuen Karriere-Abschnitt. Vor einer Woche schon hat Kenenisa Bekele, 31, der Weltrekordler über 5000 und 10 000 Meter aus Äthiopien, in Paris sein Marathon-Debüt gegeben und ein Zeichen gesetzt: Sieg mit Streckenrekord von 2:05:03 Stunden. Am Sonntag in London folgen Bekeles Landsfrau Tirunesh Dibaba, 28, dreimalige Olympiasiegerin und fünfmalige Weltmeisterin. Und eben Mo Farah, 31, dessen Einsatz für die Marathon-Freunde auf der Insel natürlich der Hingucker des Wochenendes ist.

Die Langstreckenläufer haben den zehrendsten Job in der Leichtathletik-Familie, aber dafür auch ein paar ziemlich gute Verdienstmöglichkeiten. Bei den kommerziellen Straßenrennen mit ihren Massenfeldern gibt es einiges zu holen - mit etwas Ausnahmetalent sogar noch als Senior-Athlet, wie das Beispiel des zweimaligen 10 000-Meter-Olympiasiegers Haile Gebrselassie, 40, zeigt. Der Äthiopier ist aus dem Alter raus, in dem er den Weltrekord angreifen kann.

Aber als Tempomacher ist er noch gut zu gebrauchen. In London soll er die Führungsgruppe in Weltrekord-Geschwindigkeit zur Halbmarathon-Marke führen; erst am 4. Mai in Hamburg bekommt er die Chance, selbst einen Tagessieg einzuholen. Nach einer erfüllten Bahn-Karriere auf die Straße zu gehen, ist für begabte Profiläufer so etwas wie der Wechsel in einen besser bezahlten Job. Die Frage ist nur: Lässt sich die Ausdauer aus den relativ kurzen Bahn-Rennen so leicht umlegen auf die Tücken des Marathons?

Jedenfalls treffen die Bekeles und Farahs bei den großen Straßenrennen längst auf Konkurrenten, die sich kaum mehr auf die vergleichsweise ärmliche Bahn-Leichtathletik eingelassen haben. London-Mitfavorit Tsegaye Mekonnen aus Äthiopien zum Beispiel ist erst 18 und hat im Januar in 2:04:32 Stunden den Dubai-Marathon gewonnen. "Als ich sein Alter gehört habe, war ich sehr schockiert", sagt Gebrselassie, "wir brechen seine Knochen, indem wir ihn zum falschen Wettkampf schicken."

Aber warum sollte ein Mekonnen seine Jugend an die vermeintlich schonenderen Bahnwettkämpfe verschwenden, wenn er sich gleich zum Marathon-Gutverdiener ausbilden lassen kann? Richtig trainieren muss man eben, und richtig trainieren heißt für einen Guru wie Canova: lange schnelle Läufe und viel Zeit zum Regenerieren. Canova verweist auf einige der schnellsten Kenianer der Gegenwart: "Wilson Kipsang, Abel Kirui, Moses Motop, Geoffrey Mutai. Die laufen im Training alle 40 Kilometer in 2:04, 2:05 Stunden, in der Höhe."

Das ist unwirklich schnell. "Aber danach musst du dich erholen, vielleicht eine Woche lang, bevor du mit dem Training wieder von vorne beginnst", sagt Canova, "das ist das neue System. Es geht um die Intensität des Umfangs oder den Umfang der Intensität, wie Sie wollen."

Über das richtige Training lässt sich ausführlich streiten. Und es finden sich bestimmt noch genügend Lauf-Experten, die an Canovas Ansatz nicht glauben, weil sie auf die alte Theorie setzen mit vielen relativ langsamen langen Läufen. Aber Canova rüttelt an seiner Erkenntnis nicht und leitet daraus seine Prognosen ab. Bekele hat ihn beeindruckt. "Meiner Meinung nach wird Kenenisa der nächste Marathon-Weltrekordler." Und Mo Farah? Renato Canova tippt, dass er am Sonntag irgendwas um 2:06 schafft, was unter Steve Jones' britischem Rekord von 1985 (2:07:13) liegen würde, aber zum Sieg wohl nicht reicht. "Ich glaube nicht, dass er einer der Protagonisten dieses London-Marathons wird."

Canova hat selbst erlebt, wie sein US-Kollege Alberto Salazar Farah in Iten/Kenia hat trainieren lassen. "Mos lange Läufe waren nicht sehr, sehr schnell", sagt Canova, "und einmal habe ich gesehen, wie er nach einem langen Lauf auf die Bahn gegangen ist und 300-Meter-Läufe in unter 40 Sekunden gemacht hat." Das ist Bahnläufer-Schule. "Es ist klar im Kopf von Alberto und Mo, dass Mo nicht seine Art von Schnelligkeit verlieren will. Aber diese Art ist nicht wichtig für den Marathon, sondern für 5000 und 10000 Meter." Renato Canova kann diese Vorgehensweise gut verstehen. Auf der Bahn kann Mo Farah leichter Medaillen gewinnen. Auf die Unwägbarkeiten des Marathonlaufs lässt er sich vorerst vor allem zum Geldverdienen ein.

© SZ vom 12.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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