Marathon:Gezielter Angriff auf die letzte Grenze

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Die Zwei-Stunden-Marke im Marathon hält noch. Der Versuch, sie in Monza zu unterbieten, war aber eher Marketing als Leistungssport.

Von Joachim Mölter, Monza/München

Eine Frage hat die Läufer weltweit in Atem gehalten in den vergangenen sechs Monaten: Ist es möglich, einen Marathon in weniger als zwei Stunden zu bewältigen? Seit Samstagmorgen weiß man: nein. Zumindest nicht zu Fuß. Am Samstagmorgen brachte der Olympiasieger Eliud Kipchoge aus Kenia auf der Formel-1-Rennstrecke von Monza (Italien) die 42,195 Kilometer in 2:00:25 Stunden hinter sich. Das ist zwar die mit Abstand beste Zeit, die je gestoppt worden ist, aber als Weltrekord führt der Leichtathletik-Weltverband IAAF weiterhin die 2:02:57 Stunden, die der Kenianer Dennis Kimetto 2014 in Berlin gerannt ist. Das führt zu weiteren Fragen, die der Lauf Kipchoges in Monza nach sich zieht: War das Sport? Oder kann das weg in die Schubladen mit den Aufschriften "Menschenversuche" und "Werbekampagnen"?

Auch darauf gibt es eindeutige Antworten: nein und ja.

Bloß weil sich jemand schnell bewegt, ist das noch kein Sport. Im See zu kraulen, übers Land zu radeln oder durch den Park zu joggen, sind erst mal nur Freizeitbeschäftigungen; von Sport spricht man im allgemeinen erst dann, wenn ein Wettkampfcharakter dazukommt, also Gegner, Regeln, Zuschauer. Die waren in Monza eingeschränkt, quasi handverlesen: Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike hat sie ausgesucht.

Der Lauf war eine Art Laborversuch. Aber schließt das auch Dopingkontrollen ein?

Die US-Firma hat das Spektakel im vergangenen Dezember angekündigt und seitdem unter dem Begriff "Breaking2" vermarktet. Die Zwei-Stunden-Marke im Marathon gilt als die letzte markante Grenze in der Leichtathletik. Um sie zu durchbrechen, hatte Nike drei Läufer ausgewählt. Neben Eliud Kipchoge den Halbmarathon-Weltrekordler Zersenay Tadese aus Eritrea sowie den früheren WM-Zweiten Lelisa Desisa aus Äthiopien; alle stehen bei Nike unter Vertrag. Darüber hinaus wurden alle möglichen Wissenschaftler beschäftigt, um das Rennen zu optimieren. Als Kurs wurde eine Flachstrecke ohne scharfe Kurven bestimmt, die zum Abbremsen zwingen. Sechs Tempomacher wurden dem Trio als Speerspitze vorausgeschickt. In deren Windschatten sollten Kipchoge und Co. Kraft sparen. Zudem wurden die Vorläufer nach jeder der 2,4-Kilometer-Runden ausgewechselt, um das Tempo hochzuhalten. 42,195 Kilometer in weniger als zwei Stunden zu schaffen, bedeutet ja: jeden einzelnen Kilometer in 2:51 Minuten zu rennen, jede 100 Meter in 17 Sekunden. Es gab noch andere Maßnahmen, die dazu dienten, Zeit zu sparen, die aber nicht im Einklang standen mit den Wettkampfregeln der IAAF. Von Laborbedingungen war die Rede, was in der mit Doping-Problemen belasteten Leichtathletik doppeldeutig zu verstehen ist. Dass Nike seine Läufer von einer unabhängigen Institution auf unerlaubte medizinische Mittel kontrollieren ließ, ist jedenfalls nicht bekannt.

Das spielt aber auch keine Rolle für Nike. Dem Unternehmen ging es bei der angeblich 30 Millionen Euro teuren Aktion erkennbar um eine Signalwirkung, einen symbolischen Akt. Der 6. Mai wurde nicht zufällig für das Experiment ausgesucht: Am 6. Mai vor 63 Jahren hatte der Brite Roger Bannister als Erster die Vier-Minuten-Marke über die Meile (1 609 Meter) unterboten - ein historisches Ereignis in der Leichtathletik. Daran wollte Nike anknüpfen.

Die Firma betont, dass ihr neuer Laufschuh den Regeln entsprach. Doch die sind vage.

"Ich habe gezeigt, dass es möglich ist, den Marathon unter zwei Stunden zu laufen. Wir sind nur noch 25 Sekunden entfernt. Mit einer guten Vorbereitung und einer guten Planung sind die herauszuholen", sagte Kipchoge trotz des gescheiterten Durchbruch-Versuchs. Seine Mitläufer Tadese (2:06:51) und Desisa (2:14:10) waren schon früh hinter den Zeitplan zurückgefallen. "Als Mensch bist du keine Maschine", fügte Kipchoge an. Nike-Chef Mark Parker feierte das Misslingen anschließend als eine "globale Inspiration", und er dürfte damit sogar Recht haben. Der deutsche Rekordhalter Arne Gabius, der als Augenzeuge eingeladen war, sagte danach jedenfalls zur Deutschen Presse-Agentur: "Das ist pure Motivation für alle Marathonläufer und auch mich."

Dazu passt, dass die Sportartikelfirma für dieses Rennen einen neuen Laufschuh entwickelt hat, der allerdings wegen seiner federnden und deshalb leistungsfördernden Wirkung umstritten ist in der Szene. Nike betont, dass der Schuh den Regeln der IAAF entspreche, doch deren Vorgaben sind da vage. In jedem Fall bringt die US-Firma ihr neues Schuhmodell im Juni auf den Markt, in der Hoffnung, dass es bei all den ambitionierten Freizeitläufern zum Renner wird: Auch wenn Eliud Kipchoge die Zwei-Stunden-Barriere nicht bewältigt hat, so ist er ja doch deutlich schneller gewesen als bei seiner bisherigen, offiziellen Bestzeit, die bei 2:03:05 Stunden liegt.

Ansonsten darf man gespannt sein, wie es mit dem Angriff auf den Zwei-Stunden-Marathon weitergeht. Außer Nike forscht auch der britische Sportwissenschaftler Yannis Pitsiladis unter dem Slogan "sub2hrs" daran, ob und wie ein Mensch so schnell rennen kann. Angeblich betreibt der deutsche Sportartikelhersteller adidas ebenfalls ein entsprechendes Projekt. Die Franken werden ihre Führungsrolle in diesem Rennen nicht kampflos abgeben: Die letzten offiziell anerkannten Marathon-Weltrekorde sind alle in ihren Schuhen gelaufen worden.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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