Luis Suárez:Die beste Neun der Welt

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Luis Suarez trifft und bereitet auch erstaunlich viele Tore vor. (Foto: Getty Images)

Luis Suárez ist der reinste Vertreter der vom Aussterben bedrohten Spezies Strafraumstürmer. Er handelt noch nach dem Prinzip: Erst schießen, dann denken. Nun erhält er den "Goldenen Schuh".

Von Javier Cáceres, Barcelona

Wenn Luis Suárez, 29, von der Arbeit heimkommt, muss er sich schon mal rechtfertigen - vor seinem Sohn Benjamín, der gerade einmal drei Jahre alt ist, aber schon beginnt, das Fußballspiel zu verstehen, wie Suárez sagt. Am Mittwochabend war es wieder so weit: "Papá, wieso hast du kein Tor gemacht?", habe Benjamín gefragt, nachdem der Vater beim prächtigen Champions-League-Sieg seines Arbeitgebers FC Barcelona gegen Manchester City (4:0) ohne Treffer geblieben war. "Aber der Nachbar hat getroffen, also war er zufrieden", fügte Suárez hinzu.

Der Nachbar, das ist ein gewisser Lionel Messi, der in Castelldefels neben der Suárez-Familie wohnt und gegen City gleich drei Tore erzielt hatte. Suárez erzählte dies aus Anlass eines Preises, der beweist, dass er seinen Sohn nur selten enttäuscht: bei der Verleihung des "Goldenen Schuhs", der Trophäe für den besten Torjäger Europas der Saison 2015/16, die ihm nun in Barcelona überreicht wurde.

40 Tore hatte Suárez in der vergangenen Saison erzielt, in Europas Top-Ligen kamen ihm nur Zlatan Ibrahimovic (Paris Saint-Germain/38 Tore), Gonzalo Higuaín (SSC Neapel/36), Cristiano Ronaldo (Real Madrid/35) und Robert Lewandowski (FC Bayern/30) nahe. Das Video mit den 40 Treffern, das bei der Gala gezeigt wurde, veranschaulichte, dass Suárez der reinste Vertreter einer Spezies ist, die einerseits immer modern ist, weil Tore nie aus der Mode kommen - und die doch vom Aussterben bedroht ist, weil Mittelstürmer im modernen Fußball oft als "Wandspieler" eingesetzt werden, die den Ball für die Kollegen abprallen lassen sollen. Wenn sie überhaupt noch eingesetzt werden.

Jedes Tor erzielte Suárez im Strafraum, meist per Direktabnahme. Er ist einer dieser Killer, die erst schießen und dann fragen, und die zum Beispiel bei der deutschen Nationalelf vermisst werden. Suárez ist ein derart echter Neuner, dass er bei Nacional Montevideo sechs Monate lang kein Tor traf, als er das Trikot mit der Rückennummer 13 seines Idols Sebastián El Loco Abreu auftrug. Und doch hat er sich gewandelt, er ist eine Strafraum-Bestie mit generösen Zügen geworden. Keiner der Top-5-Torjäger ist unter den besten fünf Vorlagengebern der Vorsaison zu finden. Suárez glänzte mit 16 Assists; nur Mesut Özil (FC Arsenal/19) und Ángel Di María (Paris Saint-Germain/18) übertrafen ihn. Messi kam auch auf 16 Vorlagen, Henrikh Mkhitaryan (Dortmund) auf 15.

Ein Wandel ist das deshalb, weil Suárez zu Beginn seiner Karriere anders gepolt war. Der Uruguayer Wilson Pérez, sein Entdecker, erzählte, dass Suárez als junger Profi bei Nacional den Ball nie abspielte: "Nicht nur, weil er gewinnen wollte, sondern weil er von uns für jedes Tor Geld bekam." Das Geld konnte Suárez gut gebrauchen; er stammt aus kargen Verhältnissen, was ihm als Erklärung dafür dient, mit welcher Rücksichtslosigkeit er heute gegen sich und andere zu Werke geht: "Alles, was ich als Kind erlebt habe, führt dazu, dass ich keinen Ball verloren gebe", sagte er zu Jorge Valdano, dem Weltmeister und Fußball-Philosophen. Barças Anhang goutiert dies: "U-ru-guayo!, U-ru-guayo!", skandierte das Publikum beim Manchester-Spiel im Camp Nou.

Suárez ist aber auch berühmt dafür, dass er schon mal den Kopf verliert. Sturmkollege Neymar (der seinen Vertrag nun bis 2021 verlängerte) pflege sich für Tritte dadurch zu revanchieren, dass er dem Übeltäter den Ball bei der nächsten Begegnung durch die Beine schiebt, ihn lächerlich macht, sagt Valdano, "aber bei Suárez ist es wahrscheinlich, dass er die Tritte zurückgibt. Mit Zinsen". Die berühmtesten Episoden rund um Suárez haben aber nichts mit Tritten zu tun, sondern mit seinem unheimlichen Hang, nicht bloß im übertragenen Sinne ein "Kannibale des Strafraums" zu sein.

Bei der WM 2014 biss er Italiens Verteidiger Chiellini in die Schulter. Die Folge: Eine unterschriftsreife Übereinkunft mit Real Madrid wurde storniert, wegen einer Sperre konnte er erst im November 2014 für Barcelona aktiv werden, der ihn dennoch für 81 Millionen Euro beim FC Liverpool abgelöst hatte - nachdem Suárez seinen ersten "Goldenen Schuh" gewonnen hatte. Auch Länderspiele mit Uruguay waren ihm untersagt, vor allem aber gab es Diskussionen daheim: Seiner Frau Sofía hatte er versprochen, derlei nie wieder zu tun. 2010 hatte Suárez, damals bei Ajax Amsterdam, Otman Bakkal (Eindhoven) in die Schulter gebissen und 2011 als Liverpool-Stürmer Branislav Ivanović (Chelsea) in den Arm. "Sie fühlte sich verletzt", sagte Suárez der Zeitung El País, "ich habe viel geweint." Bei der Gala weinte er auch, als er seiner Frau für alles dankte, auch für Tochter Delfina und Sohn Benjamín.

Nicht nur die Gattin vergab ihm, auch Patrice Evra, den Suárez einst in England bei einer hitzigen Diskussion auf dem Rasen als "negro" angesprochen hatte. Suárez galt danach als Rassist, wurde gesperrt, trotz seiner Beteuerungen, dass dieses Wort in seiner Heimat keine beleidigende Konnotation habe; der größte Held der uruguayischen Fußballgeschichte, der Kapitän der Weltmeister von 1950, Obdulio Varela, wird bis heute ehrfürchtig "El Negro Jefe" genannt. "Glückwunsch", schrieb Evra nun, der heute bei Juventus Turin spielt - und er konstatierte das Offensichtliche: "Luis, du bist die beste Nummer 9."

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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