Leverkusen:Verwandlung in Siegerkusen

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Die neue Mentalität von Bayer 04 zeigt sich beim außergewöhnlichen Pokalerfolg gegen Bremen. Dass eine Leverkusener Elf ein 0:2 in ein 4:2 dreht, ist das Ergebnis der Entwicklungshilfe von Trainer Heiko Herrlich.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Das Aktenzeichen "3030100115726" war acht Jahre lang ein Zugeständnis für limitierte Leidenschaft. Im März 2010 hatte sich der Fußball-Bundesligist Bayer 04 Leverkusen beim Deutschen Patent- und Markenamt in München augenzwinkernd die Rechte für den medialen Spottnamen "Vizekusen" sichern lassen. Der Schritt schien aber gleichbedeutend mit dem öffentlichen Signal zu sein, dass die Mentalität in diesem Klub maximal für zweite Plätze genügt. Dass man sich zugleich den Begriff "Meisterkusen" sichern ließ, wirkt angesichts der Dominanz des FC Bayern München unnötig. Wirklich versäumt haben die Rheinländer damals allerdings, sich den Begriff "Pokalsiegerkusen" zu sichern.

"Wir haben mittlerweile eine neue Mentalität in der Mannschaft", sagte am Dienstagabend der Leverkusener Doppel-Torschütze Julian Brandt. Sein Team hatte zuvor gegen Werder Bremen einen frühen 0:2-Rückstand egalisiert und in der Verlängerung in einen 4:2-Sieg verwandelt. Erstmals in Bayers Vereinsgeschichte wurde im siebten Anlauf in einem Pokalspiel Werder besiegt, erstmals seit neun Jahren steht Leverkusen wieder im Halbfinale des DFB-Pokals, und erstmals seit 1993 könnte Bayer diesen Titel tatsächlich wieder gewinnen. Vor allem aber haben erstmals seit langer Zeit Beobachter das Gefühl, dass diese Mannschaft von der Mentalität her nicht mehr das alte "Vizekusen" ist.

"Der Trainer hat viel an uns geschraubt", berichtet der Doppel-Torschütze Julian Brandt

Es gab Zeiten, da hätte eine Leverkusener Mannschaft einen 0:2-Rückstand in einem solch wichtigen Spiel nicht mehr gedreht, da wären die Spieler nervös geworden, hätten keinen geraden Pass mehr zustande gebracht und wären über die eigenen Beine gestolpert. Und am Ende hätten sie sich vielleicht nicht mal richtig geärgert. Dem Trainer Heiko Herrlich war dieses Charakteristikum aufgefallen, als die Mannschaft kurz nach seinem Amtsantritt im vergangenen Sommer ein Testspiel gegen den Drittligisten Würzburg 0:3 verloren hatte: "Dass sich über so eine Niederlage niemand ärgert, war ich als Trainer gar nicht mehr gewohnt", sagte er später.

Die Mentalität einer Fußballmannschaft ist Herrlich extrem wichtig, deshalb stellt er seine Spieler auch so gern vor suggestive Denkaufgaben wie etwa jene, als er sie neulich bat, sich in Gedanken einmal ganz konkret die vermeintlich unmöglichsten und unerreichbarsten Dinge zu wünschen. Herrlich will mentale Mauern einreißen, und dazu gehört in gewisser Form auch die Umwandlung eines 0:2-Rückstands in einen 4:2-Sieg.

Abgesehen davon ist Fußball aber auch eine nüchterne taktische Angelegenheit. Die Leverkusener waren nämlich in der Erwartungen eines einzelnen Bremer Stürmers in dieses Viertelfinalspiel gegangen - und sahen sich binnen sieben Minuten nicht nur mit Werders Doppelspitze Max Kruse und Aron Johansson konfrontiert, sondern auch mit einem Rückstand durch zwei Treffer eben jener beiden. Daraufhin baute Herrlich seine anfängliche 4-2-3-1- Formation in ein 3-4-3 um und sah den Bremer Schwung dadurch zumindest ein bisschen entschärft. Dass Nationalspieler Julian Brandt den Spielstand dann recht zügig ausglich (31. und 55. Minute), lag aber auch daran, wie der Torschütze berichtete, "dass der Trainer viel an unserer Mentalität geschraubt hat". Das würde man natürlich gerne einmal sehen, wie Herrlich die Motivation seiner Fußballer mit dem Akkuschrauber optimiert - aber was Brandt bloß sagen wollte: "Wie wir dieses 4:2 gemacht haben - das spiegelt wider, wie sich diese Mannschaft in den vergangenen Monaten entwickelt hat."

Eine schlechte Nachricht gibt es auch: Kapitän Lars Bender fehlt erneut wochenlang

Einziger Wermutstropfen: Der oft verletzte Kapitän Lars Bender erlitt gegen Bremen einen Muskelfaserriss im linken Oberschenkel und fällt erneut wochenlang aus.

Es bedurfte noch einer Verlängerung, um durch Karim Bellarabi (111.) und Kai Havertz (118.) zwei weitere Tore zu erzielen und ins Halbfinale vorzustoßen. "Das ist jetzt eine große Chance für uns", sagte Brandt hinterher beinahe staatsmännisch. Noch immer hat Bayer Leverkusen in seiner Historie nur zwei Titel gewonnen: den Uefa-Pokal 1988 und eben jenen DFB-Pokal 1993. Mangels aktueller internationaler Wettbewerbs-Teilnahme nennt der Torwart Bernd Leno den DFB-Pokal "in diesem Jahr unseren Europacup", was zur Folge hätte, dass die Leverkusener am Finaltag - 19. Mai in Berlin - zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnten.

Vor ihrer möglichen ersten Finalteilnahme seit 2009 - damals gab es im Berliner Endspiel unter dem anschließend entlassenen Trainer Bruno Labbadia ein 0:1 gegen Bremen - müssen die Leverkusener aber erst noch ein Halbfinale gewinnen. Dem Torschützen Kai Havertz wurde die obligatorische Reporterfrage gestellt, welchen Gegner er sich wünsche, wenn am Sonntag ausgelost wird, worauf er pfiffig antwortete: "Mir egal, aber die anderen müssen hoffen, nicht gegen uns gelost zu werden."

Das ist genau die Mentalität, die Herrlich hören will. Auch in der Bundesliga steht Bayer nach einem Jahr im Mittelmaß ja weit oben. Zwar wieder auf Platz zwei, aber die ehemaligen "Vizekusener" stellen neuerdings "Siegerkusen"-Ansprüche.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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