Leverkusen:50 Kilo auf dem Rücken

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Im Titel-Modus: Werder-Stürmer Claudio Pizarro (Mitte) läuft vor allem in Pokalspielen zu großer Form auf, Jonathan Tah kann nicht folgen. (Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Geht es um Titel, versagen die Nerven: Beim 1:3 im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen Bremen wird Leverkusen mal wieder die Last der Geschichte nicht los.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Claudio Pizarro ist 37 Jahre alt. In diesem Lebensstadium versucht sich mancher Fußballer bereits am Trainerschein oder am Pokertisch. Weil es aber schwierig ist, nach dem Ende der Profizeit Erfüllung zu finden, spielt Pizarro einfach weiter. Am Dienstagabend ist der Bremer 86 Minuten lang ungefähr genauso viel gerannt wie die jungen Leverkusener Hakan Calhanoglu, 22, Christoph Kramer, 24, oder Kevin Kampl, 25. Er hat im Pokal- Viertelfinale per Elfmeter die Bremer 2:1-Führung geschossen und den finalen Treffer zum 3:1-Sieg vorbereitet. Fast könnte man meinen: Wenn Pizarro in den Pokal-Modus schaltet, zündet in ihm eine Art Turbo-Antrieb, der seine athletischen Defizite kompensiert.

Pizarro stand bereits acht Mal im DFB- Pokal-Endspiel: drei Mal mit Bremen, fünf Mal mit dem FC Bayern. Sollte er mit Werder dieses Jahr wieder ins Endspiel einziehen, wäre er mit neun Final-Teilnahmen alleiniger Rekordhalter, vor Bastian Schweinsteiger. Sollte er den Pokal gewinnen - zum zweiten Mal mit Bremen, zum siebten Mal insgesamt - zöge er bei den Titeln mit Schweinsteiger gleich. Den DFB-Pokal als Ausnahmesituation begreifen - vor allem dies hatten er und die Bremer am Dienstag den Leverkusenern voraus. "Wir waren nicht im Pokal-Modus", sagte deren Trainer Roger Schmidt enttäuscht.

Während Pizarro wie ein junger Hüpfer über das Spielfeld tobte, hatte Leverkusens Stürmer Stefan Kießling das Gefühl, er und seine Kollegen hätten "jeder einen 50-Kilo-Rucksack auf dem Rücken" getragen. Immer mal wieder, wenn es für die Fußballer des Bayer-Konzerns in einem Spiel um viel geht, versagen ihnen die Nerven. Zum sechsten Mal in ihrer Vereinsgeschichte haben die Leverkusener am Dienstag versucht, Werder Bremen in einem Pokalspiel zu besiegen - zum sechsten Mal sind sie daran gescheitert. "Es passiert immer in solchen Spielen", jammerte Kießling, "und immer in Phasen, in denen wir denken, dass wir eigentlich gefestigt sind."

Sieben Pflichtspiele hatten die Leverkusener zuvor nicht verloren. In der Champions League haben sie dem FC Barcelona ein 1:1 abgetrotzt und in der Bundesliga am vergangenen Samstag dem FC Bayern ein 0:0. Sie haben Gladbach mit 5:0 fortgefegt und Hannover mit 3:0. Als selbstbewusster Bundesliga-Fünfter haben sie den zuletzt in Gladbach gedemütigten Drittletzten Werder zu diesem Pokalspiel empfangen, haben das Spiel anfangs kontrolliert und sind nach 22 Minuten durch einen Foulelfmeter von Javier Hernandez in Führung gegangen.

"Eine nur scheinbare Sicherheit", nannte der Trainer Schmidt diese Konstellation aber im Anschluss. "Unkonzentriert und unsauber im Ballbesitz" gaben die Leverkusener ihre Führung binnen 20 Minuten aus der Hand. Erst glich Bremens Santiago Garcia (31.) zum 1:1 aus, dann verwandelte Pizarro einen Foulelfmeter (42.), vor dem Wendell für eine Notbremse gegen Fin Bartels die rote Karte gesehen hatte. Danach blieb Bayer zwar auch in Unterzahl spielbestimmend, kam aber kaum mehr zu Chancen. Hernandez wurde mit einem Faserriss im Gesäß ausgewechselt und fehlt am Samstag in Darmstadt. "Wir sind sehr enttäuscht", sagte Geschäftsführer Michael Schade. "Wir hatten große Ziele und wollten über den Pokal mal wieder ins Rampenlicht."

Doch Leverkusener Fußballer ziehen nun mal traditionell nicht halb so instinktiv ins Rampenlicht wie Motten in einen Scheinwerferkegel. 1988 hat Leverkusen unter dem Trainer Erich Ribbeck den Uefa-Pokal gewonnen, 1993 unter dem Trainer Dragoslav Stepanovic den DFB-Pokal. Es sind die beiden einzigen relevanten Titel in der Klub-Historie geblieben. Umso mehr hatten sich die Rheinländer dieses Jahr Hoffnungen auf den Pokalerfolg gemacht.

Sechs Mal hat Werder den Pokal bereits gewonnen, zuletzt 2009 im Endspiel gegen Leverkusen. Originaltrikots beider Klubs aus jenem Endspiel hängen im Flur in der Leverkusener Arena. Clemens Fritz und Claudio Pizarro waren damals bereits für Bremen dabei, am Dienstagabend gehörten sie zu den besten Werder-Spielern. Er habe, behauptete Pizarro später, seinen Kollegen in der Pause von der Trophäe vorgeschwärmt. Bei den Leverkusenern ist vom Pokalsieg 1993 niemand mehr dabei, auch nicht im Betreuerteam. Niemand hat den Spielern in der Kabine vorschwärmen können. Womöglich mangelte es ihnen auch deshalb an der erforderlichen Begeisterung.

© SZ vom 11.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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