Leverkusen:Endlich entfesselt

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Zwei Vorlagen, ein Treffer: Julian Brandt, der hier Dayot Upamecano abhängt, war der überragende Leverkusener beim Sieg in Leipzig. (Foto: Jan Huebner/imago)

Nach zwei schlechten Leistungen brilliert Leverkusen in Leipzig - und fügt seinem Rivalen um die Champions-League-Qualifikation eine herbe Niederlage zu.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Als Ralph Hasenhüttl das Wort erteilt bekam, lachte der Trainer von RB Leipzig in sich hinein. Was irgendwie Ausdruck dafür zu sein schien, dass es ihm bizarr vorkam, sich nurmehr an einen imaginären Gast wenden zu können, denn sein Gegenüber hatte die Szenerie hastig verlassen müssen. Zur Liturgie von Bundesligaspielen gehört ja, dass sich beide Trainer gemeinsam den Medien stellen; Hasenhüttls Kollege Heiko Herrlich aber, Coach von Bayer 04 Leverkusen, musste mit seiner Mannschaft noch das Flugzeug erreichen, um die Nachtflugverbote zu umgehen, und den Pressesaal daher nach einem kurzen Statement flugs verlassen. "Tja", hob also Hasenhüttl zur Ehrpreisung eines Abwesenden an, dessen Team einen formidablen 4:1-Sieg errungen hatte, und fügte ein "Glückwunsch, Heiko, zum sehr guten Spiel deiner Mannschaft" an. Im Wissen darum, dass Herrlich ihn zwar nicht hören können würde, aber von der Gewissheit getragen, dass der Kollege von der Gratulation wohl schon noch erfahren würde.

Zumal das Lob nicht bloß eine Frage der Noblesse, sondern eine aufrichtige Anerkennung war. Hasenhüttl hatte an der Außenlinie "einen sehr beweglichen, sehr gut eingestellten, sehr dynamischen Gegner" gesehen, der den Leipzigern ein "taktisch und technisch sehr schweres Spiel" aufgezwungen hatte. "Wir haben von außen ständig Anpassungen vornehmen müssen", berichtete der Österreicher. Kurioserweise wies die offizielle Statistik der Partie eine seltsame Ebenbürtigkeit in vielen Teilaspekten aus, in Sachen Ballbesitz etwa (49:51), der Quote gelungener Pässe (81:82 Prozent) oder der Ecken (8:9). Unter der Rubrik Torschüsse war für Leipzig gar ein frappierendes Übergewicht verzeichnet, 19 RB-Abschlüssen standen 13 Torschüsse Leverkusens gegenüber. Doch mit derlei Details hielt sich Hasenhüttl nicht auf. Das Spiel hätte auch 8:5 für Leverkusen enden können, befand der Österreicher, letztlich sei das 4:1 "auch in der Höhe für den Unterschied zwischen den beiden Mannschaften sinnbildlich" gewesen.

Leipzig war zwar recht früh durch Marcel Sabitzer (17. Minute) in Führung gegangen, er hatte den Ball nach einer Kopfball-Ablage von Yussuf Poulsen aus gut 18 Metern in die linke Ecke gejagt. Was danach imponierte, war die Unbeirrtheit, mit der Leverkusen nach vorne spielte, als hätte es die jüngsten Rückschläge, die Niederlage in Köln und das fahle Remis gegen Augsburg, nie gegeben. Mit zunehmender Spieldauer sprudelte Leverkusens Fußball so mächtig und mysteriös wie ein Geysir. Mustergültig dafür stand der Ausgleichstreffer, der einem eruptiven Konter entsprang: Nach einer Leipziger Ecke schlug RB-Abwehrspieler Upamecano im Leverkusener Strafraum ein Luftloch; Lars Bender schickte Bailey auf eine einsame Reise auf der rechten Außenbahn, und der Jamaikaner fabrizierte eine derart gefühlvolle Flanke, dass Kai Havertz (44.) volley Torwart Peter Gulacsi überwinden konnte. "Ich glaube, das Tor war der Knackpunkt", sagte Hasenhüttl, und berichtete, in der Halbzeitpause erwogen zu haben, sein Team konservativer auszurichten. Seine Reue darüber, den Gedanken verworfen zu haben, hielt sich deshalb in Grenzen, weil die Abwehrleistung seines Teams nur wenig mit der Grundausrichtung zu tun hatte. Denn die Effizienz der selbstlosen Arbeit der defensiven Mittelfeldspieler Baumgartlinger und Aránguiz war ein Faktor, in dem die Leverkusener ihren Gegnern voraus waren.

Leverkusen spielt im Pokal- Halbfinale gegen den FC Bayern

Zudem konnte sie auf einen brillanten Julian Brandt zählen, der sich am Montagabend unter den Augen von Bundestrainer Joachim Löw in einem blendenden Zustand präsentierte. Dass Bayer in der zweiten Halbzeit "wie entfesselt" aufspielte, wie Trainer Herrlich lobte, hatte auch viel mit Brandt, 21, zu tun.

Womöglich habe eine Rolle gespielt, dass er in der Vorwoche seinen Vertrag bei Bayer Leverkusen bis 2021 verlängert hatte, das könne die zwei, drei Prozent freigesetzt haben, die in vorangegangenen Wochen gefehlt hätten, sinnierte der tatsächlich befreit wirkende Brandt, der schon vor dem 1:1 zwei Gegner gebunden hatte. Nach der Pause erzielte er das 2:1 selbst (51.) und bereitete die restlichen Treffer von Panagiotis Retsos (56.) sowie Kevin Volland (69.) vor. Das Spiel war gelaufen, also wechselte Hasenhüttl umgehend den Stürmer Timo Werner aus, zur Schonung fürs Rückspiel im Europa-League-Viertelfinale bei Olympique Marseille. Dort muss RB am Donnerstag den 1:0-Hinspielsieg verteidigen. Das trieb Hasenhüttl insofern Sorgenfalten auf die Stirn, als er im Stade Vélodrome einen ähnlich aggressiven Gegner erwartet.

Auch Leverkusen blickt wichtigen Partien entgegen, in denen Linksverteidiger Wendell fehlen wird. Der Brasilianer blieb bei einer Grätsche im Rasen hängen und zog sich einen doppelten Bänderriss im linken Sprunggelenk zu, er wird wohl vier Wochen ausfallen. Am Samstag trifft Leverkusen auf Frankfurt und damit auf einen weiteren Konkurrenten um die Champions-League-Qualifikation; nächste Woche spielen die Rheinländer im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den Meister FC Bayern. "Die Leistung von heute muss die Messlatte für die nächsten Wochen sein", forderte Stürmer Volland.

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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