Leipzig:Schurke eines Spiels, das ihn zum Helden küren wollte

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Glück im Unglück: Christoph Kramer zog sich nach dem Foul des Leipzigers Keita nur eine kleine Schnittwunde an der Lippe zu. (Foto: Boris Streubel/Getty Images)

Naby Keita ruiniert sein Werk durch einen Tritt und hat Glück, dass sich Christoph Kramer nicht schlimmer verletzt.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Der deutsche Fußball-Nationalspieler Christoph Kramer hat seit Samstag 119 Bundesligaeinsätze hinter sich. Er ist, obschon er erst 26 Jahre alt ist, Weltmeister, und wenn nicht alles täuscht, so kann er darauf bauen, noch recht lange seiner Tätigkeit nachgehen zu können, dem berufsmäßigen Fußball. Leider. Nicht für Kramer natürlich, und schon gar nicht für seinen Verein, den VfL Borussia Mönchengladbach. Wohl aber für die Wissenschaft. Denn allmählich häufen sich die Episoden, die sein Gehirn zu einem interessanten Studienobjekt machen, um die Folgen von Schlägen gegen den Kopf zu examinieren.

Es lief die 81. Minute der Bundesligapartie der Borussia bei RB Leipzig, die mit einem 2:2 enden sollte, als es in der Hälfte der Gastgeber zu einem fatalen Zweikampf kam. Kramer ging mit dem Kopf zum Ball, und es wäre gelogen, wenn man sagen würde, dass er, immerhin 1,91 Meter hochgewachsen, sich nach dem Ball gebückt hätte. Mit anderen Worten: Leipzigs Mittelfeldspieler Naby Keita ging ein hohes Risiko ein, als er mit dem Bein nach dem Ball trat - und Kramer traf. Am Kopf. Wer die Bilder später in der Zeitlupe sah, der konnte durchaus meinen, dass Kramer Glück hatte, weil er nur eine Risswunde über der Oberlippe davontrug.

Auch unter den Trainern der beteiligten Mannschaften - Ralph Hasenhüttl (Leipzig) und Dieter Hecking (Mönchengladbach) - bestand kein Zweifel daran, dass die rote Karte, die Keita sah, berechtigt war. Auch wenn ihm keiner Absicht unterstellen mochte. Nicht mal Christoph Kramer, der zunächst glaubte, von Keitas Ellbogen getroffen worden zu sein.

"Die erste Halbzeit war wie aus einem Guss", findet der RB-Coach

"Es sah schlimmer aus, als es war", sagte der Gladbacher, als er nach dem Spiel von den Journalisten des übertragenden TV-Senders befragt wurde, und er fand dort sogar Zeit, über das Resultat an sich zu philosophieren: "Ein Unentschieden gegen eine Mannschaft wie Leipzig ist gut, aber wir hätten es in der zweiten Hälfte noch klarer ausspielen müssen, dann wäre auch mehr drin gewesen."

Diese Einlassung immerhin konnte als Beweis dafür herhalten, dass Kramer besser aus dem Gefecht gekommen war als aus dem WM-Finale 2014 in Rio de Janeiro. Dort hatte er nach einem Zusammenprall mit Argentiniens Verteidiger Ezequiel Garay derart die Orientierung verloren, dass er den Schiedsrichter Rizzoli fragte, ob das denn das WM-Finale sei; Kramer wurde danach ausgewechselt. Am Samstag in Leipzig registrierte er am Spielfeldrand noch die Entschuldigung des gramvoll davonschleichenden Keita. Erst an der Schwelle zur Kabine war Kramer nicht mehr so gesprächig. "Ich kann nicht mal trinken. . .", brummte er, ehe er davon stapfte und von einem Arzt mit zwei Stichen genäht wurde.

Von Keita war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu sehen, er war in der Kabine verschwunden. Und es hatte eine tragische Note, dass er einem Spiel zum Schurken gereichte, das ihn eigentlich zum Helden küren wollte. Dass die Leipziger in der ersten Halbzeit trotz fünf Wechseln gegenüber der Startelf aus dem Champions-League-Debüt vom Mittwoch gegen AS Monaco (1:1) die Gladbacher dominierten, hatte viel mit Keita zu tun. Er belebte das kreative Spiel der Leipziger derart, dass er die beiden anderen eingebungsvollen Mittelfeldspieler der Leipziger, Emil Forsberg und Kevin Kampl, in den Schatten stellte.

"Die erste Halbzeit war wie aus einem Guss. Fast schon beängstigend, was wir da gespielt haben", sagte Trainer Hasenhüttl. Zwei Mal gingen seine Leipziger in Führung, erst durch Timo Werner (17. Minute), dann durch Jean-Kévin Augustin (31.), der einen grandiosen Pass Keitas in den freien Raum veredelte. Doch so wie Keita sein eigenes Werk durch einen unbedachten Tritt ruinierte, hatten die Leipziger einen großen Anteil an den Ausgleichstreffern.

Bernardo leistete sich ein überflüssiges Foul an Jonas Hofmann, das zu einem von Thorgan Hazard verwandelten Elfmeter führte (25.). Dann nahm Leipzigs Diego Demme seinem Mitspieler Keita in der eigenen Hälfte den Ball vom Fuß, wofür sich Gladbachs Kapitän Lars Stindl mit einem formidablem Effet-Schuss aus 18 Metern in den Winkel bedankte (61.). Dieser Treffer war der Lohn für die aufopferungsvolle zweite Halbzeit der Gladbacher, die allerdings davon profitierten, dass Leipzigs Kräfte nachließen. Auch jene Keitas.

Dessen Tritt gegen Kramer machte übrigens auch dort Schlagzeilen, wo Keita von 2018 an "drei-, viermal mehr" verdienen wird als in Leipzig, wie RB-Sportdirektor Ralf Rangnick am Sonntag bei Sky verriet: in England, beim FC Liverpool. Denn Keitas Attacke gemahnte an den Tritt, den Liverpools Sadio Mané in der Vorwoche Manchester Citys Torwart Ederson verpasst hatte. Ederson musste wie Kramer am Kopf genäht werden; Mané bekam eine Sperre, die wohl auch seinem künftigen Kollegen Keita blüht. Mané muss drei Spiele aussetzen.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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