Leipzig - Hertha BSC 2:0:Warnung aus Sachsen

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Er wird doch nicht wieder abheben? Nein, der Leipziger Timo Werner (Mitte) bricht nach seinem Tor zum 1:0 gegen Hertha BSC zum Jubeln auf, dicht gefolgt von Marcel Sabitzer (links) und Yussuf Poulsen. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Nach dem souveränen Sieg gegen Hertha BSC blickt der überraschend solide Aufsteiger RB Leipzig voller Enthusiasmus auf das Jahres-Endspiel in München.

Von JAVIER CÁCERES, Leipzig

Vom Marketing, das muss man ihnen schon lassen, verstehen sie bei RB Leipzig das eine oder andere. Am Samstag ließen sie unter den rund 42 000 Zuschauern rot-weiße Weihnachtsmannmützen verteilen (apropos Weihnachtsmann: Hat diese, nun ja, Tradition nicht einst ein US-Brausehersteller begründet?), und auf den Mützen waren ein paar Stationen des zu Ende gehenden Jahres aufgedruckt. An erster Stelle war in kleinen, weißen Buchstaben "Bulli" (nicht etwa: "BuLi") zu lesen, aber auch "Aufstieg" und "Tabellenführer", vor allem aber: "Rekordaufsteiger". Ja, das ist und bleibt RB Leipzig nach menschlichem Ermessen auf sehr, sehr lange Zeit: "Rekordaufsteiger". Ganz unabhängig davon, wie die Partie am Mittwochabend beim FC Bayern ausgeht, zu der RB Leipzig auf Augenhöhe anreisen wird.

Wer hätte das gedacht, wäre man geneigt zu schreiben, wenn es nicht so platt wär'? Nur: Es ist hilft ja nichts, es ist wirklich so. Wer also hätte das gedacht? "Das war nicht vorherzusehen, dass wir so eine gewichtige Rolle spielen und so gut umsetzen, was wir uns vornehmen", sagte etwa Leipzigs österreichischer Defensivspieler Stefan Ilsanker nach dem 2:0-Sieg gegen Hertha BSC, den seine Mannschaft auf famose Weise herausgespielt hatte.

Die Berliner hatten sich streng wie selten nach dem Gegner ausgerichtet, hatten dessen sagenumwobene Konterstärke durch eine komplexfrei defensive Formation konterkarieren wollen. Doch die Leipziger bewiesen, dass sie mit dem Ball durchaus etwas anzustellen wissen, wenn sie ihn durch die eigenen, diszipliniert positionierten Reihen zirkulieren lassen müssen. Es spielte ihnen zwar in die Hände, dass die Berliner personell geschwächt angereist waren und zudem rasch den mutigen Mitchell Weiser durch eine Muskelverletzung verloren.

"Wir müssen nicht. Wir wollen. Und wir können", sagt Leipzigs Defensivkraft Ilsanker

Aber es blieb beeindruckend, wie die Leipziger ihre Gäste aus der Hauptstadt zermürbten - derart, dass sie zu keiner Torchance kamen und nachher bloß eingestehen konnten, dass "die zu schnell waren", wie Trainer Pal Dardai resümierte, "da war nichts drin für uns".

"Die wollten unbedingt", berichtete Ilsanker mit Blick auf den resoluten Körpereinsatz der Berliner, "aber sie haben einfach kein Mittel gefunden." Das lag auch daran, dass die Leipziger sich nicht beirren ließen: Weder von der ersten Saisonniederlage vor einer Woche in Ingolstadt, die als Vorbote des unausweichlichen Niedergangs der Sachsen fehlinterpretiert worden war, noch von den Chancen, die sie zunächst gegen Hertha liegen ließen.

"Wir haben von der ersten Sekunde an gezeigt, was wir wollen", erklärte Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl. Erst traf der wegen seiner Schwalbe aus dem Schalke-Spiel aufs Derbste beschimpfte Timo Werner (41.) zur Führung; nach rund einer Stunde wuchtete Kapitän Willi Orban den Ball nach einem Eckball per Kopf zum 2:0-Endstand ins Tor. "Wir wollten nach der Vorwoche eine echte Reaktion zeigen, und die haben wir gezeigt, über 90 Minuten", sagte Orban, nachdem er in der Kabine die Glückwünsche des RB-Chefs Dietrich Mateschitz entgegengenommen hatte. Oder beglückwünschte sich der von der örtlichen Volkszeitung mit religiös-stalinistischem Furor verehrte Mateschitz ( " Er ist da. Der über allem schwebt . . . besucht seine Leipziger Werktätigen") gar selbst, weil er das Seinige zum Sieg beitrug?

Wer abergläubisch ist, könnte das so sehen, zumindest hat Mateschitz noch nie einer Niederlage von RB Leipzig beigewohnt. "Wir sehen ihn immer gern im Stadion, hoffentlich kommt er im nächsten Jahr wieder", sagte Torwart Gulacsi. Dass sich der Österreicher auch für den Mittwoch in München angekündigt hat, hielt Gulacsi für weniger wichtig: "War der schon mal auswärts dabei?" Es fehlen empirische Belege dafür, dass Mateschitz auch jenseits von Leipzig als Amulett taugt. Kapitän Willi Orban wiederum erinnerte daran, dass Mateschitz nicht mitspielt. "Wir müssen unsere Arbeit selber machen", sagt er.

Wie diese im Detail aussehen wird, ist unklar. "Wir haben uns noch nicht mit dem FC Bayern beschäftigt", sagte Gulacsi. Klar ist nur: Bei den Leipzigern werden wohl die ordnenden Gedanken des Naby Keita fehlen, der zentrale Mittelfeldspieler zog sich eine Oberschenkelblessur zu und wird in München wohl passen müssen. Doch der Enthusiasmus, den die Leipziger verströmen, dürfte einiges aufwiegen.

Noch auf dem Platz scharte Trainer Hasenhüttl sein Team um sich und erinnerte es mit vehementen Gesten und weit aufgerissenem Mund daran, dass nur noch ein Spiel anstehe in diesem Jahr. Dass dieses Jahr 2016, in dem man die ersten 36 Punkte der eigenen Bundesliga-Geschichte geholt habe, noch nicht vorüber sei. Dass es noch ein Finale bereithalte. "Alles, was wir uns hier hart erarbeitet haben, führt jetzt dazu, dass wir am Mittwoch ein Spiel spielen dürfen, das, tja, ganz Deutschland elektrisiert und die Leute über die Landesgrenzen hinaus begeistern wird", sagte Trainer Hasenhüttl später. Diese Einladung zum Genuss wurde von seinem Team dankbar aufgenommen. "Wir treffen nun auf die über Jahre, Jahrzehnte fast schon, beste Mannschaft Deutschlands. Darauf freuen wir uns riesig", sagte Ilsanker. Vor allem aber sagte er, wie unbekümmert man sei: "Für uns spricht einiges. Wir müssen nicht. Wir wollen. Und wir können, wie man heute wieder gesehen hat." Leicht klang das, einerseits, und doch wie eine Warnung.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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