Leipzig:Besiegt vom Rasenballsport-Experten

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Die Stille nach dem Schluss: Trainer Ralph Hasenhüttl (links) und die Leipziger Spieler erlebten erstmals das Gefühl, ein Bundesliga-Spiel zu verlieren. (Foto: Jan Huebner/imago)

Ingolstadts Trainer stürzt seinen Vorvorgänger von der Tabellenspitze. Auf den FCI findet RB keine Antworten.

Von Sebastian Fischer, Ingolstadt

Ralph Hasenhüttl mag Geschichten. Als er einst mit dem FC Ingolstadt seinen Pressing-Fußball kultivierte, erzählte er zum Beispiel die Inkognito-Geschichte. Sie handelte davon, wie er unerkannt ein Training seines Pressing-Vorbilds Jürgen Klopp beobachtet hatte. Als der FC Ingolstadt dann in die erste Liga aufgestiegen war, die Republik den Trainer Hasenhüttl regelmäßig aufbrausen sah und sich fragte, ob er denn auch mal zur Ruhe komme, da erzählte Hasenhüttl die Klavier-Geschichte. Selbst als er zum hundertsten Mal auf sein Hobby angesprochen wurde, lächelte er dabei.

Jetzt allerdings gibt es eine Geschichte über Ralph Hasenhüttl, die alle erzählen, die ihm aber nicht gefällt: die Ausgerechnet-Geschichte. "Ich sehe das nicht als ein Ausgerechnet-hier", sagte Hasenhüttl am Samstagabend in Ingolstadt, als er die erste Saisonniederlage von RB Leipzig kommentieren musste, die ihm ausgerechnet die alten Kollegen zugefügt hatten.

Hasenhüttls einstiger Liebling Roger entscheidet das Spiel

Hasenhüttl hatte schlechte Laune nach dem 0:1 des vorerst gestürzten Tabellenführers Leipzig beim bisherigen Tabellenletzten. Die Erklärung, dass es nur eine gut vorbereitete, mit viel Herz und engmaschig verteidigende Mannschaft brauchte, um Leipzig die erste Saisonniederlage zuzufügen, war ihm zu billig. Sein Problem war bloß, dass es in den 90 Minuten zuvor genau so ausgesehen hatte.

Acht Spiele in Serie hatten die Leipziger bis zum Samstag gewonnen, stets mit ähnlichen Mitteln, auf die kein Gegner eine Antwort fand: Überfallfußball, tödliche Pässe in die Spitze von den Mittelfeldspielern Naby Keita und Emil Forsberg, unendliche Sprints der Stürmer Timo Werner und Yussuf Poulsen, keine Zeit zum Überlegen für den Gegner bei Ballbesitz. Der Vorteil der Fixierung auf ein System ist, dass die Spieler es irgendwann traumwandlerisch beherrschen, dass jeder Spieler überall spielen kann. Leipzig spielt dieses System seit Jahren, seit dem ersten von drei Aufstiegen in der Regionalliga.

Der Nachteil: Die Gegner werden es irgendwann entschlüsseln. Zumal, wenn sie zufällig zu den führenden Rasenballsport-Experten der Republik zählen. Maik Walpurgis, 43, darf diesen inoffiziellen Titel für sich beanspruchen. Der Ostwestfale, beim FCI Nachfolger des rasch entlassenen Hasenhüttl-Nachfolgers Markus Kauczinski, hat nunmehr von fünf Spielen gegen Leipzig drei nach 90 Minuten gewonnen; mit Lotte verlor er 2013 ein Regionalliga-Relegationsspiel erst in der Verlängerung, mit Osnabrück gewann er in der dritten Liga 3:2. Wie RB spielt, "wissen wir natürlich", sagte Walpurgis. Er stellte seine Spieler so präzise auf den Gegner ein, dass ihn nachher alle überschwänglich lobten, auch der Brasilianer Roger, der entscheidende Mann des Tages.

Der rustikale Mittelfeldspieler war von Walpurgis als dritter Innenverteidiger aufgeboten worden, Ingolstadt lief anstelle der üblichen Vierer- mit einer Dreierkette auf, um die berüchtigten Leipziger Passwege zu verstellen, und vor Roger, teils eher Ausputzer denn zentraler Innenverteidiger, verteidigten in Alfredo Morales und Almog Cohen zwei Sechser, für die das Attribut "fies" ein Kompliment sein dürfte.

Entscheidend war Roger aber nicht nur, weil er in letzter Konsequenz alle bis auf drei gefährlich abgeschlossene Leipziger Angriffe abwehrte. Roger sprang außerdem auch höher als alle Leipziger Verteidiger, nachdem Anthony Jung einen Freistoß in der 12. Minute in den Strafraum geschlagen hatte; die Leipziger verteidigten naiv, Roger war wild entschlossen zu treffen - so fiel das 1:0. Es war die ironische Note des verhängnisvollen Nachmittags, dass Roger zu Hasenhüttls Zeiten als einer der Lieblingsspieler des Trainers galt. Roger wurde fast sentimental, als er nun noch mal etwas dazu sagen sollte: Er sei "Hasi" dankbar für all die schönen Momente.

In der ersten Halbzeit hatten die Leipziger gar keine Antwort auf Roger und Ingolstadt, "der Gegner hat uns das Spiel aufgezwungen", sagte Hasenhüttl. Dadurch, dass Ingolstadt tief stand und lange Bälle nach vorne schlug, ergaben sich kaum Situationen fürs Leipziger Pressing. Und in der zweiten Halbzeit, als die Leipziger besser wurden, vergaben sie ihre Chancen; allen voran Emil Forsberg, zuletzt überragend und am Samstag Sinnbild Leipziger Hemmungen: Er, der Ballkünstler, schob den Ball aus fünf Metern am Tor vorbei, und ließ den Kopf hängen.

"Wir haben viel den Ball gehabt, aber unser Spiel mit dem Ball war nicht gut genug", sagte Forsberg. Mut, Entschlossenheit, Präzision, das waren die Eigenschaften, die Hasenhüttl vermisste, und die Ingolstadt bis zum Schluss darbot; der FCI schöpft nun wieder Hoffnung im Abstiegskampf. Und Leipzig?

Es ist erst eine Woche her, dass sich RB-Sportdirektor Ralf Rangnick zur Aussage hinreißen ließ, er wisse nicht, was den Höhenflug beenden könnte. In Ingolstadt lauschte er zerknirscht Hasenhüttls Erklärungen, gemeinsam verließen sie grummelnd das Stadion. Das war es jetzt also mit dem Höhenflug. Oder nicht? "Sie können sich am Samstag angucken, was die Reaktion sein wird", sagte Hasenhüttl zum Schluss und blickte trotzig in die Runde. Diese Geschichte aus Ingolstadt, die will er umschreiben.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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