Leichtathletik-WM in Berlin:Feuerwehrleute und Brezelbäcker

Von den USA bis nach Südkorea, vom Dominator Bolt bis zur gestürzten Diva: die Hochs und Tiefs der großen Leichtathletik-Nationen.

Thomas Hahn, Berlin

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USA (10 Gold/6 Silber/6 Bronze)Wenn sie heimkommt, kann der Verband USATF Allyson Felix ein Denkmal setzen. Denn sie hat sich um das Sprintvaterland verdient gemacht als US-Siegerin inmitten einer Einöde aus jamaikanischen Gewinnern. Über 200 Meter war sie nicht zu kriegen und nachher wieder so schön und unverbindlich und Jesse-Owen-gerührt, dass es für die Betrachter eine amerikanische Freude war.Sonst war nicht viel los mit den USA. Sicher, der Medaillen-Oscar geht wieder an sie. Aber in ihren Bemühungen, die Bilanz von Peking aufzubessern, sind die Amerikaner nicht weitergekommen. 23 Medaillen gewannen sie bei Olympia, in Berlin 22. Nicht einmal die schlimmste Schmach hat die US-Mannschaft tilgen können, das Sprintstaffeltrauma von Peking, als Frauen wie Männer im Halbfinale den Wechsel verpatzten. Das passierte nämlich wieder. Alexandria Anderson und Muna Lee brachten das Holz nicht reibungslos weiter, und als es endlich in Händen von Muna Lee war, fasste diese sich an den Oberschenkel. Sturz, Trage, Abtransport. Die Männer wiederum kamen zwar ins Ziel, wurden danach aber auf Protest der Briten disqualifiziert.Das war keine sehr reiche Ausbeute nach all den Debatten, Sonderprogrammen und Staffelpool-Konzeptionen. Immerhin, die Amerikaner behielten ihren Sinn für Kalendersprüche. "Jedes Team hat seine Hochs und Tiefs", sagte Alexandria Anderson. "Es kommt nur darauf an, wie du zurückkommst." Und das stimmt natürlich auch wieder.Foto: AP

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Jamaika (7/4/2)Usain Bolt klang später, als habe er seine Kurve für Jamaikas Sprintstaffel im Halbschlaf bewältigt. Er sagte, dass er nach acht WM-Tagen sehr müde sei und dass er nicht in der gleichen Form sei wie 2008 in Peking, als er nach drei Olympiasiegen weniger müde war. Und Asafa Powell erklärte, er habe sich im 100-Meter-Turnier eine Verletzung zugezogen, deretwegen er seinen Staffeleinsatz fast abgesagt hätte. Deshalb also war Jamaikas Goldstaffel über 4x100-Meter so langsam. 37,31 Sekunden. Nur WM-Rekord. Kein Weltrekord! Allerhand.Im Ernst. Diese WM ist ein voller Erfolg für Jamaika gewesen. Mit Boltschen Weltrekorden (9,58 Sekunden über 100 Meter, 19,19 Sekunden über 200 Meter) und ständigem Medaillenklingeln; zwischendurch war sogar mal der große Nachbar USA auf Platz zwei verwiesen. Den Umgang mit sich selbst muss Jamaikas Leichtathletik halt noch ein bisschen üben. Fünf Amphetamin-Dopingfälle wies ihr Team vor der WM auf, was zunächst zu Freisprüchen durch die Disziplinar-Kommission der jamaikanischen Antidoping-Kommission Jadco führte, gegen welche wiederum die Jadco selbst Einspruch erhob. Das verstand keiner. Am Ende zogen die Jamaikaner die betroffenen Sportler vorsichtshalber aus ihren Staffeln zurück - was Bolt seinen dritten Titel hätte kosten können, denn das ersatzgeschwächte zweite Team überstand das Halbfinale nur wegen eines grotesken Wechselfehlers der Deutschen.Und der kurzfristige Rauswurf der sechs Trainingslagerschwänzer um Asafa Powell bekommt auch einen Sonderplatz im WM-Possenkabinett. Erst suspendierte Jamaikas Verband die Abtrünnigen aus der Gruppe des ungeliebten Trainers Stephen Francis. Dann doch nicht, weil die IAAF einschritt. Und am Ende waren die Geschmähten an acht der 13 Jamaika-Medaillen beteiligt.Foto: AFP

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Russland (4/3/6)Wo war eigentlich Russland? Auf den Siegerpodesten jedenfalls nicht oft. Keinen Titel ließen die Russen beim Gehen Unter den Linden aus, was mit der jahrhundertealten Blutdoping-Tradition im russischen Gehsport zu tun haben kann. Aber ihre Tradition in den technischen Disziplinen muss ihnen irgendwie abhanden gegangen sein. Nur der Hochspringer Jaroslaw Rybakow konnte im Olympiastadion einen Titel für Russland gewinnen. Russlands bedrohliche Werferinnen-Armee? Zusammengeschrumpft auf eine Riege harmloser Kurzschmeißerinnen. Die berüchtigten Lungenzüge aus Moskau? Keuchten hinterher. Unsympathischer hat das die frühere Leichtathletik-Großmacht nicht gemacht. Und eine Russin verdiente sich sogar einen Sonderpreis: Die gescheiterte Stabhochsprung-Diva Jelena Issinbajewa bewies, dass sie eine sehr aufrechte Verliererin ist. Das war Russlands größter Sport in Berlin.Foto: AFP

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Großbritannien (2/2/2)Die Mitteleuropäer hatten schon schlechtere WM-Tage. Das liegt stark an den Deutschen mit ihrer ungastlichen Art, Edelmetall an sich zu reißen. Aber auch an den Briten. Zumindest wirken sie dieser Tage zufriedener als in den Jahren zuvor, in denen sie bisweilen nicht einmal mehr verrissen wurden, weil die Leistungen den Ärger nicht lohnten. Warum die Briten so viel zufriedener sind, obwohl sie auch nur zwei Medaillen mehr haben als 2008? Vielleicht liegt es an Chefcoach Charles van Commenee, dem man als Neuling einen Vorschuss zubilligt. Vielleicht ist den Briten bewusst, dass sie auf Olympia 2012 in London zusteuern und eine konstruktivere Atmosphäre brauchen. Vielleicht erkennen sie die Tatsache an, dass Großbritanniens Leichtathletik dieses Jahr eine fast seuchenhafte Verletztenmisere erfasst hat. Oder sie sind einfach das, was man auch mal sein kann: zufrieden mit zwei Weltmeistern (Dreispringer Phillips Idowu, Siebenkämpferin Jessica Ennis) und milde mit unterlegenen Olympiasiegerinnen wie Christine Ohuruogu, die als Fünfte die Titelverteidigung verpasste.Foto: AP

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Äthiopien (2/2/4)Meseret Defar erzählte von der Klimaanlage in ihrem Hotelzimmer, und schon daran konnte man sehen, dass etwas nicht stimmte. Gerade hatte sie ihr Finale über 5000 Meter verloren, und zwar heftig. Als sie ihre Führung über die letzten Meter mit ihrem gefürchteten Schluss-Spurt retten wollte, war da gar kein Schluss-Spurt mehr, stattdessen ein langsames Ersterben ihrer Schritte. Schon flog die Kenianerin Vivian Cheruyiot heran, deren Landsfrau Sylvia Kibet hinterher. Titelverteidigerin Defar war Dritte und die Laufnation Äthiopien um eine weitere Niederlage reicher im ostafrikanischen Nachbarschaftsstreit gegen die Laufnation Kenia. "Ich bin wirklich ziemlich enttäuscht", sagte Meseret Defar und berichtete, dass sie nach der ersten Nacht im klimatisierten Berliner Hotelzimmer eine Erkältung davongetragen habe, die letztlich ihre und Äthiopiens WM-Bilanz ruiniert hat.Wie es sich für eine Grande Dame der Langstrecke gehört, hat Meseret Defar gelächelt zum bösen Spiel. Tief in ihrer Seele allerdings musste es regnen, denn solche Niederlagen ist Äthiopien nicht gewohnt. Und in Berlin setzte es gleich zwei: Über 10.000 Meter verwies Linet Masai Meselech Melkamu auf Platz zwei. Auf ihren Titelhamster Kenenisa Bekele konnten sich die Äthiopier verlassen. Ansonsten aber dominierten die Langstreckler aus Kenias verzweigten Strukturen und Privatcamps. Diese WM wirkte wie eine Ohrfeige für Äthiopiens strenges System des zentralen Kadertrainings.Foto: Getty

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Australien (2/0/2)Am Freitag hatte Steven Hooker Diskuswerfen geguckt, Dani Samuels überraschenden Goldgewinn mit 65,44 Metern, und das machte Eindruck auf ihn. Stabhochspringer und Diskuswerfer haben normalerweise so viel miteinander zu tun wie Feuerwehrleute und Brezelbäcker, aber diesmal fühlte sich Hooker angesprochen. "Das hat den Druck von mir genommen." Medaillen hatte Australien nämlich noch keine bis dahin, nun enthob ihn, den Olympiasieger, diese 21-jährige Dani Samuels von der Last, die Dürre zu beenden. Und diese Tatsache nutzte Hooker als Vorlage für den ungewöhnlichsten Sieg dieser WM.Steven Hooker ist nämlich verletzt. Eine Adduktoren-Geschichte. Aber er gab seinen Adduktoren einen Stoß. Ein Sprung über 5,85 Meter würde schon nicht schaden. Er riss die Latte. Er ging ein bisschen herum, prüfte seine Adduktoren und er dachte sich: einen noch, nur noch einen klitzekleinen Versuch über 5,90 Meter. Dann übersprang er die 5,90. Und während sich die gesunden Franzosen Romain Mesnil und Renaud Lavillenie vergeblich daran versuchten, den führenden Versehrten noch mal einzufangen, schaute Hooker aus der Ferne zu, wie er allmählich Weltmeister wurde. Es schien ihm fast peinlich zu sein. "Ehrlich, vorher hätte ich nie gedacht, dass ich springen könnte", sagte Hooker.Hookers Einsatz zeigte, dass man nie genau weiß, was vom anderen Ende der Welt kommt. Plötzlich zerschmettert eine Diskuswerferin die herkömmliche Hierarchie, am Samstag stand plötzlich der Weitspringer Mitchell Watt, 21, aus Queensland mit Bronze da, am Sonntag Australiens 4x400-Meter-Staffel ebenfalls mit Bronze. Und ein halber Hooker gewann Gold. Seliges Down under.Foto: Reuters

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Südkorea (0/0/0)Um die Spur von Südkorea bei dieser WM aufzunehmen, muss man in die Startliste schauen. Da stehen in der Tat Südkoreaner drin. Genau 14. Null von ihnen haben eine Goldmedaille gewonnen, null von ihnen überhaupt eine Medaille, null von ihnen haben ein Finale erreicht. Südkorea hat sich etwas versteckt in Berlin, was nichts daran ändert, dass die nächste WM 2011 bei ihnen in Daegu stattfindet. Wenn die Südkoreaner dort eine Medaille gewinnen wollen, haben sie noch ein bisschen etwas zu tun.Thomas HahnFoto: dpa

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