Leichathletik-WM:Gezaubert bei 5,90 Meter

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Raphael Holzdeppe: Stark beim letzten Versuch (Foto: dpa)
  • Raphael Holzdeppe erkämpft sich bei der WM in Peking im letzten Moment Silber.
  • 2014 plagten ihn etliche Verletzungen, er zieht von München zurück in seine alte Heimat.
  • Kollegin Silke Spiegelburg scheitert schon vorm Finale.
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Von Johannes Knuth, Peking

Raphael Holzdeppe trug jetzt diese Entschlossenheit im Gesicht, wie jemand, der sein Schicksal mit beiden Händen gepackt hatte. Er war ordentlich reingekommen in dieses Stabhochsprung-Finale bei der WM in Peking, die 5,60 Meter hatte er locker genommen, die 5,80 Meter im zweiten Versuch. Jetzt stand Holzdeppe vor diesen 5,90 Metern, die ihm vielleicht leichter fielen als alle Sprünge zuvor. Er fühlt sich in den höheren Etagen wohl, er zeigt seine besten Sprünge gerne mal dann, wenn es drauf ankommt.

Die meisten Springer hatten den Betrieb bereits eingestellt; auch Renaud Lavillenie, der Olympiasieger und hohe Favorit, er wurde Dritter und wartet weiter auf seinen ersten WM-Titel. Holzdeppe hatte die Latte im ersten Versuch gerissen, den zweiten hatte er abgebrochen, bevor er auf der Reiseflughöhe angekommen war. Er musste jetzt über diese 5,90 Meter rüber, ansonsten würde sein WM-Titel in den Besitz des Kanadiers Shawnacy Barber übergehen, der hatte die Höhe als Einziger gemeistert, und Holzdeppe würde ohne Medaille nach Hause fahren.

Er sprang dann drüber.

Dritter Tag, dritte Medaille, es könnte schlechter laufen für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bei den Weltmeisterschaften in Peking. Am frühen Abend war Kristin Gierisch sehr gute Achte geworden im Dreisprung-Finale der Frauen (14,25 Meter). Der Speerwerfer Andreas Hofmann hatte in der Qualifikation eine persönliche Bestleistung erzielt (86,14). Und dann war da natürlich Holzdeppe, 25, der an seinen WM-Titel von Moskau 2013 eine Silbermedaille reihte, mit 5,90 Metern im dritten Versuch.

"Ich glaube, die Silbermedaille ist für ihn fast wertvoller als die goldene", sagt Scherbarth

Holzdeppe konnte es verschmerzen, dass der 21 Jahre alte Barber am Ende den ersten Platz behielt, weil er die 5,90 ja im ersten Versuch geschafft hatte. "Ich glaube, die Silbermedaille ist für ihn fast wertvoller als die goldene", sagte Tobias Scherbarth, der zweite Deutsche, der 5,65 Meter und Platz sieben in die Ergebnisliste eingebracht hatte. Als Weltmeister beginnt die harte Arbeit ja erst so richtig nach dem großen Erfolg. Holzdeppe kann davon einiges erzählen.

Stabhochsprung ist eine faszinierende Disziplin. Wenn der Athlet alle Bauteile richtig zusammensetzt, fließt ein Sprung einfach, mühelos. Stabhochsprung ist auch eine harte Übung, jedes Mal, wenn der Stab im Einstichkasten versinkt, fühlt es sich für den Athleten an, als laufe er gegen eine Wand. Holzdeppe war 2013 sehr oft gegen eine Wand gelaufen. "Der Körper wollte eine Pause, die habe ich ihm nicht gegeben", hatte er vor der WM gesagt, "also hat er sie sich genommen."

2014 hangelte er sich von Verletzung zu Verletzung. Er ließ seine Münchner Jahre und die Trainingsgruppe von Chauncey Johnson hinter sich, kehrte nach Zweibrücken und zu Andrei Tivontchik zurück. "Ich bin eher übermotiviert im Training. Andrei schafft es, mich runterzuholen und die nötige Ruhe in das ganze System reinzubringen", sagt Holzdeppe. Er fing an, sein System langsam wieder hochzufahren, mit verkürzten Anläufen, "da darf in bestimmten Zeitpunkten einfach nichts dazwischenkommen", sagt er: "In diesem Winter war das zum Glück der Fall."

Nach der Enttäuschung rauscht Silke Spiegelburg wortlos aus dem Stadion

Holzdeppe tastete sich im Frühjahr langsam an seine alte Form heran. Die Höhen passten nicht so recht, und es ist gar nicht so einfach, wenn das Ergebnis nicht mit dem eigenen Empfinden übereinstimmt. "Es ist schwer für Außenstehende zu sehen, wenn man als Athlet weiß, dass man auf dem richtigen Weg ist, aber einfach noch drei, vier Monate fehlen", sagt Holzdeppe. Einen guten Sprung muss man immer wieder einstudieren und üben, wie einen Zaubertrick. "Da zählen gute und schlechte Jahre dazu", findet Holzdeppe.

Da kam einem am Montag auch die Stabhochspringerin Silke Spiegelburg in den Sinn.

Spiegelburg und die großen Leistungsmessen des Sports, das ist so eine Sache. 2009 wurde sie Vierte bei der WM in Berlin, es folgten drei weitere vierte Plätze bei WM und Olympia. Wenn Spiegelburg etwas Gutes aus Peking mitnehmen kann, dann die Gewissheit, dass sie im Finale am Mittwoch ganz sicher nicht Vierte werden kann: Sie schied mit 4,45 Metern bereits in der Qualifikation aus. Eigentlich hatte es lange nach einem guten Jahr ausgesehen, Spiegelburg hatte sich im vergangenen Jahr am Fuß operieren lassen, bei der Team-EM sprang sie schon wieder 4,75 Meter, anschließend sagte sie: "Ich bin so viel relaxter geworden nach der Verletzung." Am Montag rauschte Spiegelburg dann wortlos aus dem Stadion.

Vielleicht spendeten ihr Holzdeppes Worte am Abend etwas Trost. "Bestleistung, Silbermedaille, ich gebe diesem Jahr eine glatte Eins", sagte er. Am wichtigsten sei aber das Gefühl, "wieder in der Spur zu sein". Die große Zaubershow findet ja erst 2016 statt.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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