Premier League:Leicester City: Nur noch ein Sieg bis zur Ewigkeit

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Botschafter für Steh-auf-Mentalität: Die Spieler von Leicester City bejubeln ein Tor beim 4:0-Sieg gegen Swansea. (Foto: dpa)

Der Verein galt lange als bedeutungsloser Außenseiter - und könnte an diesem Sonntag überraschend englischer Meister werden.

Von Sven Haist, Leicester

Die Pointe zu dieser einmaligen Saison von Leicester City lieferten die Fans des Klubs am vergangenen Wochenende selbst. Vor dem Anpfiff der Partie gegen Swansea zeigten die Anhänger der Foxes in einer Choreografie im Stadion, von wem genau die Fußballwelt gerade an der Nase herumgeführt wird. Am unteren Rand eines blau-weißen Fahnenmeers reihten sich auf Stellplakaten die Trophäen aneinander, die Leicester City seit Gründung des Klubs im Jahr 1884 eingesammelt hatte.

Zu sehen waren sieben Meistertitel in der zweiten Liga und einer aus der dritten Spielklasse, drei Ligapokalsiege und ein Triumph im Supercup. Für dieses Spiel zwischen englischem Meister und Pokalsieger hatte sich Leicester 1971 als Tabellenzweiter im Grunde gar nicht qualifiziert. Erst durch den Verzicht des FC Arsenal rückte der Klub nach. Über der Trophäenschau entrollte sich der Schriftzug: "History makes us, who we are". - Die Geschichte macht einen zu dem, was man ist.

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Die Buchmacher boten eine Quote von 5000:1 für den Meister Leicester

Leicesters Geschichte, die im vergangenen Jahrhundert in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohte, zeigt, warum der englische Fußball gerade umgehend das Wort fairytale herauskramt, Märchen, wenn es um diesen Verein geht. Nach zwölf Jahren gelang Leicester City im Sommer 2014 mal wieder der Aufstieg in die Premier League. Erste Bekanntheit erlangten die Foxes - der Spitzname stammt aus einer regionalen Tradition in der Fuchsjagd - aber erst, als sie sich wie Entfesselungskünstler gegen Ende der vergangenen Spielzeit aus der Abstiegszone befreiten.

Eine skandaldurchtränkte Abschlussfahrt nach Asien folgte, die dem damaligen Trainer Nigel Pearson den Arbeitsplatz kostete. Claudio Ranieri, dessen Empfehlungsschreiben ein 0:1 mit der Nationalmannschaft Griechenlands gegen die Färöer war, ersetzte ihn. Die Buchmacher handelten Ranieri als Topkandidaten auf eine Entlassung, Leicester als 5000:1-Außenseiter auf Platz eins in der Premier League.

Im Gegensatz zu jeglichen Vorhersagen haben die Wunderarbeiter aus den Midlands mit 22 Erfolgen in 35 Ligaspielen (meistens mit 1:0) bereits einen Platz in der Champions League sicher. Sieben Punkte beträgt der Vorsprung auf den Tabellenzweiten Tottenham Hotspur, drei Spieltage vor Schluss trennt Leicester City also nur noch ein Sieg vom ganz großen Glück. Am Sonntagnachmittag (15 Uhr) bietet sich bei Manchester United die Gelegenheit, im Stadion Old Trafford, dem sogenannten Theatre of dreams, den Traum aller Träume wahr werden zu lassen: die erste Meisterschaft.

Bei diesem wundersamen Aufstieg sollen nach Informationen der ARD und Sunday Times allerdings auch unerlaubte Mittel verwendet worden sein. Ein Londoner Mediziner gab gegenüber verdeckten Ermittlern an, dass er mitunter Leicester-Profis mit verbotenen Methoden behandelte, was der Verein vehement bestreitet.

Ein Verdacht, der sich einfügt ins Bild, dass Leicester City in der Vergangenheit Tiefen ausloten musste. Bei der Jahrtausendwende stand der Klub kurz vor dem Konkurs, Vereinsikone Gary Lineker führte ein Konsortium an, das Leicester vor dem Untergang bewahrte. Diese Steh-auf-Mentalität verkörpern auch die Spieler, die alle mit einem Makel ankamen. Die Himmelsstürmer Jamie Vardy, der gegen ManUnited wegen einer Sperre fehlt, und Riyad Mahrez kannte überhaupt niemand bei ihrer Verpflichtung; andere hatten wie Zugvögel mal da, mal dort angeheuert. Ihr Zusammenhalt hat die Profis zu Botschaftern der Stadt Leicester werden lassen.

Es ist nicht allzu lange her, da glaubten die Menschen im Süden Englands noch, Leicester befinde sich im Norden des Landes. Im Norden wiederum verorteten sie die 330 000 Einwohner in den Süden der Insel. Tatsächlich hat Leicester seinen Platz auf der Landkarte mittendrin, genau zwischen London und Manchester; etwa 160 Kilometer trennt es jeweils von beiden Metropolen. Einige Spieler ziehen es vor, ihren Lebensmittelpunkt lieber in die Großstädte zu verlegen und das tägliche Pendeln zwischen Wohnort und Trainingsgelände auf sich zu nehmen.

Leicester ist eben keine Stadt für Fußballer. Im Gegensatz zu Liverpool hat es die Gemeinde verpasst, dem Ort einen frischen Anstrich zu verpassen. Ein Spaziergang durch die Stadt offenbart eine graue Tristesse. Der Uhrturm in der Fußgängerzone gilt schon als Hauptattraktion, weil die Architektur in der wenig wohlhabenden Gegend im Schatten Birminghams mit der Geschwindigkeit der Gegenwart nicht mithalten kann. Berühmte Persönlichkeiten sind rar gesät, die Bestattung der sterblichen Überreste von König Richard III wurde vor einem Jahr zum Weltereignis aufgeblasen. Die Wohnhäuser sind einfach strukturiert, die Anbindung an den Rest des Landes stößt an Grenzen: Der Bahnhof ist lediglich Durchgangsstation für Fernzüge (sofern die überhaupt anhalten), der Flughafen fertigt 50 Maschinen am Tag ab, was dem Volumen von London-Heathrow in einer Stunde entspricht.

Der Klub erfreut sich an zunehmender Popularität in Asien

Es sind die verschiedenen ethnischen Gruppen, die der Metropole ein wenig Flair verleihen. Leicester dient als Vorbild für Integration, etwa 20 Prozent der Bevölkerung stammt aus Afrika oder der Karibik, gar ein Drittel aus Asien. Dort erfreut sich der Klub einer stark zunehmenden Popularität, was auf die thailändische Herkunft der Eigentümer zurückzuführen ist. Für die Anwohner selbst hatte der Fußball lange nur eine untergeordnete Bedeutung, neben den erstklassigen Teams im Basketball und Cricket dominierte Rugby das Sportgeschehen. Bis jetzt.

Die Heimspiele sind nahezu vollständig ausverkauft, mehr als eine halbe Million Menschen haben die Partien im Stadion verfolgt. Leicesters Spiele werden nun überall auf dem Globus gezeigt. Der Klub ist zum Idol der Außenseiter geworden.

Mit dem Meistertitel in der Premier League würden die Spieler und Trainer in Leicester wohl zu sportlichen Helden auf Ewigkeit werden. Ihre Erfolgsgeschichte wäre ein Gruß an die Fußballwelt, dass in Zeiten, in denen das ganz große Geld regiert, noch Platz ist für Romantiker.

© SZ vom 01.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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