Kommentar:Leicester City: Märchen mit Makel

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Leicester City wird Meister, das ist pure Fußball-Romantik. Oder? Ein Fan feiert vor dem Stadion in Leicester. (Foto: AFP)

Leicester City wird englischer Meister - das ist Balsam fürs romantische Fußballer-Herz. Dabei wird ein Detail oft ausgespart: ein möglicher Doping-Skandal.

Kommentar von Johannes Aumüller

Dem Fußball mangelt es nicht an Ereignissen, denen jemand das Etikett "Wunder" verpasst hat. In Bern hat sich mal eines abgespielt, in Uerdingen, auch mehrere "Wunder von der Weser" sind erinnerlich. Es gehört sich natürlich nicht, Wunder gegeneinander abzuwägen, aber in diesen Tagen ist es unter Zuhilfenahme einer Dosis Gegenwartsverklärung schon erlaubt, "das größte Wunder in der Fußball-Historie" zu bejubeln, wie sie das in England tun.

Zu unglaublich ist er einfach, der Titelgewinn von Leicester City. Und zu schön lässt sich erzählen, wie dieser Klub mit kleinem Budget, urigem Trainer und beeindruckend gecasteter Combo aus Abgehängten und Spätentwicklern all jene renommierten Großklubs distanzierte, die sich von russischem Oligarchen- und arabischem Scheich-Geld pampern lassen. Mehr Balsam geht nicht fürs romantische Fußballer-Herz, das sich doch schon mit der Erkenntnis abgefunden hatte, derzufolge Geld Tore schießt und der Sport alles in allem unsäglich vorhersehbar geworden ist. Da stört es nicht einmal, dass auch Leicester über einen nicht gerade verarmten Besitzer verfügt, den thailändischen Milliardär Vichai Srivaddhanaprabha. Aschenputtel hatte jedenfalls keinen so reichen Großonkel.

Aber es ist erstaunlich, dass in den meisten Märchen-Wunder-Sensations-Elogen auf Leicester ein Aspekt völlig untergeht: jene Affäre, die sich rund um den Klub vor vier Wochen auftat. Damals veröffentlichte die Sunday Times mit versteckter Kamera aufgenommene Aussagen des Gynäkologen Marc Bonar, nach denen er über die Jahre mehr als 150 Profisportler gedopt habe - und zu seinen Klienten auch Athleten von Chelsea, Arsenal und Leicester City gezählt hätten. Dazu kam ein in der Kickerbranche nicht unbekannter Fitnesstrainer, der bei einem heimlichen Mitschnitt von einer engen Zusammenarbeit mit Bonar und einer Empfehlung für eine Testosteron-Behandlung sprach.

Es gibt keinerlei Beweise für Doping, die Klubs wiesen alle Vorwürfe zurück. Bonar und die Vereine bestritten eine Verbindung. Auch ansonsten revidierten der Arzt und der Fitnesstrainer auf offizielle Nachfrage das, was sie vor versteckter Kamera behauptet hatten. Es sei nur um medizinisch notwendige Behandlungen gegangen, so Bonar. Aber es bleibt ein verstörender Gesamteindruck, und es ist zumindest auffällig, dass aus der klagefreudigen Welt des Fußballs bisher noch keine Klage bekannt ist. An Tagen wie diesen lässt sich nachvollziehen, warum der Radsport oft eine unfaire Behandlung beklagt. Wie fielen wohl die Berichte aus, würde bei der Tour de France ein Fahrer triumphieren, den Doc Bonar nach eigener Auskunft zu seinen Klienten zählte? Beim Fußball übersieht der Zuschauer eher die Makel eines Märchens. Und glaubt gerne an Wunder, von Bern bis Leicester.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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