Motorrad-WM:Heavy Metal am Sachsenring

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Florierender Anachronismus: Der Schweizer Thomas Lüthi, der Deutsche Sandro Cortese und der Italiener Lorenzo Baldassarri beim Rennen am Sachsenring. (Foto: dpa)

Das Motorradrennen am Sachsenring hat wieder mehr als 200 000 Zuschauer angelockt. Es gibt gute Gründe, warum es der Formel 1 den Rang abläuft.

Kommentar von René Hofmann

Den Veranstaltern des Motorradrennens am Sachsenring ist zu gratulieren. Ihnen sind am Wochenende gleich zwei Kunststücke geglückt. Trotz heftigen Regens lockten sie mehr als 200 000 Zuschauer an die Rennstrecke in Hohenstein-Ernstthal. Und dann behielten sie in all dem Trubel auch noch den Überblick und bekamen eine exakte Zählung hin. Genau 212 411 Fans lockten die Zweirad-Artisten in diesem Jahr angeblich an. Damit bleibt die Veranstaltung eine der größten im deutschen Sportkalender.

Von einem derartigen Run können beispielsweise die Organisatoren des Formel-1-Rennens in Hockenheim, das in zwei Wochen ansteht, nur träumen - trotz eines deutschen WM-Führenden (Nico Rosberg/Mercedes), eines deutschen Ferraristas (Sebastian Vettel), eines aussichtsreichen deutschen Mitfahrers (Nico Hülkenberg/Force India) und eines deutschen Talentes (Pascal Wehrlein/Manor).

Die anhaltende Beliebtheit des Motorradrennens in Sachsen ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Motorrad-Markt hierzulande längst nicht mehr so blüht, wie er das lange tat. Für mächtig motorisierte Maschinen mit grellen Verkleidungen lassen sich kaum noch massenhaft Käufer finden, als Symbol einer wild ausgelebten Freiheit begreifen das Motorrad zunehmend weniger Menschen.

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Zu diesem Schluss kommt das Team des spanischen Motorradfahrers, der am Freitag in Barcelona verunglückte. Er soll auf einer Bodenwelle gebremst haben.

Die Zuschauer feiern nicht nur die Fahrer, sondern auch sich selbst

Deutsche Seriensieger hat der Sport schon lange nicht mehr hervorgebracht, das Ballyhoo rund um die Rennen, vor allem die organisierten Auftritte äußert knapp bekleideter Frauen, wirken reichlich aus der Zeit gefallen. Trotzdem gehen die Zuschauerzahlen keineswegs zurück, im Gegenteil: Seit 2003 lagen sie nur einmal unter 200 000. Der scheinbare Anachronismus - er floriert.

Wie das zu erklären ist? Zum einen mit dem spannenden Spektakel. Anders als in der Formel 1 ist in der Motorrad-WM vor der letzten Kurve selten abzusehen, wer gewinnt. Bei so viel Abwechslung ist es fast unwesentlich, wo sich die deutschen Teilnehmer tummeln. Zum anderen ist das Rennen am Sachsenring eben mehr als bloß ein Rennen. Es ist ein Happening. Die Zuschauer feiern nicht nur die Fahrer, sie feiern auch sich selbst. Der Zeltplatz am Ankerberg gilt als ein Ort, an dem viele Dinge geschehen, die diejenigen, die sie miterleben, ganz toll finden - deren Reiz sich aber auch vielen nie erschließen wird.

Das Gastspiel der Motorrad-WM am Sachsenring ist ein wenig wie das Metal-Festival in Wacken: ein Phänomen, dessen Zugkraft sich nicht vollständig ergründen lässt. Was der ADAC vorhat, ist deshalb gewagt. Der Automobilclub verkündete am Sonntag: Die Motorrad-WM wird auch in den nächsten fünf Jahren in Deutschland gastieren. Nicht aber unbedingt am Sachsenring.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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