Köln:Spektakel der "Nichtskönner"

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Rausch auch dank Rausch: Kölns Jubeltraube um den eingewechselten Linksverteidiger und Vorlagengeber zum 2:1, Konstantin Rausch (rechts unten). (Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Gladbach emotional besiegt, und jetzt zum HSV: Beim 1. FC Köln kehrt die Hoffnung auf den Klassenerhalt zurück.

Von Philipp Selldorf, Köln

Während die Spieler und wenigstens 45 000 der Augenzeugen ihr Glück und ihre Freude gar nicht fassen konnten, kamen dem Trainer dunkle Gedanken. Der 1. FC Köln hatte zwar in der letzten Minute der Nachspielzeit das 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach geschossen und stand dadurch unverhofft vor einem großen Derbysieg, doch was Stefan Ruthenbeck spürte, das war "ein bisschen Bitterkeit" und das Gefühl, dass das alles doch "sehr, sehr schade" sei. Was für ein seltsamer Mensch sitzt da auf der Kölner Trainerbank?

Natürlich war auch der unlängst vom Interims- zum Dauertrainer beförderte Ruthenbeck froh über den Ausgang der Partie, doch in den Mittelpunkt seiner Überlegungen schob sich erst mal dieser spezielle Zwiespalt, der seine Aufgabe bestimmt und die bizarre Lage des Vereins im Zwischenreich von erster und zweiter Liga beschreibt. Der Trainer sah die jubelnden Spieler und erinnerte sich der leidenschaftlichen Gegenwehr, die sie den überlegenen Gladbachern geboten hatten.

Die Verpflichtung des Franzosen Koziello aus Nizza steht bevor

Aber dabei fiel ihm ein, dass diese Mannschaft auf dem letzten Platz der Tabelle steht und vom Rest des Fußball-Landes bereits zum sportlichen Sterbefall erklärt worden ist: "Wir waren schon abgestiegen. Totgesagt. Nichtskönner", fasste Ruthenbeck den Trend zusammen und setzte ihn ins Verhältnis zum Geschehen am Sonntag: "Wenn du so dagegenhältst, machst und marschierst, ist das schon bitter."

Mit der Melancholie war es aber schnell vorbei, als der Coach an das nächste Spiel dachte, das möglicherweise den besten Gegner bietet, den sich der 1. FC Köln jetzt wünschen kann. Deshalb dachte Ruthenbeck, wie er gern erzählte, auf einmal Folgendes: "Jetzt hat der Hamburger SV ein bisschen Druck." Dieser Gedanke vereint Kampfgeist und Hoffnung und ist in der Stadt sofort populär geworden, er wird bis zum Wochenende an jeder Kölner Theke und jedem Büdchen noch oft zu hören sein. Verbunden mit der festen Erwartung, dass es nach dem obligatorischen Sieg in Hamburg nur noch vier Punkte bis zum womöglich rettenden Platz 16 sein werden.

Aus der Zwischenwelt in die Scheinwelt ist es für viele Kölner nicht weit. Wie verrückt und verzweiflungswürdig und trotzdem nicht aussichtslos die reale Situation des FC allerdings ist, davon erzählte in komprimiertem Format und sehr anschaulich die Nachspielzeit der Partie gegen die Borussen. Erst bewahrte der exklusive Videomonitor-Blick des Schiedsrichters Felix Zwayer auf ein Strafraumfoul des Kölner Verteidigers Meré die Hausherren vor dem erwarteten Elfmeter und dem 1:2, dann erzielte der just heimgekehrte Mittelstürmer Simon Terodde mit dem letzten Angriff der Begegnung das Siegtor. Einerseits also emotional überladenes Boulevardtheater, andererseits großartiger Sport.

Gleich nachdem Raffael für die Borussen den Ausgleich erzielt hatte (69.), war der bis dahin defensiv eingemauerte FC in den Angriff übergegangen, um doch noch die drei Punkte zu gewinnen. Ruthenbeck wechselte so offensiv wie möglich: "Hopp oder Topp, das hatten wir gesagt, und das haben wir gemacht", erklärte der Trainer, "heute sind wir belohnt worden."

Betroffene berichten, die vielen Enttäuschungen im Herbst hätten die Belegschaft im Geißbockheim, von der Spielerkabine bis zur Geschäftsstelle, in den Zustand bleierner Erschöpfung versetzt, eine Art kollektiven Burnout. Nie sei die Winterpause in Köln so willkommen gewesen wie diesmal. Der immer noch neue Trainer hat jetzt eine Mannschaft, die wieder empfänglich ist für seinen Idealismus, die Rückkehr diverser Spieler aus dem Krankenstand hilft ihm. Ruthenbeck kann, anders als in den Wochen vor Weihnachten, wieder eine Auswahl im Kader treffen.

Der genesene Nationalspieler Jonas Hector ("Er steht sportlich über allen", so der Trainer) hat sich trotz Praxisrückstands schon gegen die Borussen als luxuriöser Zugewinn erwiesen. Spieler wie Marco Höger, Jorge Meré oder Christian Clemens gaben Anlass zum Staunen. Man wisse natürlich "immer noch nicht, wohin es geht", hat Sportchef Armin Veh nach dem Sieg am Sonntag gesagt, aber der offenbar bevorstehende Transfer des französischen Mittelfeldspielers Vincent Koziello, 22, zeigt selbstbewusste Ansprüche an.

Unter Trainer Lucien Favre war Koziello bisher Stammspieler bei OGC Nizza, er hat 84 Erstliga- und 13 Europacup-Spiele bestritten. Am Sonntag saß er im Stadion, das Kölner Gefühlsspektakel hat ihn sicher nicht abgeschreckt.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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