Katar bei der Handball-WM:Von Platz 20 ins Finale

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Zarko Markovic: Hat nicht umsonst die Nummer 1 auf dem Trikot (Foto: dpa)
  • Katar hat im Handball nie eine Rolle gespielt - und steht plötzlich im WM-Finale.
  • Was das Team so stark macht: Es genießt Vorzüge, die eine klassische Nationalmannschaft nicht hat.
  • Den Liveticker zum Finale gibt es ab 17.15 Uhr hier, Tabellen und Ergebnisse finden Sie hier.

Von Joachim Mölter, Doha

Vor knapp zwei Wochen trafen in der Vorrunde der Handball-WM der Titelverteidiger Spanien und der Gastgeber Katar aufeinander, es war eine hübsche Geschichte. Valero Rivera senior, der Coach Katars, gegen seinen Sohn Valero Rivera junior, Spaniens besten Torschützen; Katars spanisches Trainerteam gegen die spanische Mannschaft, die es erst vor zwei Jahren zum Titel geführt hatte.

Die Katarer durften lange mitspielen, ehe sie 25:28 verloren, und nachher wurden Nettigkeiten ausgetauscht. Dass Spaniens Rückraumschütze Joan Canellas sagte, "ich bin sicher, Katar ist im Viertelfinale dabei", und Kreisläufer Gedeon Guardiola sogar meinte, "Katar kann ins Halbfinale kommen", wurde als Höflichkeit gegenüber ihren Gastgebern und ihrem ehemaligen Trainer angesehen.

So weit hatte es ja noch nie eine Mannschaft aus Asien bei einer Handball-WM gebracht. Überhaupt waren jemals nur zwei außereuropäische Länder unter die letzten Vier gekommen, Ägypten (2001) und Tunesien (2005); zu einer Medaille hat es für beide nicht gereicht.

Und nun steht Katar sogar im Finale an diesem Sonntag (19 Uhr) gegen Frankreich, den Olympiasieger und Europameister. Und die Handball-Welt wundert sich: Wie ist dieser raketenhafte Aufstieg möglich, von WM-Platz zwanzig auf (mindestens) zwei in nur zwei Jahren?

Vier von 16 aus Katar

Es gibt plausible Gründe für Katars Sprung nach vorne, wenn auch nicht für einen so weiten. Ein Grund ist sicher das Engagement von Valero Rivera, einem der erfolgreichsten Trainer weltweit. Ein anderer ist die Einbürgerungspraxis des kleinen Golfstaates. Der hat die Regeln des Weltverbandes IHF exzessiv ausgenutzt, wonach Spieler die Nationalität wechseln dürfen, wenn sie drei Jahre lang nicht mehr für ihre ursprüngliche Heimat gespielt haben.

In Riveras 16-Mann-Kader stehen jedenfalls nur vier gebürtige Katarer, den Rest hat er aus aller Welt holen lassen, vor allem aus Nordafrika, vom Balkan, aus Spanien, Frankreich und Kuba. Aus der Mannschaft, die 2013 in Spanien Zwanzigster wurde, sind 2015 nur noch zwei Akteure dabei, Hassan Mabrouk und Hamad Madadi, und die spielen so gut wie keine Rolle mehr.

Unter Riveras Anleitung und mit dem verstärkten Kader hat Katar vor einem Jahr erstmals die Asienmeisterschaft gewonnen und auch bei den Asienspielen im vergangenen Herbst erstmals triumphiert. "Einer der Schlüssel für unseren Finaleinzug bei der WM ist, dass wir uns wie eine Klubmannschaft vorbereiten konnten, nicht wie eine Nationalmannschaft", erklärte Rivera nach dem 31:29 im Halbfinale über Polen. Er konnte mit seiner Auswahl seit Monaten üben, ungestört von jedem Ligabetrieb.

Das habe die Mannschaft zusammengeschweißt, beteuert Zarko Markovic, ihr bester Torschütze mit bislang 60 Treffern in diesem Turnier: "Wir sind eher eine Familie als ein Sport-Team." Sein nicht weniger wurfgewaltiger Rückraumkollege Rafael Capote (42 Tore) sagt: "Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, dass wir eine richtige Familie geworden sind - das ist sehr wichtig, wenn man so viele Spieler aus unterschiedlichen Kulturen hat."

Was Katar auf dem Weg durch die K.o.-Runde noch zum Vorteil geriet, war die Gestaltung der Setzliste. Dass es dem Gastgeber möglichst leicht gemacht wird, weit zu kommen (und so möglichst viele Zuschauer mitzunehmen), ist gang und gäbe im Weltsport und wird als legitim hingenommen, nicht nur in Katar, nicht nur im Handball.

Während es die einheimischen Handballer also mit Österreich (Achtelfinale), Deutschland (Viertelfinale) und Polen (Halbfinale) zu tun bekamen, räumten sich die Großmächte des Welt-Handballs auf dem anderen Weg ins Finale gegenseitig beiseite: Bereits im Viertelfinale kam es zu einer Neuauflage des Endspiels von 2013 zwischen Spanien und Dänemark (25:24), im Halbfinale gab es das Gipfeltreffen zwischen Olympiasieger und Europameister Frankreich und Weltmeister Spanien (26:22).

WM-Abschluss der deutschen Handballer
:Helden auf dem Zahnfleisch

Die deutschen Handballer sichern sich mit dem Sieg gegen Slowenien die Teilnahme an der Olympia-Qualifikation. Die Enttäuschung über das WM-Aus gegen Katar ist allerdings noch nicht verarbeitet.

Von Joachim Mölter, Doha

Bis dahin kann man den Katarern nichts vorwerfen, bis dahin haben sie bloß die Möglichkeiten des Reglements für sich in Anspruch genommen, die früher auch schon andere Länder genutzt haben. Aber sie scheinen ihr WM-Ziel vorsichtshalber auch mit anderen Mitteln abgesichert zu haben, mit sehr zweifelhaften.

"In den letzten zehn Minuten waren die Schiedsrichter-Entscheidungen eindeutig zugunsten der Gastgeber", sagte Polens Spielmacher Piotr Maslowski nach dem verlorenen Halbfinale. Er und seine Kollegen hatten dem serbischen Gespann nach dem Spielende deshalb ebenso demonstrativ wie ironisch Beifall geklatscht. "Jeder, der etwas vom Handball versteht, hat gesehen, was passiert ist", sagte der neunfache Torschütze Michal Jurecki.

Diesen Satz hatte man auch schon von Österreichern und Deutschen nach ihren Niederlagen gehört, nur leiser: Sie hatten sich selbst zu viele Fehler erlaubt, um auf die Schiedsrichter zu schimpfen, ohne als schlechte Verlierer dazustehen.

Katar-freundliche Referees - die Kritik zieht sich durch die WM

Aber wer etwas von Handball versteht, weiß, welchen Ermessensspielraum die Unparteiischen in gewissen Situationen haben: Das Zeitspiel ist nicht klar geregelt; ebenso wenig, was Stürmerfoul ist und was nicht. Da werden oft Entscheidungen nach subjektiven Kriterien gepfiffen, ohne dass man den Schiedsrichtern eindeutige Regelverstöße nachweisen kann. Man kann aber auch eine Partie unauffällig in eine gewünschte Richtung lenken.

Bei Katars Ritt durch die K.o.-Runde fiel auf, dass ihre Spiele durchweg von Schiedsrichtern aus den früheren Balkanländern geleitet wurden, die nicht alle den besten Ruf haben. Und dass der Angriffsschwung ihrer Gegner häufig durch Zeitspiel und Stürmerfouls gebremst wurde. Irgendwann kamen sie jedenfalls nicht mehr näher als auf einen gebührenden Sicherheitsabstand von zwei Tore heran: Österreich unterlag 27:29, Deutschland 24:26, Polen 29:31.

Keine Angst vor dem Monster

Und nun ist der Rest der Handball-Welt gespannt, wie es am Sonntag den routinierten und finalerprobten Franzosen ergeht. Die haben seit 2006 jeden erhältlichen Titel mindestens zweimal gewonnen - Olympiagold 2008 und 2012, die WM 2009 und 2011, die EM 2006, 2010 und 2014. Und vor allem haben sie seit zehn Jahren kein Endspiel mehr verloren, das sie erreicht haben. "An ihren guten Tagen sind die Franzosen wie Monster", sagte der Slowene Klemen Cehte, nachdem er mit seinem Team im Viertelfinale 23:32 verloren hatte.

Die Katarer haben freilich keine Angst vor diesem Monster. "Wir werden weiter unser Spiel spielen", sagte ihr Torhüter, der aus Montenegro geholte Goran Stojanovic, "und dann schauen, was passiert."

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