Kanada bei der Eishockey-WM:Auch die Russen applaudieren

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Große Freude im Konfettiregen: Der kanadische Verteidiger Dan Hamhuis stemmt die Trophäe in die Höhe. (Foto: dpa)
  • Kanadas Trainer Todd McLellan gelingt es, aus einer Ansammlung von NHL-Koryphäen eine Einheit zu formen.
  • Das Team um Kapitän Sidney Crosby gewinnt beim WM-Turnier in Tschechien alle seine zehn Begegnungen und erzielt insgesamt 66 Tore.
  • Beim 6:1-Sieg im Finale gegen Titelverteidiger Russland demonstrieren die Kanadier ihre Stärke.

Von Johannes Schnitzler, Prag/München

Kurz strauchelte der Favorit, er drohte zu stürzen. Dann fing er sich. Und die Feier konnte beginnen. Ein paar Minuten vor Schluss dieses einseitigen, einprägsamen WM-Finales blieb Sidney Crosby beim fliegenden Wechsel mit dem linken Schlittschuh an der Bande hängen. Der Kapitän des Teams Canada, der vielleicht beste Eishockeyspieler seiner Zeit, mit Sicherheit einer der elegantesten, rang, auf einem Bein hüpfend, um sein Gleichgewicht. Fast wäre er auf der Nase gelandet wie ein tollpatschiger Anfänger, live, vor einem Weltpublikum: Das Spiel wurde in mehr als 160 Länder übertragen.

Aber Crosby befreite sich aus dieser misslichen Lage - und lächelte: Also so was. Außer dem Spott seiner Mitspieler trug er keine Schäden davon. Kurz darauf stand er im goldenen Konfettiregen und hielt den Pokal für den Champion in die Höhe: "Das ist großartig", sagte Crosby. "Wir haben erreicht, wofür wir alle hergekommen sind."

Crosby zieht in den "Triple Gold Club" ein

Kanadas 25. WM-Titel war nicht zuletzt sein persönlicher Triumph: Als erst 26. Profi in der Geschichte zieht der 27-Jährige in den "Triple Gold Club" ein, er gehört nun dem exklusiven Zirkel jener Spieler an, die neben Olympia-Gold und Stanley Cup, dem Titel in der nordamerikanischen NHL, auch eine Weltmeisterschaft gewonnen haben. "Es ist mir eine große Ehre", sagte Crosby. Doch der Mann mit dem verlegenen Lächeln wäre nicht der Eishockey-Superstar, wenn er nicht noch etwas strahlender funkeln würde als das glitzerndste Konfetti: Im Klub der goldenen Männer ist "Sid the Kid" der einzige, der sein Team jeweils als Kapitän zum Titel führte. Und auch in der Stunde des Erfolgs erwies sich Crosby als Teamplayer: "Ich hatte Glück, dass ich immer in großartigen Mannschaften gespielt habe."

Neben dem verlegenen Crosby-Lächeln werden von diesem Turnier einige Bilder und Höchstleistungen in Erinnerung bleiben. Der Rekord des Finnen Pekka Rinne etwa, der in der Vorrunde 237 Minuten und fünf Sekunden ohne Gegentreffer blieb, länger als jeder andere Torwart nach dem Zweiten Weltkrieg. Oder das enthusiastische Publikum, das schon im Viertelfinale die erst im vergangenen Jahr in Minsk aufgestellte Bestmarke knackte. Inklusive Finale kamen 741 690 Zuschauer zu den Spielen in Prag und Ostrava, 100 000 mehr als 2014 (640 044). Vor allem und immer wieder waren es aber die Kanadier, die unvergessliche Momente schufen.

Auf dem Weg zum Titel gewann das Team von Todd McLellan alle seine zehn Begegnungen, was ihm eine Million Schweizer Franken Sonderprämie einbrachte. Genug für eine würdige Sieges- feier. Nur ein einziges Mal im gesamten Turnier schienen die Kanadier in Not zu geraten, als sie gegen Schweden in der Vorrunde nach dem ersten Drittel 0:3 zurücklagen. Am Ende gewannen sie 6:4. "Das hat uns zusammengeschweißt", sagte Crosby. "Als wir das überstanden hatten, dachten wir uns: Egal was jetzt noch kommt, wir kommen da durch. Das war riesig." Sie waren nicht auf die Nase geplumpst.

McLellan, der für seine bunten Krawatten viel Häme einstecken musste, ist es gelungen, aus einer Ansammlung von NHL-Koryphäen eine Einheit zu formen. "Wir hatten hier eine unglaublich talentierte Gruppe", sagte der langjährige Coach der San Jose Sharks. "Aber die Gruppe muss erst einmal zusammenarbeiten. Und sie hat das getan, in jedem Spiel." Das 6:1 im Finale gegen Rekordweltmeister und Titelverteidiger Russland war keine Demütigung, wie viele Augenzeugen sie beobachtet haben wollten. Es war eine Demonstration. "Du kannst gegen sie nicht verteidigen", hatte Tschechiens Kapitän Jakub Voracek nach dem 3:6 in der Vorrunde erkannt. Im Halbfinale bemühten sich die Gastgeber dennoch - und verloren 0:2.

Eishockey-WM in Tschechien
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Zehn Spiele, zehn Siege. 66:15 Tore: Kanada demonstriert auch im Finale seine Stärke und krönt sich zum 25. Mal zum Eishockey-Weltmeister. Im Finale hat Rekordchampion Russland keine Chance.

Kanada schloss das Turnier mit 66:15 Treffern ab, 92 Millionen Dollar Jahresgehalt standen im Finale auf dem Eis. Aber das Team Canada 2015 war mehr als Zahlen (auch die Russen schickten keine Kreisauswahl), es war mehr als die Summe seiner Einzelteile: Bisweilen wirkten die Kanadier russischer als die Russen selbst. Crosbys 3:0 oder das 4:0 durch Tyler Seguin, als Claude Giroux eigentlich schon abgedrängt war und doch noch einen Pass vor das Tor zauberte - Kanada spielte Russland an die Wand. Alexander Owetschkin, WM-Held von 2014, ein Kerl wie "Beißer" aus den James-Bond-Filmen, knurrte: "Im zweiten Drittel habe wir das Spiel weggeworfen. Wir haben nur ein einziges Mal aufs Tor geschossen - so dürfen wir in einem Finale nicht spielen."

"Sie wollten uns einschüchtern"

"Wir haben heute nicht genug Emotion ins Spiel gebracht", sagte Russlands Trainer Oleg Znarok. Vermutlich wusste er nicht, dass sie genau das Gegenteil getan hatten. "Wir haben sie vor dem Spiel beobachtet", sagte McLellan. "Sie wollten uns mit ihren Blicken einschüchtern. Aber wir haben uns gedacht: Wichtig ist, wer am Ende dem Blick länger standhält. Das war eine schöne Extramotivation heute."

Als es vorbei war, applaudierten auch die Russen. Sie erkannten die kollektive kanadische Übermacht an. Das Team mit dem Ahornblatt stellte sechs der besten zehn Scorer, neben Brent Burns wurden Jason Spezza und Taylor Hall ins All-Star-Team gewählt. Vielleicht verdeutlicht das Kanadas Überlegenheit am besten: Das Gold-Gold-Gold-Kind Crosby tauchte in dieser Auswahl gar nicht auf.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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